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Ausstellung "KULT! Legenden, Stars & Bildikonen"
"In Zeiten globaler Unsicherheit können Kulte sinnstiftend sein"

Ob Fernsehserie oder Rockalbum: Viele Produkte der Popkultur werden verehrt wie einst nur Gottheiten. „Kulte sind Rituale, die verbinden“, sagte Kunsthistorikerin Ina Neddermeyer im Dlf, die eine Ausstellung im Zeppelin-Museum konzipiert hat. Der Kult-Begriff habe derzeit besonders Konjunktur.

Ina Neddermeyer im Corsogespäch mit Juliane Reil | 22.06.2017
    Ina Neddermeyer, Kuratorin der Ausstellung "Kult! Legenden, Stars und Bildikonen" des Zeppelin Museums Friedrichshafen.
    Ina Neddermeyer, Kuratorin der Ausstellung "Kult! Legenden, Stars und Bildikonen" des Zeppelin Museums Friedrichshafen. (Zeppelin Museum Friedrichshafen)
    Juliane Reil: Kult begegnet uns in ganz unterschiedlichen Bereichen unseres Lebens. Ob es die Liebe zu einem Fußballverein wie dem FC St. Pauli ist, oder die Verehrung eines Popstars wie Elvis Presley. Wie aber wird ein Gegenstand oder eine Person eigentlich zum Kultobjekt? Das fragen wir Ina Neddermeyer. Sie ist eine der Kuratorinnen der Ausstellung "Kult! Legenden, Stars und Bildikonen", die im Zeppelin-Museum in Friedrichshafen zu sehen ist. Ina Neddermeyer, hallo zum Corsogespräch.
    Ina Neddermeyer: Hallo.
    Reil: Das Wort Kult kommt ja aus dem Religiösen, beschreibt eigentlich die Götterverehrung. Wenn wir Erzeugnisse oder Menschen der Popkultur zum Kult erklären, stellen wir sie damit quasi auf ein Podest wie eine Gottheit?
    Neddermeyer: Ja, also gewissermaßen kann man das schon so sagen, dass natürlich einzelne Personen herausgehoben werden, gerade über einen Starkult dann auf ein Podest gehoben, und dann sozusagen eine besondere, eine herausragende Stellung dann natürlich inne haben. Und das sind natürlich die Menschen, die Anhänger, die dann eine bestimmte Person, einen Star, dann zum Kult erklären.
    Reil: Aber wie werden denn diese Objekte oder auch eben Personen zum Kult? Also Leute - Sie haben es gerade gesagt - Popstars, wie zum Beispiel Kurt Cobain, der ja auch in der Ausstellung bei Ihnen eine Rolle spielt.
    Fiktives Interview mit Kurt Cobain
    Neddermeyer: Ja, also Kurt Cobain ist in der Arbeit von Josh Kline vertreten und wird da wieder zu neuem Leben erweckt. Er zählt ja auch zu dem "Forever 27"-Club und wird jetzt wieder neu belebt. Es ist eine Art fiktives Interview, das geführt wird, mit einem Schauspieler. Und über das Interview ist eine Art 3-D-Rendering, also über eine Ersetzung des Gesichts, wird dann das Bild von Kurt Cobain gelegt, sodass man den Eindruck hat, man hat den Star wirklich vor sich sitzen und der führt das Interview mit dann noch einer anderen Person gemeinsam.
    Das Videoprojekt "Forever 27" des US-amerikanischen Künstlers Josh Kline.
    Das Videoprojekt "Forever 27" des US-amerikanischen Künstlers Josh Kline. (Josh Kline)
    Reil: Und wie wird er jetzt zum Kult?
    Neddermeyer: Also, es ist natürlich ein ganz interessanter Prozess und natürlich auch ein sehr, sehr komplexer Prozess. Man kann das eigentlich so von außen auch immer gar nicht sagen, was wird jetzt zum Kult? Da ist natürlich auch immer so ein gewisser Mythos auch noch mit dabei. Und das war natürlich bei Kurt Cobain auch immer der Fall, natürlich einmal als Ikone einer Jugendbewegung, auch der der Grunge-Musik natürlich. Aber dann dieser Mythos, der sich natürlich auch um seinen Tod, seinen frühen Tod rankt - er ist ja mit 27 verstorben, hat sich selbst getötet - und da sind natürlich auch ganz viele Mythen drum herum entstanden, warum und wie wäre es jetzt.
    Und das macht ja Josh Kline in der Videoarbeit, wie wäre es, wenn Kurt Cobain alt geworden wäre. Wie würde er leben? Würde auch so ganz banal alltägliche Handlungen vollziehen? Also das ist so ein bisschen auch die Frage. Und das ist natürlich auch immer bei so einer Kultfigur wie Kurt Cobain die Projektionsfläche von den Fans, also von den Kultisten, von den Anhängern des Kults, die dann die Kultfigur hervorbringen und den Kult natürlich erst erschaffen.
