Mittwoch, 24. April 2024

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Ausverkauf einer Brauerei-Nation

Sein Bier hat Tschechien zu Weltruhm verholfen, schließlich ist das Land die Wiege der Pilsener Brauart. Doch worauf die Tschechen stolz sind, gehört schon längst nicht mehr ihnen: Ausländische Großbrauerein haben nach der Wende begonnen, die namhaften tschechischen Markenbiere aufzukaufen.

Mit Reportagen von Daniel Satra; Moderation: Simonetta Dibbern; Redaktion: Ursula Welter | 17.05.2008
    Während die großen Industriebrauerein im globalen Wettbewerb bestehen müssen, entwickelt sich im Land der Biertrinker eine neue Nische: Mikrobrauereien entstehen allerorten und versprechen eine Renaissance der tschechischen Braukunst im Kleinen. Ein Ausflug auf den Pfaden der alten und neuen Bierkultur in Tschechien.

    Urquell tschechischer Trinkkultur - Der Enkelsohn des Schwejk-Erfinders über den rechten Pilsgenuss

    Mikrobrauerei mit langer Tradition - Ein Brauermeister im Prager Kloster Strahov über die Kunst, Hopfen und Malz zusammenzumischen

    Wie David gegen Goliath - Die Traditionsbrauerei in Cesky Budejowice wehrt sich gegen den Verkauf an ausländische Investoren

    Erweiterung des Geschmacks-Horizonts - Ein tschechischer Brauer bringt bayrische Biervielfalt auf den Markt

    Schaum muss sein - Ein Schankwirt aus Budweis über das perfekt gezapfte Bier

    Ein Braumeister einer kleinen Klosterbrauerei in Prag über das gewachsene Qualitätsbewusstsein der Konsumenten:

    "Es ist jetzt eine neue Bewegung entstanden. Wenn die Leute das Bier aus einer Mikrobrauerei probieren und es ist ein gutes Bier, dann sind sie auch bereit mehr dafür zu zahlen. Das ist wie mit Wein. Es gibt Wein aus dem Tetrapack, und es gibt teuren Wein."

    Und ein Geschäftsführer der letzten großen Staatsbrauerei in Budweis über den Kampf im internationalen Wettbewerb:

    "Unsre Marketingstrategie wird auch in Zukunft auf Qualität und auf die traditionellen Eigenschaften unsrer Produkte setzen, das heißt: Wir wollen auch zukünftig das so genannte ‚ehrliche tschechische Bier’ herstellen, eine Top-Premium-Marke."

    Gesichter Europas - Ausverkauf einer Brauerei-Nation - Die tschechische Bierkultur im Umbruch. Mit Reportagen von Daniel Satra. Am Mikrophon begrüßt Sie Simonetta Dibbern.

    Mittendrin im Gassengewirr der Prager Innenstadt ist einer dieser Orte, der tschechische Bierkultur verheißt. Doch wer die Türschwelle überschreitet und einen Blick in den rappelvollen Schankraum wirft, dem bietet sich ein für tschechische Kneipen ungewohntes Bild: Kinder turnen zwischen Holzbänken und Kinderwagen, ihre Eltern unterhalten sich in Dutzenden Sprachen über die Ränder ihrer Biergläser hinweg. Diese berühmteste Bierstube Prags heißt "U Fleku" - tschechisch "Bei Fleck", benannt nach ihrem Gründer. "U Fleku" ist vor allem für Touristen ein verheißungsvoller Ort. Die Jahreszahl 1499 steht auf dem Bierdeckel, auch deshalb wähnen die Ausländer hier wohl die Wiege der Bierkultur des Landes und bekommen – so wie eine Familie aus Russland am Nachbartisch – dann doch nur ein Ständchen auf ihre eigene Kultur:

    Für die russische Familie die russische Volkswaise, zwei Tische weiter spielen die beiden Musiker an Tuba und Akkordeon dann deutsches Liedgut für die Gäste aus dem Nachbarland, und am Tisch in der Ecke bekommen vier junge Briten ihr Bier. Ihre schon leicht trüben Blicke verraten: Es ist heute nicht ihr erstes. Und immer wenn die bierseeligen Gäste dem Tuba-Spieler ein paar Münzen in den Hals seines Instruments werfen, bedankt sich dieses mit einem eigenwilligen Tusch:

    Urigkeit ist hier Programm: Unter der holzvertäfelten Decke hängen Glühbirnen in eiserne Kronleuchter geschraubt. Sie geben nur schummriges Licht. Unten, an den mächtigen Tischen, haben schon viele durstige Touristen gesessen: "Tiamo" steht hier ins Holz geritzt, oder "Tamara liebt Oleg". Daneben liegen Prag-Reiseführer und Digitalkamera. Schnell noch ein Foto vom Kellner, der mit großem Tablett flink Biergläser im Raum verteilt. Immerhin, hier "U Fleku" wird selbst gebraut, das süßliche Schwarzbier schmeckt ein wenig nach Karamell, lässt sich in großen Zügen trinken, auch wenn es nur in kleinen Gläsern zu 0,4 Litern gereicht wird – und, weil Tschechien das Land der halben Liter ist, meiden die Prager schon längst diesen Ort der vermeintlich tschechischen Bierkultur.

    In keinem anderen Land der Welt wird soviel Bier getrunken: mit 162 Litern pro Kopf und Jahr liegt Tschechien weltweit an der Spitze des Bierkonsums – mit eingerechnet sind dabei allerdings die trinkfreudigen Touristen, die zumeist nur ein einziges Wort der Landessprache kennen: pivo. Doch Bier ist nicht gleich Bier: seit der Öffnung des tschechischen Marktes nach der politischen Wende Anfang der 90er Jahre hat sich auch die Welt des tschechischen Biers radikal verändert. Bis auf eine sind alle namhaften Brauereien an ausländische Investoren verkauft worden, die Tschechen fürchten um ihren Ruf als Biernation, weniger was die Quantität, als was die Qualität angeht. Schließlich ist Bier in Böhmen und Mähren seit Jahrhunderten mehr als ein Getränk: ganz gleich ob Helles, Schwarz- oder Lagerbier: Bier ist Nationalgut, das Pils der Urquell tschechischer Trinkkultur. Und die pivnice, die Kneipe, ist nach wie vor Drehscheibe der tschechischen Gesellschaft, der Ort, wo gedacht und gelacht, philosophiert und: getrunken wird. Auf tschechisch.

    Reportage 1
    Ein paar Stationen mit der Straßenbahn, dorthin, wo der Prager sich bei seinem Bier wohl fühlt. Einmal über die Moldau, am Rand der Altstadt liegt Holešovice, ein alter Arbeiterstadtteil.

