Donnerstag, 25. April 2024

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Ausstellung "Outer Space"
"Faszination Weltraum ist eine anthropologische Konstante"

Gänse im Astronauten-Training neben Mondkapseln: In der Ausstellung "Outer Space. Faszination Weltraum" in der Bundeskunsthalle Bonn scheinen Fakt und Fiktion zu verschwimmen. Denn die Wissenschaft ist gar nicht so weit entfernt von der Kunst mit ihren visionären und utopischen Entwürfen, meint Kuratorin Claudia Dichter.

Claudia Dichter im Gespräch mit Michael Köhler | 04.10.2014
    Michael Köhler: "Faszination Weltraum. Outer Space" - so heißt die Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle über den Weltraum als Sehnsuchtsort, Forschungsort und utopischen Raum, der Wissenschaftler, Literaten und Künstler angezogen hat. Seit gestern sind neben Original-Raumkapseln, Anzügen, Modellen der Enterprise und R2D2 aus Star Wars auch wirklich viele Kunstwerke zu sehen. Die Kuratorin ist Claudia Dichter. Frau Dichter, Ihr Konzept lebt von der Gegenüberstellung historischer Zeugnisse, Raumanzüge, Raketenteile, Raumkapseln, Dokumente, mit bildender Kunst. Was hören wir da gerade?
    Claudia Dichter: Das ist der letzte Funkkontakt von Wladimir Komarow, einem russischen Kosmonauten, mit der Bodenstation, und Wladimir Komarow ist das erste Opfer der Weltraumgeschichte, der erste Mensch, der bei seiner Mission ums Leben gekommen ist, und der Berliner Künstler Via Lewandowsky hat diesem Komarow einen Gedächtnisraum gewidmet. "The last call" heißt er und man betritt einen Raum, in neonblaues Licht getaucht, drei Vitrinen stehen dort mit verbrannten Artefakten, ein Spruch steht an der Wand, scheinbar der letzte Spruch.
    Köhler: Unterhemd, Unterhose, so was.
    Dichter: Ja, merkwürdige Dinge. Und man hört diesen bedrückenden Sound und weiß, der Mann ist gestorben. Und es ist tatsächlich so: Der Mann wusste, er stirbt. Die Kapsel ist einfach auf dem Boden aufgeknallt. Jetzt fragt man sich natürlich, wo kommt der Sound her, und die Geschichte ist kurios. Via Lewandowsky hat tatsächlich auf einem O-Ton-Sampler dieses Stück entdeckt und damals hat ein amerikanischer Spionage-Satellit diesen letzten Funkkontakt mitgeschnitten.
    Köhler: Sie paaren in der Ausstellung - das ist, glaube ich, Ihr leitender Gedanke - bildende Kunst, Populärkultur, literarische Zeugnisse, Gemälde mit Artefakten, mit Raumfahrtzeugnissen. Warum tun Sie das?
    Dichter: Weil wir haben gesagt, uns interessiert die Schnittstelle, die Schnittstelle von all diesen Dingen. Es heißt ja immer, Kunst und Wissenschaft haben nichts miteinander zu tun. Für uns hat das sehr wohl was miteinander zu tun und gerade diese Faszination Weltraum ist eine anthropologische Konstante. Alle Menschen zu allen Zeiten, die jemals gelebt haben und noch leben werden, schauen da hoch an diesen Nachthimmel und stellen sich dieselben Fragen: Wo kommen wir her, wo gehen wir hin, gibt es anderes intelligentes Leben da draußen? Und sie beschäftigen sich. Sie projizieren ihre Wünsche, ihre Sehnsüchte, ihre Hoffnungen, ihre religiösen Vorstellungen in diesen Raum. Sie erforschen ihn, und das war natürlich für uns der Anspruch zu sagen, das was die hohe Wissenschaft tut, ist vielleicht gar nicht so weit weg von dem, was Künstler mit ihren visionären, mit ihren utopischen Entwürfen tun. Oft haben die sich auch ganz konkret gegenseitig beeinflusst und befruchtet, und dem wollten wir nachgehen.
    "Objekte entwickeln ihre eigene Aura"
    Köhler: Es ist ja keine technikgeschichtliche Ausstellung. Da wird zum Beispiel auch mal eine Raumkapsel mit einem typischen ultramarinblauen monochromen Bild von Yves Klein gepaart.