    "Kulte haben auch heute noch eine starke Relevanz"
    Reil: Und warum ist Kult für uns heute so wichtig? Oder ist er überhaupt für uns heute so wichtig?
    Neddermeyer: Also ich glaube, dass Kulte heute immer noch eine sehr starke Relevanz haben, das zeigt ja natürlich auch die Ausstellung. Und auch mit den ganz verschiedenen Themen, politische Kulte, religiöse Kulte, Kulte in der Popmusik, das zeigt einfach, dass es so eine Art menschliches Bedürfnis nach Kulten gibt. Und auch dieses Bedürfnis nach Gemeinschaft, was ja immer auch Kulte stiften, also da haben sie natürlich auch eine ganz klare Funktion, und vor allem natürlich in den Zeiten globalen Wandels, globaler Unsicherheit, sind natürlich Kulte, gemeinsame Kulte, auch Rituale, die verbinden und auch so eine Art Sinn auch natürlich stiften.
    Reil: Die Tagung zur Ausstellung, die wird heute eröffnet und die beschäftigt sich mit dem Umgang auch von Museen. Was sind denn die Themen da im Konkreten, die bei Ihnen verhandelt werden?
    Neddermeyer: Also Ausgangspunkt ist natürlich ganz klar, auch wir als Zeppelin Museum beschäftigen uns mit unseren eigenen Objekten, und was gibt es da für 'Verkultungen'? Was gab es da auch für Strategien der Verkultungen, was wurde da vorgenommen, was ist da passiert? Aber es gibt darüber hinaus natürlich auch - wir haben zahlreiche Vertreter auch, Museumsdirektorinnen und Museumsdirektoren eingeladen, die über ihre Kultobjekte sprechen. Es geht aber auch um die Sixtinische Madonna von Raffael.
    Also das sind so Themen, wo es natürlich immer wieder darum geht, wie konnte ein Kunstwerk, ein Exponat, wirklich zu diesem Kultobjekt werden. Und das hinterfragen wir natürlich sehr stark. Und da geht es natürlich dann auch um schwierige Fragen, wie zum Beispiel der Umgang mit dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, wo man natürlich auch nicht unbedingt eine Verkultung erzeugen möchte, sondern wo es auch noch mal darum geht, wie kann man einen Ort auch 'entkulten' oder sich kritisch auch mit einer Verkultung auseinandersetzen. Also das ist so die Bandbreite, von eben zum einen die Nofretete, also die Schönheitsikone, und dann natürlich auch eben dann so kritische Fragen, Umgang mit Nazigebäuden.
    Über den Umgang mit Kulten
    Reil: Wie sieht es denn mit dem Umgang von Museen und Kultobjekten aus? Da ist ja eigentlich auch eine Verbindung da, dass Sie als Museum und Ausstellung selbst an diesem Kult auch mitspinnen.
    Neddemeyer: Ja, also wir haben natürlich einen Anteil daran, das ist natürlich auch unsere Aufgabe oder war natürlich auch unser Ansatz, diese Tagung auch ins Leben zu rufen, auch sich damit auseinanderzusetzen, wie wirken wir an Kulten mit, wie generieren wir auch Kulte über ein Museum, was Zeppelin Museum auch heißt? Also sozusagen, wie können wir auch unsere eigene Rolle noch mal stärker reflektieren, und wie können wir da auch unseren Umgang natürlich mit schärfen? Und es geht natürlich auch um Sachen wie Museumsshop und Merchandisingprodukte und solche Geschichten.
    Reil: Aber das wollte ich jetzt gerade fragen: Wie gehen Sie ganz konkret damit in der Ausstellung um?
    Neddemeyer: Also es gibt zum Beispiel eine Arbeit von einem Künstler, von Kenneth Anger, einem US-amerikanischen Filmemacher, einem Avantgardekünstler, der Filmmaterial vom Zeppelin verwendet. Und das ist unterschiedliches Found Footage Material, stammt aus Spielfilmen, das sind historische Aufnahmen, das sind aber auch Bildmontagen, die er abgefilmt hat. Und die setzt er zusammen zu Bildcollagen und stellt dadurch natürlich auch sehr stark die Frage, wie werden über Bilder auch Kulte generiert. Und das sind natürlich Bilder vom Zeppelin, also verschiedene Fahrten von der Hindenburg, von der Graf Zeppelin, die da zusammengesetzt werden und wo es natürlich auch darum geht, was machen die Bilder mit uns und wie erzeugen Bilder auch Kulte.
    Reil: Sagt die Kuratorin Ina Neddermeyer. Die Ausstellung "Kult! Legenden, Stars und Bildikonen" ist noch bis zum 15. Oktober im Zeppelin-Museum in Friedrichshafen zu sehen. Danke für das Gespräch.
    Neddermeyer: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.