    Unten in einem Wohnhaus aus der Gründerzeit sitzt Richard Hašek in der Kneipe "U Houbaře" – "Zum Pilzsammler". Hašek ist gut gelaunt, gerade kommt er von einer Reisemesse zurück, wo er als braver Soldat Schwejk verkleidet Bücher signiert hat – der 59-Jährige ist bekennender Verfechter tschechischer Stammtischkultur - und er ist vor allem der Enkel des Schriftstellers Jaroslav Hašek. Dieser schrieb vor fast 90 Jahren "Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk" und erntete Weltruhm – und wer Richard Hašek vor sich sitzen sieht, muss staunen über die Ähnlichkeit mit dem berühmtesten Soldaten Österreich-Ungarns: Listig und verschmitzt blicken die kleinen Augen aus einem runden Gesicht, unzählige Lachfalten zeugen davon, dass dieser kleine Mann die gute Laune pflegt:

    "Wir gehen in die Kneipe, um uns frei zu machen, geistig frei zu machen. Dabei spielt auch das Bier eine Rolle, es ist so etwas wie ein Beschleuniger. Die Kneipe verschafft uns eine ganz besondere Gemeinschaft, insbesondere in Tschechien gehört das zur Kultur, die Kneipe ist ein nationaler Ort, hier in Tschechien wurde in der Kneipe Geschichte geschrieben."

    Geschichte und vor allem Geschichten wurden hier geschrieben – viele Literaten haben die tschechische Kneipe als Ort der Inspiration besucht. Jan Neruda, Egon Erwin Kisch, Bohumil Hrabal – ohne Kneipe wären viele ihrer Buchseiten leer geblieben. Jaroslav Hašek hat hier seinen Schwejk aufs Papier gebracht und so seine Erlebnisse als Soldat und Deserteur im Ersten Weltkrieg in eine antimilitaristische Satire gegossen. Ohne Bier, ohne das Leben als Stammgast, wären der Roman und all die humoristischen Erzählungen seines Großvaters nie entstanden:

    "Mit jemanden gemeinsam trinken, dazu der Kneipenlärm , dieses Umfeld, das mich wie ein Magnet an meinen Stuhl fesselt, diese Empfänglichkeit, die Fantasie, das Gerede, die Diskussionen, die etwas andere Sicht auf die Dinge, die ganzen Anekdoten drum herum – das ist das Erstaunliche, das ist eigentlich schon Literatur – und mein Großvater konnte all dies übersetzen in seine Geschichten."

    Der Enkel Richard Hašek sitzt da, vor seinem halben Liter Pilsner Urquell, und freut sich. Am Tisch links von ihm erzählen sie Witze, am Tisch rechts ist einer mit verschränkten Armen über seinem Bier eingenickt. Hašeks tschechische Kneipenwelt ist in bester Ordnung. Die Gardinen am Fenster hinter ihm haben dasselbe Muster wie das Deckchen vor ihm auf dem Tisch: Tannengrün-rot kariert. Die alte Waage und die ledernen Skischuhe, die als Dekoration auf der Fensterbank stehen, stammen noch aus der Zeit, als sein Großvater in Prager Bierstuben seine Erzählungen in eine Kladde schrieb. 85 Jahre ist sein Tod jetzt her. Und als wäre nichts gewesen: Ein paar Straßenbahnbahnstationen entfernt von Trubel und Touristen wird die tschechische Bierkultur wie in alten Zeiten gelebt: Kaum ist das Glas leer, stellt der Kellner ungefragt im Vorbeigehen ein frisch Gezapftes auf dem Tisch ab – wie es sich hierzulande gehört. Es ist das dritte Bier heute und nach einem bedächtigen Schluck fällt Hašek ein literarisches Schlusswort ein:

    "Der Schriftsteller Hrabal sagte mal: Nach dem dritten Bier ein Genie, nach dem zehnten ein Vollidiot."

    Dass sich im Bierrausch gut schreiben lässt – das hat wohl keiner so überzeugend bewiesen wie Bohumil Hrabal. Der tschechische Autor hat in vielen seiner Romane und Erzählungen dem Kneipenleben ein literarisch-süffiges Denkmal gesetzt und den wortgewaltigen Fabulierern an den Theken und Tischen einen Namen gegeben: die Bafler. Ein Fantasiewort, das als Verb Einzug gefunden hat in die tschechische Sprache: bafeln bedeutet: bierselig schwadronieren mit möglichem Erkenntnis- und größtmöglichem Lustgewinn. Schon als Kind hatte Hrabal Bierdunst eingeatmet: sein Stiefvater war Brauereiverwalter im böhmischen Städtchen Nymburk gewesen, Anfang der 20er Jahre. Und so bestimmt das Leben der Brauer und Böttcher auch den ersten Teil seiner Familienchronik "Das Städtchen am Wasser" - erzählt aus der Perspektive der Mutter.

    Aus: B. Hrabal: "Städtchen am Wasser"
    Die Böttcher hatten ihr Frühstück beendet, der Meister stand jetzt zwischen den Fässern, wie der Schäfer zwischen seinen Schafen steht, gut hundert dieser Rundlinge lagen da, und der Meister bückte sich bei dem einen oder anderen, steckte eine brennende Kerze, die an einem geflochtenen Draht befestigt war, in die Höhlung und prüfte mit kritischem Blick, ob das Fass bald schon mit Bier gefüllt werden konnte oder ob es noch einmal ausgepicht werden musste, währenddessen legte Onkel Pepin in einem großen Ofen immer wieder Anthrazit und Koks nach, damit das Pech flüssig blieb, dumpfes Dröhnen entrang sich dem Ofen, in dem das Feuer rumorte.
    Die Kutscher beluden ihre Bierwagen mit frisch gefüllten, noch nassen Fässern, danach schleppten sie Bottiche mit Eis heran, der Herr Braumeister reichte mir eine Maß orangenfarbenen Bieres, das Glas war mit tausend Tröpfchen niedergeschlagenen Dampfes übersät, ich trank mit Lust, mit einer solchen Lust, dass die Kutscher beim Verladen innehielten und mir von der Rampe aus zuschauten.
    Der Braumeister nahm mir den Krug sofort ab, lachte und ging in die Füllkammer, ich wusste, er würde mir diesmal mit einer einzigen Hebelbewegung gerade soviel Lagerbier in das Glas schenken, dass er noch einen guten Schnitt vom Schwarzen Granat dazufüllen konnte, ein derart verschnittenes Bier erzeugt im ganzen Körper ein wohliges Summen, die belgischen Wallache schienen es zu wittern, sie wedelten auf einmal mit ihren gerstenfarbenen Schweifen und wieherten, woraufhin ein Kutscher in die Füllkammer ging und mit zwei Blechnäpfen voll dunklem Bier wiederkam, er hielt sie den Wallachen vor die Mäuler, die Tiere nahmen die Napfränder zwischen die Zähne und zogen die Zügel lang, damit sie besser trinken konnten, sie tranken und tranken, hoben schließlich die Köpfe, damit ihnen auch noch der letzte Tropfen Bier in die Kehle rann. Der Kutscher grinste und nickte mir zu, ich nickte den Pferden zu, und die Pferde nickten zurück, da kam der Braumeister aus der Füllkammer, kniete auf der Rampe nieder und reichte mir die frische Maß, ich roch an der Borte und sagte ins Glas "Eine köstliche Mutra", dann setzte ich an und sog langsam das köstliche Nass ein, ganz langsam und milde labte ich mich an dem Verschnitt aus hellem Lagerbier und Schwarzem Granat, eben der Mutra, wie unsere Mälzer sagten, ich trank fast zärtlich, so wie an lauen Sommerabenden der Unbekannte irgendwo hinter der Brauerei das Flügelhorn spielte.


