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Ausstellung ZKM Karlsruhe
Lesbische Liebe und genmanipulierte Fische

Wenn Lynn Hershman Leeson heute vor allem als eine der ersten Video- und Medienkünstlerinnen gefeiert wird, dann liegt das daran, dass sie ihren performativen Ansatz stets weiterentwickelt hat. Illusionistischer Höhepunkt der Karlsruher Schau ist ein Genlabor: In einem Aquarium schwimmen genmanipulierte Leuchtfische.

Von Christian Gampert | 15.12.2014
    Die US-Filmemacherin Lynn-Hershman-Leeson posiert am 11.12.2014 in Karlsruhe (Baden-Württemberg) im Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) auf der Lynn-Hershman-Leeson-Schau "Civic Radar" vor dem Exponat "The Infinity Engine" an einer Wand mit Bildern. Foto: /dpa
    Die US-Filmemacherin Lynn-Hershman-Leeson posiert am 11.12.2014 in Karlsruhe (Baden-Württemberg) im Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) auf der Lynn-Hershman-Leeson-Schau "Civic Radar" vor dem Exponat "The Infinity Engine". (dpa / picture alliance / Ronald Wittek)
    Der Ausgangspunkt für Lynn Hershman Leesons Kunst ist die Maske: Was die Griechen fürs Theater nutzten und die Römer bei Beerdigungsritualen, wird bei Hershman Leeson Mittel der Selbsterkundung und der Mehrfach-Identität. Ihre ersten skulpturalen Objekte - in den 1960iger Jahren - sind Abformungen der eigenen Gesichtszüge, die dunkelbraun eingefärbt wurden, um die Benachteiligung der Schwarzen in den USA zu thematisieren. Dass diese Wachsabgüsse dann auch noch mit einem Soundtrack versehen waren, dass sie atmeten und "Breathing Machines" genannt wurden, verschaffte ihnen die zweifelhafte Ehre, aus dem Museum hinauszufliegen.
    "Das war in den 1960iger Jahren, in Berkeley. Manche Leute hatten damals einfach keine Stimme, ihre Meinung musste verstärkt werden. Das war der Anfang meiner Sound-Installationen, etwa gleichzeitig mit dem Free-Speech-Movement, und ich habe sozusagen die Medien gegen sich selbst gewendet."
    Kunstkritiken selbst geschrieben
    Frauen hatten in Museen damals sowieso nichts zu suchen, Schwarze auch nicht, trotz Love and Peace. Die studierte Kunsthistorikerin Hershman Leeson ging in der Medien-Nutzung allerdings noch ein Stück weiter. Unter den eigentlich doch auffälligen Pseudonymen Juris Prudence, Herbert Goode und Gay Abandon verfasste sie Kunstkritiken über sich selber – eine ziemlich erfolgreiche Strategie.
    "Ich habe einfach drei Kunstkritiker erfunden, die über meine Arbeit schrieben. Diese Artikel haben mir enorm geholfen, Ausstellungen zu bekommen.
    Wenn Hershman Leeson heute vor allem als eine der ersten Video- und Medienkünstlerinnen gefeiert wird, dann liegt das daran, dass sie ihren performativen Ansatz immer weiterentwickelt hat, unter Einsatz der neuesten Technologie. Illusionistischer Höhepunkt der Karlsruher Ausstellung ist eine ganz neue Arbeit, ein Genlabor, das wir durch eine Schleuse betreten. „Infinity Engine" heißt das Ganze: In einem Aquarium schwimmen genmanipulierte Leuchtfische, an den Wänden Aktenordner und Bilder genveränderter Lebewesen, Unmengen an Daten, stark riechende Chemikalien, und dann, ganz klein, eine von einem 3-D-Drucker erzeugte Gewebemasse, zur Nase geformt.
    Puppen mit Atemgeräuschen
    Hershman Leeson bezieht da nicht wirklich Stellung, sie zeigt nur vor. Schöne neue, schreckliche Welt, vom erkennungsdienstlichen Fingerprint bis zu künstlich erzeugten Körperteilen und Organen. Hershman ist eher auf dem Feld des Feminismus engagiert, und seltsamerweise sind gerade die frühen Arbeiten, die meist ohne viel Technik auskommen, die besten. 1973 mietete Hershman Leeson gemeinsam mit Eleanor Coppola ein Zimmer im eher schäbigen "Dante Hotel" in San Francisco, legte zwei weibliche Puppen eng nebeneinander ins Bett und ließ wieder das Band mit den Atemgeräuschen laufen.
    Potenzielle Zuschauer wurden durch Zeitungsannoncen geworben und konnten den Schlüssel an der Rezeption holen. Das Plädoyer für die lesbische Liebe konnte monatelang besichtigt werden, bis die Polizei kam. Im ZKM ist nun dieses bizarre Bühnenbild nachgebaut, und es ist weitaus überzeugender als viele der videogestützten oder gar interaktiven Arbeiten.
    Neues "genetisches Material" durch Geschlechtsverkehr
    Denn was nützt es, wenn wir die Kopfbewegungen einer synthetischen Figur auf dem Monitor manipulieren können? Was lernen wir in dem länglichen und subtil männerfeindlichen Science-Fiction-Film "Teknolust", wo eine Wissenschaftlerin drei Kopien von sich selbst herstellt, die sich durch Geschlechtsverkehr neues "genetisches Material" besorgen müssen?
    Viel origineller sind die Abenteuer von Hershmans Alter Ego Roberta Breitmore. In dieser Rolle führte die Künstlerin fünf Jahre lang ein Doppel- und Mehrfachleben, sie hatte unter dem Pseudonym Bankkonten und Liebesdates – eine Vorwegnahme heutiger Internet-Avatare. Die Ausstellung ist, wie fast immer im ZKM, eine Art Markt der Möglichkeiten. Aber erstaunlich ist es doch, dass bei Hershman Leeson das Konzeptuelle obsiegt und die Medienkunst nur dienende Funktion hat.