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Auswanderer in den USA
Wo in Pennsylvania noch Deutsch verstanden wird

Glücksspiel und Bob Dylans Gitarren - dafür sind die Städte Bethlehem und Nazareth im US-Bundestaat Pennsylvania eigentlich bekannt. Aber auch die Gründerväter und -mütter aus Thüringen haben die Städte geprägt. Wer heute im Lehigh Valley Deutsch spricht, muss immer noch aufpassen, was er sagt.

Von Klaus Martin Höfer | 26.08.2018
    Besuch in der C.F. Martin-Gitarrenfabrik in Nazareth, Pennsylvania, wo u.a. die berühmten Dreadnought-Modelle D18, D28, D35 und D45 hergestellt werden. Portrait des Gründers Christian Friedrich Martin hinter Gitarrenteilen. C.F. Martin-Gitarrenfabrik Visit in the C F Martin in Nazareth Pennsylvania where U a the famous Dreadnought Models D18 D35 and D45 made will Portrait the Founder Christian Friedrich Martin behind C F Martin
    Der Firmengründer der C. F. Martin Gitarrenfabrik, Christian Friedrich Martin, wanderte von Thüringen nach Amerika aus. (imago stock&people)
    Downtown Bethlehem, an der Seite des fünfstöckigen Hotels, das denselben biblischen Namen trägt. Von unten, vom Lehigh River, windet sich die Straße hoch, streift das historische Zentrum der Stadt. Loretta, die Stadtführerin, macht den Einstieg in ihren Rundgang auf Deutsch:
    "Guten Tag, und willkommen, ich heiße Loretta, verstehen Sie? No? Nein? Okay, I will speak English. Auf Deutsch, in German, I had said good day and welcome my name is Loretta."
    Stadtführerin Loretta versucht es bei jeder Tour: Ein paar Worte auf Deutsch, weil doch die Stadt Bethlehem von Mitgliedern der "Moravian Brothers" gegründet wurde, der "Herrnhuter Brüdergemeine", wie die Kirche in Deutschland genannt wird.
    Stadtgründer sprachen "eine ganze Menge Deutsch"
    "And the reason I like to greet people in German is because this town of Bethlehem was founded by the Moravians and they did speak an awful lot of German."
    Und die "Moravians" hatten doch eine ganze Menge Deutsch gesprochen, sagt Loretta, und zeigt die Tafel an der Wand des Hotels Bethlehem, die an den deutschen Grafen Nikolaus von Zinzendorf erinnert. An dieser Stelle hatte er mit seinen Getreuen beschlossen, dem Ort den Namen Bethlehem zu geben.
    "Die Herrnhuter haben die Stadt nicht nur 1741 gegründet, sie führten sie auch für etwas mehr als einhundert Jahre als eine geschlossene oder exklusive Stadt. Wer hier leben wollte, musste zur Herrnhuter Brüdergemeine gehören. Bei der Tour bekommt ihr also eine kleine Herrnhuter Einführung, weil die ein großen Teil der Geschichte der Stadt ausmachen."
    Zeitgenössische Darstellung des Pietisten und Begründers der Herrnhuter Brüdergemeine: Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf.
    Der Begründer der Herrnhuter Brüdergemeine: Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. (dpa / Bertelsmann Lexikon Verlag)
    Von der Oberlausitz nach Amerika
    Die Herrnhuter haben ihren Namen von dem Ort, den Glaubensflüchtlinge aus Böhmen auf dem Gut des Grafen Zinzendorf in der Oberlausitz gründeten, nämlich Herrnhut. Der Adlige hatte sie dort aufgenommen, wurde später selbst ein Anhänger der protestantische Kirche, die es bereits 100 Jahre vor Martin Luthers Thesenanschlag gab.
    Zinzendorf, dessen zahlreiche Liedkompositionen sich auch heute noch in evangelischen Gesangbüchern finden, wurde einer der Wortführer der eigentlich aus Böhmen und Mähren stammenden Glaubensrichtung. 1741 kam er nach Nordamerika, erzählt Paul Peuckers, der Leiter des "Moravian Archives" in Bethlehem:
    "Mit ihm reiste seine Tochter Benigna. Sie war 16 Jahe alt, und ihre Aufgabe war es, sich um die Kinder zu kümmern. Sie gilt als Gründerin der Schulanstalten. Es gibt hier in Bethlehem, die "Moravian Academy", also von der ersten bis 12. Klasse, und das "Moravian College". Beide Institutionen betrachten Benigna als ihre Gründerin, sie wird also groß gefeiert."
