Mittwoch, 24. April 2024

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Ausstellung "RAF - Terroristische Gewalt"
"Wir dokumentieren vor allem die Zerstörung"

Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt eine Ausstellung über den Terror der RAF. Darin sollen auch Aspekte aufgezeigt werden, die dem kollektiven Gedächtnis womöglich verborgen geblieben sind, sagte Kuratorin Sabrina Müller sinngemäß im DLF. Ein Beispiel: Bereits 1972 haben sich vor allem linksalternative Schüler und Studenten gegen die RAF gewandt.

Burkhard Müller-Ullrich im Gespräch mit Sabrina Müller | 20.11.2014
    Zwei Männer lesen am 2. Juni 1978 Handzettel der Polizei, mit denen nach RAF-Terroristen gefahndet wird.
    Sabrina Müller: "Die Fahndungsplakate waren auch ein Mittel, Bürger enger an den Staat anzubinden, also eine Fahndungsgemeinschaft zwischen Polizeibeamten und Gesellschaft zu begründen." (picture-alliance/ dpa - Konrad Giehr)
    Burkhard Müller-Ullrich: "Die erste seit langem" könnte man auch über eine Ausstellung zur RAF, zur R.A.F., zur Roten Armee-Fraktion sagen, die im Deutschen Historischen Museum Berlin gezeigt wird. Es gab nämlich vor gut zehn Jahren schon mal einen damals spektakulär gescheiterten Versuch, so was zu machen. Kritisiert, bekämpft und schließlich verhindert wurde jenes damalige Ausstellungsprojekt, weil die Opfer beziehungsweise deren Angehörige überhaupt nicht einbezogen worden waren. Sabrina Müller, Sie sind die Kuratorin der morgen beginnenden Ausstellung in Berlin: "RAF - Terroristische Gewalt". Was haben Sie anders gemacht? Was ist überhaupt Ihr roter Faden?
    Sabrina Müller: Wir stellen die terroristische Gewalt in den Mittelpunkt der Ausstellung, aber wir dokumentieren vor allem die Zerstörung durch die Gewalt der RAF, die Folgen für die Gesellschaft und den Staat. Und wir berücksichtigen das Leid der Familien, die Angehörige verloren haben. Es ist aber sehr schwierig, Objekte zu finden, um angemessen zu veranschaulichen: Was bedeutet ein Mord für die Überlebenden der Familie? Was bedeutet der Mordversuch an einem Polizeibeamten für dessen späteres Leben.
    Müller-Ullrich: Warum unternehmen Sie das eigentlich? Jeder, der in der Bundesrepublik groß geworden ist, weiß ja, was die RAF war.
    Müller: Es war ein Anliegen, das von Bürgern an uns herangetragen wurde, und wir haben es versucht. Es ist tatsächlich sehr schwierig, Reaktionen von Bürgern zu erforschen. Wir tragen Zeugnisse aus den 70er-Jahren zusammen, Schülerzeitungen, Briefe von Studentenausschüssen in Konstanz, und haben jetzt einen Anfang gemacht. Aber da gibt es noch sehr viel zu erforschen.
    Müller-Ullrich: Da Sie jetzt schon zum zweiten Mal von den Folgen für die Gesellschaft sprachen, welche sind denn die Folgen, außer dem, was Sie gerade sagten, Rechtsstaat abbauen?
    Müller: Bürger, die in der Ausstellung waren, Besucher haben uns erzählt, wie sie ständig in Personenkontrollen kamen, wie sie nachts von Polizeibeamten mit Maschinenpistole kontrolliert wurden. Die Fahndungsplakate, die überall hingen, sind jedem noch erinnerlich. Wir zeigen in mehreren Vitrinen, wie der Staat sein Gewaltmonopol betont hat, wie er seine Macht neu inszenierte, weil terroristische Gewalt ist auch eine Provokation der Macht, auch wenn sie staatliche Strukturen nicht wirklich gefährden kann.
    Müller-Ullrich: Sagen Sie was dazu, ob das richtig war? Wenn Sie sagen, Gewaltmonopol betont, das ist eine objektive Beschreibung, und jeder versucht natürlich, ein Verhältnis dazu zu finden. Wurde es überbetont?
    "Es gerieten also eher Bürger in die Fahndung"
    Müller: Es war nicht effektiv, die Fahndungsaktionen. Das lässt sich an den Akten der Innenministerien sehr gut zeigen. Es gab ja damals sogar den Versuch, einen Bundesfahndungstag einzurichten. Am 15. April 1975 startete der unter dem Motto "Aktion Frühlingssturm" mit Kontrollen auf Flughäfen, Bahnhöfen, an den Autobahnkreuzen. Alle Hubschrauber waren in der Regel in der Luft, um dem Bürger zu signalisieren, wir tun etwas. Aber es war nicht effektiv, was Verhaftungen anging. Die Fotografien auf Fahndungsplakaten waren veraltet, es gerieten also eher Bürger in die Fahndung, in die Kontrollen, die ähnliche Frisuren trugen wie zum Beispiel Christian Klar 1974, aber nicht die eigentlichen mutmaßlichen Täter.
    Müller-Ullrich: In dieser Hilflosigkeit spiegelt sich natürlich die Angst der Epoche.
    Müller: Die Fahndungsplakate waren auch ein Mittel, Bürger enger an den Staat anzubinden, also eine Fahndungsgemeinschaft zwischen Polizeibeamten und Gesellschaft zu begründen.
    Müller-Ullrich: Viel später fiel uns manches wie Schuppen von den Augen, als wir nämlich erfuhren, dass die DDR ihre Hand im Spiel hatte, möglicherweise sogar von Anbeginn an, wenn man etwas zurückgeht, bei der Ermordung von Benno Ohnesorg. Wie arbeiten Sie das ein?
    Müller: Es sind sehr viele offene Fragen, was die Rolle der Staatssicherheit bei den terroristischen Anschlägen, welche Rolle die Staatssicherheit da spielte. Wir versuchen, diese offenen Fragen auch zu benennen, indem wir mit Schlagzeilen arbeiten. Wir zeigen, dass die Täter, die 1970 im Mai Andreas Baader befreiten, dann über Ostberlin in den Nahen Osten fliegen, um sich dort weiter ausbilden zu lassen. Wir haben einen ehemaligen RAF-Aussteiger, Ralf Friedrich, der sehr eindrucksvoll erzählt, wie er sich in der DDR endgültig von der Idee des bewaffneten Kampfes löste.
    Müller-Ullrich: Eine der Folgen für die Gesellschaft war ja sicherlich auch (und vielleicht sogar die zerstörerischste) der Verlust des moralischen Kompasses bei vielen, Stichwort klammheimliche Freude.
    Müller: Was ich interessant fand war: Schon 1972, als es die ersten Bombenanschläge der RAF gab, haben sich gerade linksalternative Schüler, Studenten, Gruppen gegen die RAF gewandt. Es gibt dann später 1977 überparteiliche Kundgebungen, das sind die Trauer- und Schweigemärsche. Das war eine Möglichkeit für Bürger zu sagen, wir sind gegen diese Gewalt, wir wollen eine Fortentwicklung der Demokratie.
    Müller-Ullrich: Sabrina Müller, Kuratorin der Ausstellung "RAF - Terroristische Gewalt", die jetzt im Deutschen Historischen Museum Berlin zu sehen ist und ursprünglich im Haus der Geschichte Baden-Württemberg erarbeitet wurde.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.