    Die Kunst, aus gegärtem Getreide ein schmackhaftes und sättigendes, aber auch berauschendes Getränk zu kreieren, geht zurück bis in vorchristliche Jahrtausende. Nach Mesopotamien, zu den Assyrern und Sumerern. Den Ägyptern galt der gegärte Getreidesaft als Getränk der Götter. Und auch Kelten und Germanen hatten Rezepte für Brausäfte verschiedenster Geschmacksrichtungen. Doch es waren wohl Slawen gewesen, die auf die Idee kamen, den Gerstensaft mit Hopfen zu versetzen, mit jenem aromatischen Bitterstoff also, der das ausmacht, was wir heute Bier nennen: im Jahre 993 soll das erste Bier auf tschechischem Boden gebraut worden sein, im Benediktinerkloster Brevnov in Nordböhmen, aus Hopfen, Gerstenmalz und Wasser. Und es blieb zunächst Privileg der Mönche, Bier zu brauen - zumeist mit klostereigenem Quellwasser. Getrunken jedoch wurde in allen Schichten der mittelalterlichen Bevölkerung, auch Kinder durften, ja: sollten Bier trinken: war das durch den Brauprozess keimfrei gemachte Getränk doch gesünder als ungefiltertes Brunnenwasser. Und satt machte es auch.In vielen europäischen Klöstern besteht die Biertradition bis heute - im ehemals sozialistischen Tschechien wird die alchemistische Braukunst der Mönche erst seit einigen Jahren wieder neu entdeckt.

    Reportage 2
    Mikrobrauerei mit langer Tradition: Klosterbier aus Strahov

    Über den Dächern der Kleinseite auf dem Prager Laurenziberg erhebt sich das Strahov-Kloster. Seit fast 900 Jahren wacht der weiße Bau mit seinen Kirchtürmen über dem Moldautal - noch oberhalb der Prager Burg Hradschin. In der Klosterbrauerei hat heute Braumeister Martin Matuška das Sagen. Der 47-Jährige beugt seinen Kopf über die Öffnung des kupfernen Kessels und blickt prüfend in die dampfende Flüssigkeit:

    "Was hier gerade passiert, nennt man Hopfenkochen, also das Zerkochen von Hopfen und Malz, daraus entsteht dann die Bierwürze. Das dauert etwa eineinhalb Stunden. Das Ziel dieser Prozedur ist, die Bierwürze steril zu machen, die richtige Stammwürze zu erhalten und die richtige Bitterkeit zu erzielen, die das Bier am Ende haben soll."

    Ein schwerer, süßer Malzduft aus dem Kessel erfüllt den Raum, trotz der beiden Fenster, die auf Kipp stehen. Das Sudhaus mit den beiden Kesseln, die bis unter die Decke reichen, ist Teil der Bierstube. Denn die Klosterbrauerei ist heute eine Gastwirtschaft. Der Kunde soll sehen, wie das entsteht, was er trinkt.

    Das Rezept für das heutige Kloster-Bier ist Matuškas eigene Erfindung. Vor sieben Jahren hat er hier begonnen sein "Sankt Norbert" zu brauen - benannt ist es nach dem ersten Vorsteher des Strahov-Klosters aus dem 12. Jahrhundert. Das Bier ist weder pasteurisiert noch gefiltert und hat im Glas einen goldbraunen Schimmer. Ein klassisches Pilsener mitteleuropäischer Prägung, im Geschmack voll, Alkoholanteil 5,3 Prozent.

    "Es ist so wie hier früher das Bier gebraut wurde, mit ehrlichen Mitteln, mit den besten Rohstoffen. Die ganzen Industriebiere, die heute in Tschechien gebraut werden, haben doch einen ganz anderen Charakter, als die Biere, die es hierzulande noch vor 150 Jahren gab."

    Und diesen besonderen Charakter, den Biergeschmack mit Tradition, schätzen tschechische Biertrinker von heute, ist sich Matuška sicher. In den vergangenen Jahren sind zahlreiche neue Mikrobrauereien in Tschechien entstanden. Gab es nach der Wende von 1989 nur eine, sind es heute über 70, und jährlich kommen neue hinzu. Jede Mikrobrauerei stellt ihr eigenes Bier her, hat ihren eigenen Braumeister, und alle folgen demselben Grundsatz: Dort, wo das Bier gebraut wird, wird es auch getrunken – kein Verkauf in Flaschen, kein Export. Edler Gerstensaft in kleinen Mengen, frisch gezapft - und die Leute kommen:

    "Es ist jetzt eine neue Bewegung entstanden. Wenn die Leute das Bier aus einer Mikrobrauerei probieren und es ist ein gutes Bier, dann sind sie auch bereit, mehr dafür zu zahlen. Das ist wie mit Wein. Es gibt Wein aus dem Tetrapack, und es gibt teuren Wein."
    Eine neue Bewegung in tschechischen Bierstuben. Und Braumeister Matuška und sein "Sankt Norbert" sind ganz vorne mit dabei. Das dokumentieren die Urkunden, die an der weiß verputzten Wand des Schankraums hängen: "Bier des Jahres 2007" und "Braumeister des Jahres 2006", heißt es dort – vergeben an die Klosterbrauerei von den "Freunden des tschechischen Bieres" – wer diesen Verein in Tschechien überzeugt hat, muss sich um seinen Ruf als Brauer keine Sorgen machen.

    Matuška ist ein hagerer und hoch gewachsener Mann ganz ohne Bierbauch, er will von dem Lob nichts wissen. Das sei am Ende ja doch nur eine Geschmacksfrage, sagt er bescheiden. Doch sicher ist: Matuška beherrscht sein Handwerk und genießt inzwischen internationalen Ruf: Er hat Brauer-Schulungen in Dänemark, Tunesien, Korea und Japan abgehalten. Und im amerikanischen San Diego sitzt er dieses Jahr zum zweiten Mal in der internationalen Jury der "Bier-Olympiade".

