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Ausstellung zur Homosexualität
Von der Ächtung in die Mitte der Gesellschaft

Das Schwule Museum Berlin und das Deutsche Historische Museum zeigen in Kooperation die Ausstellung "Homosexualität_en". Ob Geschichte, Geschlechteridentitäten oder die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Sexualitäten: Die Kuratoren zeigen, dass Homosexuelle in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind.

Von Marietta Schwarz | 29.06.2015
    Eine grüne Ampel zeigt zwei Händchen haltende Männer.
    Weg frei für die gleichgeschlechtliche Liebe - dafür warben in Wien während des Eurovision Song Contests Ampeln. (imago/Elbner Europa)
    Auf der Leinwand Leder, nackte Haut und tonloses Stöhnen. Doch wer schläft in diesen Filmausschnitten mit wem? Wer ist Mann, wer Frau, und wer irgendwas dazwischen?
    In einem anderen Raum geht's um Haare. Dem einen wachsen sie, die andere hätte sie gerne. Oder ist sie schon ein "er"? Und so werden Haare verklebt und verpflanzt, wo sie hin-, und das Wachstum hormonell unterdrückt, wo sie wegsollen. Aus dem Spiel mit den Geschlechtern ist dann bitterer Ernst geworden.
    "Wenn man Geschlecht als eine Vielfalt von Merkmalen hat (sieht), kann man sagen, dass viele Leute irgendwo dazwischen liegen."
    Sagt Birgit Bosold, die die Ausstellung "Homosexualität_en" mit kuratiert hat und mehrfach auf den Unterstrich im Wort, den "gender gap" hinweist:
    "Queer, darunter verstehe ich: beyond gender. Diese komische Angewohnheit, dass wir Leute nach Geschlecht einteilen. Das ist so tief in uns drin, dass wir denken, das müsste so sein, aber es ist naturwissenschaftlich gar nicht nachvollziehbar, warum es jetzt nur zwei Geschlechter geben soll."
    Etwas weniger explizit als im Schwulen Museum wird diese Frage auch im Deutschen Historischen Museum verhandelt. Im Schaukasten liegen amerikanische Hochglanzmagazine, die Transsexuelle wie die Aktivistin Laverne Cox aus der Serie "Orange Is the New Black" auf den Titel holten – Bruce Jenner kam leider zu spät.
    Ein Beweis für die Ausstellungsmacher, dass nicht nur Homo- sondern auch Transsexualität in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Cox ist zweifelsohne schön, und die Serie cool. Aber ist es nicht eher so, dass von der Mitte der Gesellschaft allein die akzeptiert werden, die dann wieder dem gängigen Schönheitsideal (nämlich von Mann oder von Frau) entsprechen? Und dass der Bart im Gesicht einer schönen Frau dann doch polarisiert?
    Ein ganzes Kapitel der Ausstellung ist der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Sexualitäten gewidmet. Interessant! Der Sexualforscher Magnus Hirschfeld zum Beispiel konnte 1903 per Fragebogen herausfinden, das um die vier Prozent der Männer und Frauen sich für beide Geschlechter interessieren. Glaubt man dem Nachrichtenmagazin "Spiegel", so sind das heute 60 Prozent. Vor allem in den Großstädten ist ein bisschen bi sein Mode geworden. Mit den Emanzipationsbestrebungen von früher aber hat das kaum noch was zu tun.
    Homosexuelle gleich schwul?
    Lesbische Frauen sind in dieser Ausstellung übrigens mehr als üblich repräsentiert.
    "Wenn man heute jemanden auf Homosexuelle anspricht, sehen alle zwei schwule Männer", kritisiert Birgit Bosold. Und zeigt Frauen: Liselotte von der Pfalz im Jagdkostüm, 1678. Die "Damen von Llangollen", die berühmtesten Jungfrauen im Europa des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Die Schriftstellerinnen Gertrude Stein und Alice B. Toklas, da sind wir dann schon im 20. Jahrhundert.
    Birgit Bosold:
    "Es geht mir einfach um historische Korrektheit. Ohne das Engagement von lesbischen Frauen in der Bewegung wären wir heute nicht da wo wir sind. Es ist dem lesbischen Aktivismus zu verdanken, dass Feminismus da ist, wo er heute ist. Das wird aber nie miterzählt. "
    Und dann gibt es einen salonartigen Raum mit rührenden historischen Aufnahmen: ein Männerpaar in Uniform, Händchen haltend. Elegante Frauenpaare in Männerkleidern. Diese frühen Fotografien sind Teil einer Privatsammlung für homoerotische Kunst. Birgit Bosold weist bei dieser Gelegenheit auf die Schwierigkeiten hin, überhaupt an Exponate für eine solche Ausstellung zu kommen: Fündig werde man eher in kleinen Archiven der Szene-Aktivisten als zum Beispiel im Deutschen Historischen Museum selbst:
    "Wenn man sich mit der Geschichte der Homosexualitäten beschäftigt, hat man im Grunde eine doppelte Herausforderung: Einerseits wie bei allen marginalisierten Gruppen, dass einfach die Dinge nicht wichtig sind und aufgehoben werden, und im Bezug auf Homosexualität haben wir die Situation, dass es über die aller längste Zeit strafrechtlich verfolgt war, dass die Geschichte sehr stark geprägt ist von Zensur und Selbstzensur.
    Und so ist es beachtlich, dass es die so lange marginalisierte Gruppe der Homosexuellen jetzt ins Deutsche Historische Museum geschafft hat. Die Diskussion um die Homo-Ehe, die draußen geführt wird, mutet nach dem Ausstellungsbesuch dann doch ziemlich anachronistisch an.
    "Homosexualität_en" – im Deutschen Historischen Museum und im Schwulen Museum Berlin bis 1.12.2015 zu sehen.