    Dichter: Genau. Weil wir sagen, wir packen diese Dinge zusammen, wir schauen, was passiert dazwischen, und natürlich haben wir Exponate ausgesucht. Wir haben vier Jahre an dieser Ausstellung gearbeitet. Wir waren in Paris, wir waren in Peenemünde, wir waren in Moskau, wir waren in Washington. Wir haben sehr breit am Anfang natürlich gesucht und haben dann eigentlich ganz viel immer wieder rausgeschmissen und das konzentriert auf zwölf Themenräume, innerhalb dieser Themenräume aber immer diese Dialoge, diese Kombinationen aufgezeigt, und natürlich bekommt so eine Kapsel, an der bestimmte Wiedereintrittsmechanismen, bestimmte Brandschutzgeschichten, wie verhält sich das, wie ist die Oberflächenstruktur - wenn so eine runde verbrannte Kapsel, die aber als Objekt auch funktioniert, weil wir sind keine Wissenschaftler - Herr André ist Künstler von Hause aus, ich bin Kunsthistorikerin - natürlich schauen wir mit einem ästhetischen Blick auf solche Objekte, und die kommen tatsächlich in einen anderen Zusammenhang, entwickeln ihre eigene Aura. Wenn Sie vor diesem monochromen Blau von Yves Klein stehen - beide Arbeiten sind in einer Art schwarzem Hohlraum und schweben dort plötzlich.
    Köhler: Man sieht nicht nur Teleskope, man sieht nicht nur barockmythische Gemälde von Rubens über die Geburt der Milchstraße - ein tolles Werk übrigens -, man sieht Bücher von Galileo, aber man sieht auch einen Themenraum mit einer Künstlerin, einer Medienkünstlerin, die Gänse für einen Mondflug trainiert. Sie heißt Agnes Meyer-Brandis, und was es damit auf sich hat sagt sie selber:
    "Mondgänse sind Zugvögel, die eben nicht wie andere Zugvögel jetzt einmal jährlich von Spanien nach Afrika migrieren. So migrieren Mondgänse einmal jährlich oder wer weiß wie oft von der Erde zum Mond. Und ich habe mich gefragt, was ist denn mit den Mondgänsen im 21. Jahrhundert passiert. Gibt es diese besondere Spezies noch? Sind sie sich ihres Mond-Migrationsmusters noch bewusst? Ich habe eben angefangen, 2011 eine eigene Mondgans-Kolonie zu züchten."
    Dichter: Ja, das ist wirklich eine wunderbare Arbeit von Agnes Meyer-Brandis. Zusätzlich zu den zwölf Themenräumen haben wir drei Künstlerräume: der erste Via Lewandowsky, der zweite Agnes Meyer-Brandis. Sie arbeitet auf eine sehr poetische Weise wirklich an der Schnittstelle von Fakt und Fiktion. Sie bezieht sich auf einen Science-Fiction-Roman aus dem 17. Jahrhundert, Francis Godwin "The Man in the Moon", der eben mit den Mondgänsen zum Mond reist, und sie nimmt diese Geschichte auf. Hat wirklich elf Gänseeier gekauft, die mit den Namen der berühmtesten Astronauten und Kosmonauten beschriftet, die gebrütet, auf sich geprägt so Konrad-Lorenz-mäßig, und macht mit denen in einem Habitat in Norditalien Astronautentraining. Und man beobachtet Agnes Meyer-Brandis, wie sie im Raumanzug mit diesen Gänsen Flugtraining absolviert, Schwimmtraining, dazwischen geschnitten dann reale Einheiten aus dem Astronauten-Training hier von der European Space Agency. Sie ist eine Künstlerin, die sehr wohl sich auch mit der harten Realität der Raumfahrt auskennt, hat viel mit der ESA zusammengearbeitet, aber hat ihr ganz eigenes Mondprogramm aufgelegt, wo man natürlich da steht und schmunzelt, was aber auf ganz vielen Ebenen funktioniert. Es ist eine sehr sinnliche, eine sehr poetische, eine sehr schöne Arbeit, die aber wirklich den Bogen schlägt vom 17. Ins 21. Jahrhundert.
    Köhler: Das sagt Claudia Dichter, die Kuratorin. Also Vorsicht bei der nächsten Martins- oder Weihnachtsgans: Vielleicht ist es eine verkleidete Mondgans. "Outer Space. Faszination Weltraum", zu sehen in der Bonner Bundeskunsthalle.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.