    Klöster waren schon immer Zentren böhmischer Braukunst. Nur ein paar Schritte von der Brauerei entfernt über das Kopfsteinpflaster des Hofs führen die Spuren bis tief in die Geschichte dieses Ortes. Hinter einer schweren Holztür verbergen sich die Schätze des Klosters: Zahllose Bücher, Handschriften und historische Landkarten reihen sich in Regalen rechts und links des gewölbten Saals fast sieben Meter in die Höhe. Die Luft ist kühl, es riecht nach kaltem Staub. Die Strahov-Bibliothek ist eine der bedeutendsten und ältesten des Landes, in ihren Schriften ist auch die Geschichte des Klosters aufgeschrieben. Die Bibliothekarin Hedvika Kuchářová archiviert alte Drucke und recherchiert in der Bücherhalle, wenn Wissenschaftler sie auf der Suche nach alten Quellen um Rat bitten. Immer wieder entdeckt sie auch Hinweise auf die Brautradition des Klosters:

    ''Hier wurde schon immer Bier gebraut - die ersten schriftlichen Belege darüber stammen aus dem 15. Jahrhundert. Das Bierbrauen wird dabei immer als Selbstverständlichkeit beschrieben, denn zu jedem Kloster in Tschechien gehörte auch eine kleine Brauerei. Es gab auch keine Alternative, denn vor allem im 16. und 17. Jahrhundert gab es oft kein sauberes Trinkwasser, also blieb zum Trinken nur Wein oder Bier. Und weil hier kein Wein angebaut wurde, gab es eben Bier.''

    Bier als Alltagsgetränk im Kloster, gebraut für den täglichen Durst der Abteibewohner – in guten Zeiten immerhin 70 Männer. Kuchářová hat neben schriftlichen Quellen auch ein Foto gefunden, das die Brauaktivitäten in der jüngeren Geschichte belegt:

    "Das ist wohl die älteste Fotografie der Klosterbrauerei, aus dem Jahr 1862. Man sieht, dass das Gebäude nicht besonders groß war, eher ein Anbau, auch der Schornstein ist viel kleiner als die der großen Stadteilbrauereien. Hier wurde also nur für den Eigenbedarf im Kloster gebraut."

    In dem Kleinbetrieb der Klosterbrauerei heute, stochert Brauergehilfe Honza Martinka mit einer Schaufel in einem der zwei Kessel in der Bierstube. Der 22-Jährige sieht abenteuerlustig aus - mit seinem Kapuzenpullover und dem lockigen Haarschopf. Bevor er hier an die Kessel der Mikrobrauerei kam, hat er die Prager Schule für Lebensmitteltechnik besucht – Schwerpunkt Gärungschemie.

    "Ich hab vor allem die großen Brauereien gesehen, das hat mir nicht so gefallen. Dann hat mir mein Bruder von dieser Schule erzählt, und weil ich sowieso nicht wusste, was ich sonst machen soll, bin ich dort hingegangen. Denn vorher bin ich vom Gymnasium geflogen, ich war wohl ein bisschen faul."

    Mittlerweile kennt Martinka sich gut aus, weiß genau, auf wie viel Grad er den Gerstenschrot im Wasser des Kessels erhitzen muss, damit er die wertvollen Malzstoffe heraus lässt. Säckeweise schaufelt Martinka die nassen Überreste der Gerste jetzt aus dem Kessel. Trotz körperlich anstrengender Arbeit: Martinka ist begeistert vom Bierbrauen im Kleinformat. Eine eigene Mikrobauerei eröffnen – das wäre zwar sein Traum, aber auch nicht so einfach, dafür fehlt vor allem das Geld. Seine Zukunft plant der Brauergehilfe lieber zurückhaltender:

    "Erstmal muss man Erfahrungen sammeln, und da ist es keineswegs falsch hier als Brauergehilfe alles Nötige zu lernen. Wenn dann irgendwo eine neue Mikrobrauerei eröffnet, würde ich dort gern als Braumeister arbeiten."

    Mehr Lust auf Bier – die Nachfrage wächst. Auch auf internationaler Ebene, das Jahr 2007 war wieder einmal ein Rekordjahr: dabei konnte China sich an erster Stelle behaupten, gefolgt von den USA und Deutschland. Und auch in Tschechien wurde zugelegt: insgesamt wurden hier im vergangenen Jahr mehr als 20 Millionen Hektoliter Bier gebraut: für den Binnenmarkt und für den Export. Dabei ist Deutschland der wichtigste Handelspartner, vor der Slowakei. Auf dem Weltmarkt ist tschechisches Bier längst zwar ein kleiner, aber ein feiner global player – und die Gewinnaussichten haben internationale Konzerne ins Fass geholt: die größten Brauereien des Landes sind lange schon in der Hand ausländischer Investoren. Nur das Traditionsbier aus dem südböhmischen Cesky Budejovice, seit Jahren "Bier des Jahres" bei Umfragen in Tschechien, will tschechisch bleiben. Obwohl – oder weil – es das Bier ist, das sich seit jeher gegenüber internationalen Konkurrenten behaupten muss. Als Budweiser Budvar.

    Reportage 3
    Davids Kampf gegen Goliath
    Besuch im Brauhaus von Budweiser Budvar

    Wir stehen im Herzen der Brauerei: Vier riesige Kupferkessel, so groß wie Doppelgaragen ragen blank poliert in die Halle – wir sind im Sudhaus. Die Fensterfront reicht über zehn Meter in die Höhe, ein leichter Malzduft hängt in der Luft.

    Josef Tolar steht an einer Kupfer-Rinne und wirft einen prüfenden Blick auf die vorbei fließende Maische. Mit seinen 65 Jahren ist er schon fast in Rente. Bei Budweiser Budvar hat er vor über 40 Jahren angefangen. Er hat hier den Prager Frühling miterlebt, die Ära des eiskalten Staatskommunismus danach – und: Er hat die Brauerei durch die Wendejahre Anfang der 90er begleitet. Schon damals war er Erster Braumeister und Wächter über den Budweiser Biergeschmack.

    Heute steht Tolar mit akkurat gestutztem grauen Schnauzbart und Sacko im Sudhaus und blinzelt durch eine altmodische Brille. Über die Schulter eines Mitarbeiters hinweg guckt er auf zwei Computer-Flachbildschirme:

    "Hier auf dem Computer sehen wir die einzelnen Positionen des Brauhauses, der Mitarbeiter kann von hier aus jeden Schritt der Produktion ansteuern. Er beobachtet auf diese Weise den Brau-Prozess und kontrolliert, ob alles nach Plan läuft. Im Ausnahmefall kann er von hier aus auch in den Prozess eingreifen."