    Die Herrnhuter waren sehr fortschrittlich
    Denn sie brachte einen aus heutiger Sicht sehr fortschrittlichen Gedanken mit: Alle Schüler, egal ob Jungen oder Mädchen, egal, welche soziale Schicht, und ob Europäer oder Nicht-Europäer sollten erst einmal die gleiche Schulbildung haben, erläutert Paul Peuckers. Er ist Historiker; und bevor er nach Bethlehem kam, war der gebürtige Niederländer einige Jahre für das Archiv der Herrnhuter in Sachsen verantwortlich.
    "Ich glaube, es hat etwas damit zu tun, dass die Herrnhuter geglaubt haben, Männer und Frauen sind gleichwertig vor Gott."
    Dass es eine Schule ist, die von einer jungen Frau gegründet wurde und dass da auch gleich am Anfang in der Herrnhuter Erziehung die Indianersprachen mitberücksichtigt wurden, oder dass es afrikanische Kinder gab und Lehrerinnen, die aus Afrika kamen. Das ist natürlich in unserer Gesellschaft heute sehr wichtig, dass man sich darstellen kann als eine diverse Einrichtung gleich von Anfang an.
    Geschickte Handwerker und frühe Selbstversorger
    In die amerikanischen Kolonien waren Zinzendorf und die Herrnhuter gekommen, um die Ureinwohner und andere Siedler, die ohne Kirchenbindung waren, zu missionieren. Bildung und Ausbildung hatte für sie auch einen unmittelbaren praktischen Nutzen: Sie waren geschickte Handwerker, bauten unter anderem ein Pumpen-Leitungssystem für Trinkwasser, einem der ersten auf dem Kontinent.
    "Vier Jahre nach der Stadtgründung gab es bereits 35 erfolgreiche Handwerksbetriebe, wenige Jahre später sogar 50. Sie waren Selbstversorger, sie machten so gut wie alles selbst und brauchen nur wenig vom außerhalb", erläutert Stadtführerin Loretta.
    Einige der massiven, mehrstöckigen Steinhäuser, die die Herrnhuter in Bethlehem gebaut haben, stehen immer noch. Eines davon ist das "Gemeinhaus", erläutert Charlene Donchez Mowers. Die pensionierte Lehrerin ist Vorsitzende der "Historical Society", des Geschichtsvereins.
    Das älteste Gebäude wird heute immer noch genutzt
    "Das Gemeinhaus aus dem Jahr 1741 ist das älteste Gebäude in Bethlehem. Man geht davon aus, dass es das größte Gebäude in den USA aus dem 18. Jahrhundert ist, das immer noch genutzt wird und bis etwa 1966 ein Wohnhaus war", so Donchez Mowers. In den ersten Jahren von Bethlehem war dies das wichtigste Gebäude für die Siedler, nicht nur für das religiöse Leben.
    "80 Menschen lebten hier. Treppauf in der ersten Etage gab es den Gemeindesaal. Im dritten Stockwerk waren Wohnräume, im vierten ein Vorratslager. Im unteren Bereich wurde gekocht, es gab Schulzimmer, eine Apotheke, ein Krankenzimmer. Arbeitsräume für Frauen und Arbeitsräume für Männer. Alles spielte sich erst einmal hier ab, während ringsherum das Dorf aufgebaut wurde."
    Heute hat Bethlehem 75 000 Einwohner. Ein paar hundert Meter entfernt vom historischen Stadtkern liegt der Busbahnhof der Stadt. Dort fährt Bus Nummer 217 fährt los, rumpelt über eine Landstraße nach Norden. Vier Dollar kostet die Tageskarte einmal quer durch das Lehigh Valley. Das ist günstig. Im Bus sind meist Menschen unterwegs, die sich auch nicht mehr leisten können.
    Besuch in der C.F. Martin-Gitarrenfabrik in Nazareth, Pennsylvania, wo u.a. die berühmten Dreadnought-Modelle D18, D28, D35 und D45 hergestellt werden. Außenansicht der Firma. C.F. Martin-Gitarrenfabrik

Visit in the C F Martin  in Nazareth Pennsylvania where U a the famous Dreadnought Models D18  D35 and D45 made will exterior view the Company C F Martin
    In der C. F. Martin Gitarrenfabrik werden die berühmten Dreadnought-Gitarren hergestellt, die auch Bob Dylan oder Johnny Cash spielten. Firmengründer Christian Friedrich Martin kam aus Thüringen. (imago stock&people)
    Bob Dylans Gitarre wurde in Nazareth erfunden
    Nach gut einer halben Stunde erreicht der Bus eine weitere Stadt mit biblischem Namen: Nazareth. Dort hatten die "Moravians" gelebt, bevor sie 1741 Bethlehem gründeten. Doch die Stadt ist eher bekannt für Musik.