    Aber nur im Ausnahmefall, denn eine hochmoderne Bierproduktion mit Hunderttausenden Hektolitern verlange genaue Formeln, damit das Budweiser auch immer das Budweiser bleibe: Alles ist festgelegt, kein Gramm Gerstenmalz, kein Liter Wasser gelangt in den Brauprozess, ohne am Rande der Halle vom Computerarbeitsplatz aus kontrolliert zu werden. Dutzende Temperaturanzeigen auf den beiden Bildschirmen zeigen, bei welcher Hitze die Rohstoffe des Bieres gerade in den Kesseln gekocht werden.

    Allein der Hopfen stört: Etwa 15 olivegrüne, derbe Stoffsäcke mit den getrockneten und geheckselten Fruchtzapfen der Hopfenpflanze stehen neben dem Sudkessel – in der sonst so klinisch reinen Halle sehen sie aus wie Relikte aus längst vergangenen Brauereitagen.

    "Die Arbeit ist heute eine Kombination aus automatischen und manuellen Prozessen, der Hopfen zum Beispiel wird noch per Hand in den Kessel gefüllt."

    Dass die politische Wende erst 1989 kam, war für die Brauerei ein Glück meint Tolar – natürlich nur aus rein fachlicher Perspektive. Denn während hinter dem Eisernen Vorhang im Westen schon längst die Modernisierung nach den großen Industriebrauereien griff, blieb die tschechische Staatsbrauerei von vielen Entwicklungen abgeschirmt, und das Budweiser Bier in seinem Charakter war nicht bedroht.

    "Die technologischen Neuerungen kamen hier mit einer Verspätung an, das hat uns geholfen unsere Tradition zu bewahren , so konnten wir diesem Trend hin zum Euro-Bier und zur Kommerzialisierung etwas ausweichen."

    Stolz schaut er den riesigen stählernen Gärungstanks empor – über 30 von ihnen reihen sich hier im Keller aneinander. Die Sonderanfertigungen aus Deutschland sind Teil der Modernisierung nach der Wende gewesen. Mehr als 70 Millionen Euro sind seit damals in die Erneuerung der letzten tschechischen Staatsbrauerei geflossen. Auch beim Kauf der Flaschenabfüllanlage hat Budweiser Budvar das teure Ausland nicht gescheut: Simonazzi heißt das italienische Fabrikat, das den Gerstensaft hier in die Flasche bringt. Hinter der Befüllungsanlage stehen zwei Lkw-große Spülmaschinen – geliefert von einer Firma aus Dortmund. Staatsbetrieb hin oder her, wer im globalen Wettbewerb mitmischen will, muss sich wappnen, meint Tolar, und guckt ernst. Konkurrenz fürchtet er seit jüngstem vor allem bei den Rohstoffen:

    "Das erste Mal seit ich in der Branche arbeite, mussten wir unsere Großhändler fast schon zwingen, dass sie noch mehr auftreiben, damit wir überhaupt weiterbrauen können. Bei Hopfen und Brauergerste ging es sogar so weit, dass alle völlig ohne Rücksicht auf die Preise eingekauft haben, nach dem Motto: ‚Kaufen muss ich sowieso, also zahle ich, was verlangt wird’ - und trotzdem war am Ende nicht genug da. Eine wirklich sehr ungewöhnliche Situation."

    Tolar, der alte Budweiser Braumeister, scheint ein wenig ratlos. Aber er wird es in Zukunft nicht mehr richten müssen. Er hat den Betrieb aus der sozialistischen Vergangenheit in die Gegenwart geholt und dabei die Zahl der gebrauten Hektoliter knapp verdreifacht: 1990 waren es noch 450.000, heute sind es über 1,2 Millionen Hektoliter Budweiser Budvar, die die Brauerei jährlich verlassen.

    Dominika Kovaříková ist erst zwei Jahre bei Budweiser Budvar, sie trägt einen modischen Pony-Haarschnitt und auf ihrer Visitenkarte steht "Area manager". Die 27-Jährige kümmert sich um den Export nach Deutschland, und spricht fließend deutsch – fast die Hälfte der Budweiser Bierproduktion geht ins Ausland, erklärt Kovaříková:

    "Dadurch kann man sehen, wie wichtig für uns der Export ist, und ein Drittel des Exports geht nach Deutschland, das sind 200.000 Hektoliter. Seit Jahrzehnten exportieren wir nach Deutschland, das mit Abstand unser wichtigster Exportmarkt ist."

    Ihr gegenüber am Tisch sitzt Petr Samec von der Geschäftsführung und nickt zustimmend. Auch wenn seine Deutschkenntnisse für ein Gespräch nicht ausreichen – die Worte "Export" und "Deutschland" kennt er, es gibt sie, seit es Budweiser Budvar gibt. Und auch wenn das Bier im Vergleich ein kleiner Fisch auf dem deutschen Markt ist, gibt man sich selbstbewusst:

    "Obwohl der Verbrauch in Deutschland, was Bier angeht sinkt, hat unser Export nach Deutschland zugenommen, und zwar um zwei Prozent."

    Die Deutschen trinken zwar jährlich weniger Bier, dafür greifen sie zunehmend zu Budweiser. Und das, obwohl das südböhmische Bier im deutschen Supermarktregal zu den teuren Sorten gehört, teurer als zum Beispiel Becks oder Warsteiner. Im tschechischen Staatsbetrieb kennt man längst alle Instrumente der Marktwirtschaft: Deutsches Konsumverhalten, Kundenbefragungen und ein ausgetüfteltes Marketing – das Ergebnis fasst der Vertreter der Geschäftsführung zusammen: Budweiser Budvar ist eine "Premium-Marke", sagt Petr Samec, ein Edelbier, für das die Leute gerne mehr ausgeben – und zwar weltweit:

    "Unsre Marketingstrategie wird auch in Zukunft auf Qualität und auf die traditionellen Eigenschaften unsrer Produkte setzen, das heißt: Wir wollen auch zukünftig das so genannte ‚ehrliche tschechische Bier’ herstellen , eine Top-Premium-Marke."

    Und genau das – die Marke - bereitet Samec seit Jahren Kopfzerbrechen. Er hat ein Buch mitgebracht, die Budweiser Brauerei-Geschichte. Ein Blick verrät schnell, auch dieses Buch folgt einer Marketingstrategie: Kapitel zehn heißt biblisch "David gegen Goliath" – und veranschaulicht die Gefühlslage von Samec und seinen Kollegen hier – die kleinen Budweiser Davids bedroht durch den bösen Riesen, den US-Bier-Giganten Anheuser-Busch. Beide beanspruchen die Marke "Budweiser" im Ausland, und weil jeder Staat der Welt ein eigenes Markenrecht hat, führen die Tschechen und die Amerikaner seit 100 Jahren Streit vor Gerichten in aller Welt:

    "Man muss diesen Streit nicht emotional nehmen, es geht einfach darum die Grenzen auszuloten. Es muss für jedes Land geklärt werden, ob dort unsre Fahne weht, oder die unsres Gegners. Jedes dieser Gerichtsverfahren dauert fünf bis zehn Jahre."

    15 Verfahren laufen gegenwärtig noch, Ausgang ungewiss. Dennoch ist Samec siegessicher, schließlich habe man in den vergangen sieben Jahren 69 Mal gewonnen, die Konkurrenz aus den USA nur zwölf Mal.

    Ungewiss bleibt auch, ob Budweiser Budvar den Ausgang der Verfahren noch als Staatsbetrieb erleben wird. Denn das ist die zweite große Sorge hier: Die tschechische Regierung im 160 Kilometer entfernten Prag prüft den Verkauf des letzten großen tschechischen Bierbrauers. Das könnte dem Staat auf einen Schlag irgendetwas zwischen 500 und 700 Millionen Euro bringen. Petr Samec schaut in sein Bierglas und überlegt - er wählt seine Worte mit Bedacht:

    "So wie es jetzt aussieht, wird nicht über einen Verkauf von Budweiser geredet, sondern über eine Umwandlung von einem Staatsbetrieb in eine Aktiengesellschaft mit 100 Prozent Staatsanteil."

    Auch wenn er es nicht laut sagt, Samec weiß, was das bedeutet: Gibt es erst einmal eine Aktiengesellschaft, kann schnell verkauft werden. Und wer weiß, vielleicht entscheidet sich der Goliath Anheuser-Busch dafür, den tschechischen David aus Budweis mit seinen 700 Mitarbeitern zu übernehmen. Doch ob es so kommen wird - Petr Samec weiß es nicht und nimmt erstmal einen großen Schluck Bier – solange das Budweiser hier noch so wie immer schmeckt.

    Um die Quantität ihres Bieres brauchen sich die tschechischen Brauer keine Sorgen zu machen – die großen Brauereien des Landes können den wachsenden Bedarf problemlos erfüllen. Und so liegt ihr Augenmerk zunehmend auf der Qualität: "Tschechisches Bier" soll Schutzmarke werden, ebenso wie italienischer Schinken aus Parma oder Schweizer Käse aus dem Emmental. Gleich nach dem EU-Beitritt 2004 hat die Vereinigung tschechischer Brauer das Qualitätssiegel in Brüssel beantragt – noch in diesem Jahr wird die Entscheidung erwartet. Bei dem Schutzmarkenstreit geht es um die Qualität der Rohstoffe: Hopfen, Malz, Wasser. Um die traditionellen Brau-Verfahren aus Budweis oder Pilsen. Und nicht zuletzt geht es: um die tschechische Identität. Die allerdings lässt sich nicht in EU-Richtlinien messen. Neben den zur Zeit 45 industriellen Brauereien in Tschechien wächst die Zahl an Privat- oder: Mikrobrauereien. An die 70 solcher Kleinbetriebe gibt es inzwischen, geführt von Braumeistern, die ihr eigenes Bier brauen, nach alter tschechischer oder nach selbst erfundener Rezeptur, gezapft wird ausschließlich vor Ort, im kleinen Brauhaus, direkt aus dem Fass. Der kommerzielle Aspekt ist dabei Nebensache: an erster Stelle stehen Stolz und Idealismus. Und manchmal auch eine Mission.

    Reportage 4
    Weiterbildung für Trinker und Brauer : ein Tscheche aus Bayern

    "Ich braue nach dem Geschmack, nicht nach Ländergrenzen, nach Religion oder Hautfarbe, das spielt alles keine Rolle, das ist mir Wurscht."

    Er steht da, in Jeans und Pullover vor den beiden Kupferkesseln, die bis an die Decke seiner Prager Kneipe reichen. Sein Haar ist leicht angegraut und verwuschelt, der Drei-Tage-Bart hat sich zu einem 5-Tage-Bart ausgewachsen, und ein stolzer Bauch zeigt, dass dieser František seinem Bier treu ist. Im Stadtteil Kobilisy, fernab der Prager Innenstadt, hat er seine Mini-Brauerei eröffnet, seinen Traum vom eigenen Bier wahr gemacht. Und damit zuallererst die Nachbarschaft in diesem Einfache-Leute-Stadtteil überfordert.

    "Das war sehr schwer, die Leute haben keine Ahnung gehabt, die sind zwar n bissl lockerer geworden, aber trotzdem haben die nicht gewusst, was da in der Welt getrunken wird, dass es Weißbier, Dortmunder, Bock, Helles und Dunkles gibt, die haben keine Ahnung gehabt."

    Bis vor kurzem hieß er noch Franz, heute heißt er wieder tschechisch "František". Als Franz lebte er in München. 15 Jahre lang belieferte er Krankenhäuser mit Herzkathedern:

    "Nach zwei, drei, vier Jahren ist man zu depressiv, um weiterzuleben bei dem Job, da habe ich gedacht: Da muss etwas anderes her, deswegen das mit dem Bierbrauen."

    Er entschied sich, den deutschen Franz hinter sich zu lassen und als František einen Neuanfang zu wagen. Seit vier Jahren versucht František Richter seine Landsleute nun zu überzeugen – nicht ganz einfach in einem Land, das weltweit für sein Bier bekannt ist. Nein, sagt der heute 44-Jährige, seit langem herrsche in Tschechien bei Bier der Notstand:

    "Wir Tschechen haben nur ein Lagerbier, dank Kommunismus . Seit 70 Jahren haben die Leute nichts anderes im Mund gehabt außer Lagerbier, das ist eine Sorte, ob dunkel oder hell, das ist alles eine Sorte."

    Richter hingegen hat es mittlerweile auf stolze 120 Sorten gebracht, auch wenn er nur hin und wieder ein paar hundert Liter je Sorte braut, und längst nicht alle Richter-Biere sind nach dem deutschen Reinheitsgebot hergestellt – schließlich braut er im Sommer gerne Mal mit Kirschen und im Winter scheut er auch Nelken und Kardamonn nicht. Zu seinen Klassikern gehören Richter-Helles, Richter-Hefeweißbier, Richter-Bock und hin und wieder hat er auch Richter-Ale und Richter-Stout im Brau-Programm. Während Richter an seinen beiden Kesseln werkelt – Gerstenschrot hat ein Rohr verstopft – füllt sich allmählich sein "Pivovar u Bulovky", auf Deutsch "Brauerei am Berg Bulovka". Es geht auf den späten Samstagnachmittag zu und die Nachbarschaft kehrt ein auf ein Bier.

    ''Tschechisches Bier gibt’s doch in jeder Kneipe – sagt ein älterer Herr an einem Tisch in der Ecke - und Weißbier kenn’ ich eben aus Deutschland, daran erinnere ich mich gern und komme deshalb hierher um mal eins zu trinken.''

    Am Tisch gegenüber sitzen zwei Studenten:

    "Ich war für eine Zeit in Belgien – erzählt uns der eine von ihnen - da gibt es unzählige Marken und Sorten . Hier bei uns gibt es uns nur immer dieselben Lagerbiere, die alle mehr oder weniger gleich schmecken. Als ich von dieser Kneipe gehört habe, wo der Besitzer experimentiert und unterschiedliche Biere braut, dachte ich, es kann ja nicht schaden, das mal auszuprobieren."

    Sie sind heute schon zum dritten Mal hier, haben sich von ihrem Studentenwohnheim quer durch die Stadt auf den Weg her gemacht, das Bier kommt offenbar gut an.

    Und dann ist da noch ein besonderer Gast: Tomáš Kroupa hat sich an einen Tisch gesetzt, vor sich hat der 31-Jährige eine Bierflasche mit Henkelverschluss. Er wartet auf den Chef hier, der soll sein mitgebrachtes Bier begutachten:

    "Ich habe mir Töpfe gekauft und nach Anleitung gebraut , das Bier hier habe ich jetzt einen Monat und drei Wochen gelagert. Meine Freundin trinkt zwar kein Bier, aber die sagt auch OK, aber so richtig begeistert ist sie auch nicht. Es ist ein Kampf, eher ein schwieriges Hobby."

    Der Kampf hat sich gelohnt. František Richter, setzt sich zur Bierprobe. Ein bedächtiger Schluck, dann den Mund mit Wasser ausgespült und noch ein Schluck, Richter hält das Glas gegen’s Licht und nickt:

    "Vom Geschmack her typisch tschechisch, leicht trocken, im Abgang leicht herb, ja, ich würde sagen die Qualität ist OK, eine leichte Vollmundigkeit fehlt. Ich würde sagen, wenn er so weiter macht, kann er leicht daheim was Gutes brauen, er kann stolz sein, dass er so was kann, Hut ab."

    Dass er einmal in Tschechien als Kneipenwirt und Bierbrauer enden würde, hätte Richter bis vor einigen Jahren noch nicht gedacht. Weil er mit 21 eigentlich Punkmusiker werden wollte, hatte er die damalige sozialistische Tschechoslowakei verlassen. Nach der Wende zurück in die Heimat, das wollte nur seine Frau.

    Heute freut er sich über die Rückkehr – der Tscheche, der aus Bayern kam, um seine Leute in der Heimat zu neuem Geschmack zu bekehren. Und mit einem verschmitzten Lächeln verrät František Richter sein Leitmotto zum Bierbrauen: Hopfen, Gerste, Malz und Wasser – diese Vier sind nur das Fundament:

    "Nach dem Reinheitsgebot gibt’s nur vier Komponenten, und jeder Brauer, der die Fünfte, also die Herzkomponente, dabei hat, ist immer beliebter und sein Bier schmeckt immer besser."

    Es sind vor allem die Zutaten, die die Qualität des tschechischen Bieres ausmachen: bester roter Hopfen aus Saaz, eine der fruchtbarsten Regionen Böhmens, Gerstenmalz, über dessen Güte bis heute die Mälzergilde wacht und: frisches Quellwasser. In welchem Verhältnis die Zutaten verarbeitet werden, wird in Gradzahlen kenntlich gemacht: Die Angabe "10, 12 oder 14 Grad" sagt erstmal nichts aus über den Alkoholgehalt tschechischen Biers, sondern über das Mischverhältnis beim Brauprozess. Wobei in der Regel gilt: je höher die Gradzahl, desto stärker das Bier.

    Welches Bier der Schriftsteller Bohumil Hrabal bevorzugte, das ist seinen Romanen nicht zu entnehmen – es ist das tschechische Bier an sich, dem er huldigt. So auch in seinem letzten Roman, "Ich dachte an die Goldenen Zeiten", eine Art Autobiographie über den ersten schriftstellerischen Ruhm, geschrieben aus der Perspektive seiner Ehefrau Eliska.

    Literatur 2
    Aus B. Hrabal: "Ich dachte an die goldenen Zeiten"
    Er besuchte nicht nur neue Kneipen und neue Bierkeller, er hatte jetzt auch neue Kameraden, er gab sein Geld für Bier aus und zahlte auch das Bier der anderen, immer nur Bier, es war schwierig, ihn in ein Weinlokal zu locken, und gelang es, dann hielt er es dort nie lange aus, er brauchte Bierkneipen, denn er mochte eigentlich gar nicht so sehr das Bier, als vielmehr das Kneipengeschwätz, diesen Lärm, dieses Sichproduzieren der Betrunkenen, kurzum, er schätzte all das, was ich hasste, ich hielt es in so einer Kneipe kaum ein Stündchen aus, mir wurde schwindelig, nicht vom Qualm und vom Gestank, sondern von den verrückten Schwätzern, die mein Mann liebte. Jetzt ging er gern zum Pinkas, jetzt saß er mit seinen neuen Freunden im Goldenen Fass, er überquerte die Moldau und saß dann mit seinen Kameraden im Olympia, und wieder trank er sein Pilsner, einmal saß ich für ein Weilchen mit ihm und diesen Freunden dort, mir gefiel besonders der Herr Linke, ein Beau, der die Bücher meines Mannes lektorierte, da war auch der Herr Duchacek, ein Gnom und Trunkenbold, der mir im Olympia sein Tagebuch zeigte, in das er seinen täglichen Bierkonsum eintrug, in fünf Jahren hatte er insgesamt fünfzehntausend Halbliter getrunken, dieser Herr Duchacek stammte vom Land, doch wenn er einen sitzen hatte, legte er sich gern mit Riesen an, er stand auf und streckte seine Hand aus, schließlich beherrschte er sich und beschloss, diesen Riesen doch nicht zu liquidieren, und durchs Fenster schien die Sonne ins Olympia, es war ein nettes Restaurant und alle Freunde meines Mannes waren fröhlich, auf unnatürliche Weise fröhlich, und jede Viertelstunde wurden weitere Biere serviert, und dann kam irgendjemand herein, ließ die Tür zur Straße offenstehen und sagte mit schöner Tenorstimme ..."heut geh ich ins Maxim, da bin ich so intim"...

    Ich dachte an die Goldenen Zeiten – der Titel von Hrabals Roman könnte all denen als Motto dienen, die die Veränderungen auf dem tschechischen Biermarkt mit Argwohn beobachten – gelten die tschechischen Biertrinker doch als ausgesprochen konservativ, sowohl was Geschmack als auch was liebgewonnene Gewohnheiten angeht. Wenn die Spielregeln der Marktwirtschaft auch zunehmend die Flaschenbierproduktion bestimmen: Die Trinkgewohnheiten der Kneipenbesucher werden sie nicht verändern. Und nicht nur die tschechischen Braumeister wissen um das Geheimnis tschechischer Bierqualität - auch die Wirte sind stolz auf ein perfekt gezapftes Bier.

    Reportage 5
    Ein perfekt gezapftes Bier

    Ordnung ist hier das oberste Prinzip. Und bei der Kleidung fängt es an: Die dunklen Lederschuhe sind poliert, dazu eine schwarze Hose, eine schwarze Weste über weißem Hemd und eine knallrote Krawatte. Jiří Kozák ist Schankwirt in einer Budweiser Bierstube:

    "Man muss motiviert an die Sache herangehen, das ist eine große Gastwirtschaft hier, da kann man nicht so larifari drauf sein. Und man muss eine persönliche Beziehung zum Bier haben, ohne die geht gar nichts."

    Mit flinken Händen schnappt sich Kozák die Gläser und hält eins nach dem anderen unter den Zapfhahn. Mindestens fünf halbe Liter hat er gleichzeitig in der Mache, denn die Kellner vor dem Tresen drängen – die Stammgäste wollen versorgt werden.

    "Das Bier muss aus einer bestimmten Höhe einlaufen, dann kommt auch der richtige Schaum zu Stande. Erst Zapfen, dann ein wenig warten und dann das Glas voll machen."

    Das Glas ist leicht geneigt, der Bierstrahl schießt aus dem Zapfhahn, aus ein paar Zentimetern Höhe trifft er die Innenwand im Glas. Halbvoll abstellen, das nächste Glas, und erst wenn sich der Schaum nach ein paar Sekunden etwas gesetzt hat, füllt Kozák den halben Liter ganz auf – eine daumendicke, feste Schaumkrone wächst über den Rand des Glases hinaus, ohne an den Seiten abzutropfen. Pro Bier braucht Kozák nicht einmal eine Minute. Oberkellner Miroslav Ladislav greift sich vier Gläser und ist mit seinem Schankwirt zufrieden:

    "Die Augen kaufen ja schließlich das Bier – viel Schaum, das sagen auch die Deutschen, die herkommen. Ich habe mal gesehen, wie ein englisches Bier gezapft wurde, ganz ohne Schaum, das ist bei den Briten so Tradition – aber bei uns muss das Bier eine richtige Schaumkrone haben, die muss über den Glasrand hinausgehen."

    Während der Kellner mit den perfekt Gezapften in die Tiefe des Raumes verschwindet, arbeitet Schankwirt Kozák konzentriert weiter. Wie ein Pilot in seinem Cockpit hat er alles ist in Griffweite: Vor ihm fünf Zapfhähne, rechts das Spülbecken, links die Gläser - rund 120 Halb-Liter-Kübel stehen hier bereit. Mit einem Abzieher, der eigentlich zum Fensterputzen gedacht ist, reinigt er die Abtropffläche unter der Zapfanlage – alles hier muss blitzsauber sein, auch das Innenleben der Zapfvorrichtung, sonst büßt das Bier schnell an Qualität ein, sagt Kozák.

    "Säubern ist selbstverständlich. Jeden Tag wird die Anlage mit Wasser durchgespült und alle 14 Tage gibt es eine Grundreinigung, mit Schwamm und allem drum und dran."

    Denn ständig ist die Ware des Schankwirts in Gefahr: Aus dem Kompressor der Zapfanlage können Ölspuren in die Leitungen gelangen und den Geschmack verändern. Auch müssen die Gase Stickstoff und Kohlendioxid, die das Bier aus dem Fass treiben, im richtigen Verhältnis gemischt sein, damit der Geschmack keinen Schaden nimmt. Und: Bier im Fass ist eine zarte Pflanze, es verträgt keine Kälte und auch keine Wärme, es muss daher genau zwischen fünf und zehn Grad gelagert werden.

    Oberkellner Ladislav ist zurück am Tresen, neue Halbe holen. Es ist Donnerstag, fünf Uhr nachmittags, gerade erst beginnt hier der Abendbetrieb. Ladislav lässt seinen Blick kurz durch den langen Raum unter der niedrigen Gewölbedecke schweifen: Im gelblichen Licht des Schankraumes verhängt Zigarettenrauch die Luft, bis auf zwei Tische sind schon alle besetzt:

    "Manche Stammgäste trinken zehn Halbe am Abend, der Durchschnitt trinkt acht - verteilt auf vier Stunden. Hier zum Beispiel haben wir so einen Stammtisch, die kommen jeden Donnerstag, und von denen hat jeder acht Bier auf dem Zettel. Wer hier jeden Tag herkommt, trinkt fünf oder sechs, aber wer nur jeden zweiten Tag hier ist, trinkt gerne auch mehr."

    Die Stammgäste am Donnerstagstisch sind allesamt Männer zwischen Mitte Vierzig und Ende Fünfzig, Pullover oder Hemd, dazu Jeans. Sie wissen genau, welche Ansprüche sie an ihr Lieblingsgetränk haben:

    "Es muss ordentlichen Schaum haben, und der muss bis zum letzten Schluck bleiben, sonst taugt das Bier nichts."

    Ein Mann, ein Wort, doch der Herr neben ihm hat noch ein paar Forderungen mehr:

    "Das Bier muss glänzen, und es muss durchsichtig sein. Der Schaum muss fest sein. Und natürlich geht es vor allem um den Geschmack. Zudem sollte das Glas einen Henkel haben, damit lässt sich so ein Halber am besten halten."

    Alle sechs am Tisch sind zufrieden mit ihrem Bier, und alle lächeln und nicken mit dem Kopf, als der letzte der Runde seinen Leitsatz zum perfekten Halben abgibt – und der gilt sicherlich nicht nur in Tschechien:

    "Es muss einfach mit Liebe gezapft sein, dann läuft es wie von selbst."

    Ausverkauf einer Brauerei-Nation – die Tschechische Bierkultur im Umbruch. Das waren Gesichter Europas an diesem Samstag. Mit Reportagen von Daniel Satra. Die Texte von Bohumil Hrabal wurden gelesen von Claudia Mischke. Und im Namen des ganzen Teams verabschiedet sich am Mikrophon Simonetta Dibbern.

    Literatur:
    Bohumil Hrabal:
    Aus: Das Städtchen am Wasser. Übersetzt von Franz Peter Künzel. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, 1989 (37 Zl.)
    Aus: Ich dachte an die Goldenen Zeiten. Übersetzt von Susanna Roth. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, 1999 (44 Zl.)