    "The Weight" - dieses Lied ist ein Standard der Americana-Szene, ein Lied, in dem ein geheimnisvoller Reisender die Heimat einer guten Freundin besucht und dort auf allerlei merkwürdige Menschen trifft.
    Als der Musiker Robbie Robertson das Lied schrieb, fiel ihm Nazareth ein – weil dort legendäre Gitarren gebaut werden, die eigentlich zu jedem Folksänger gehören, ob Bob Dylan, Joni Mitchell oder Johnny Cash: Die berühmte bauchige "dreadnought"-Variante einer akustischen Gitarre, voluminös im Klang und handgefertigt, erfunden von Gitarrenbauern der C.F. Martin Company.
    "Wir machen die Gitarre so teuer, wie Sie wünschen"
    Ryan, der im Unternehmen arbeitet und Besucher durch die Produktion führt, zeigt auf das Portrait des Firmengründers Christian Friedrich Martin, den gebürtigen Thüringer, den es nach seiner Instrumentenbauerlehre in Wien zuerst nach New York verschlug. Nachdem seine Frau dann zu Besuch bei Bekannten in der Nähe von Nazareth war, so wird erzählt, überredete sie ihren Mann zum Umzug – die Gegend hätte sie so sehr an ihre deutsche Heimat erinnert.
    Die 500 Mitarbeiter von C.F. Martin in Nazareth stellen jeden Tag 180 akustische Gitarren her. Alle Einzelteile werden überwiegend in Handarbeit zurechtgeschnitten, bearbeitet und in alter Tradition ohne Schrauben zusammengesetzt, auch schon mal nach sehr individuellen Musiker-Wünschen. Das hat seinen Preis.
    "Hier in Nazareth starten unsere Modelle bei rund 1500 Dollar. Nach oben gibt es eigentlich keine Grenze. Wir machen das so teuer, wie Sie es wünschen. Aktuell stellen wir zum Beispiel eine 150 000 Dollar-Gitarre her."
    Früher Kirchbank, heute Spielbank
    Auch mitten in Nazareth steht noch eine große Kirche der Herrnhuter – ein Teil der Siedler war damals dort geblieben, als andere aufbrachen, um in Bethlehem neu anzufangen. Was dort im 18 Jahrhundert als Siedlung einer Glaubensgemeinschaft begann, ist mittlerweile eine Kleinstadt, die für neun Millionen Besucher im Jahr eine ganz andere Attraktion bietet - eine Spielbank.
    Fernbusse bringen vor allem ältere Menschen aus anderen Landesteilen dorthin, um ihr Glück an den 3000 "Slotmachines", den "einarmigen Banditen" zu suchen. Dazu haben die Spielbank-Betreiber einen Teil einer alter Industrieanlage umgebaut, für die die Stadt knapp einhundert Jahre landesweit bekannt war: Bethlehem Steel. Dort wurde der Stahl für die Golden Gate-Brücke produziert, im Zweiten Weltkrieg die Bauteile für viele amerikanischen Schiffe.
    Mit Profilstahl in der Form eines großen I, dem "I-Beam", hatte sich das Unternehmen einen Namen gemacht und erst den Bau von Wolkenkratzern ermöglicht. Loretta, die Stadtführerin, kann sich noch gut erinnern, als ihr Vater dort arbeitete, wo sie jetzt Besucher entlang führt.
    People visit the former Bethlehem steel factory in Bethlehem, Pennsylvania on November 2, 2016.
In the heart of Pennsylvania, a key battleground state in the race for the US presidency, few people have yet to make their choice between Donald Trump and Hillary Clinton.
 / AFP PHOTO / EDUARDO MUNOZ ALVAREZ
    Die Hochöfen von Bethlehem Steel sind heute nur noch Kulisse. Früher wurde hier der Stahl für die Golden Gate-Brücke produziert. (AFP)
    Das "Musikfest" wird immer noch deutsch geschrieben
    "Bei vielen Menschen hier war mindestens einer aus der Familie im Stahlwerk. Bei mir mein Vater, der hier 40 Jahre gearbeitet hat. Ich trage bei Rundgängen seinen Schutzhelm. Da ist das Zeichen für die zweite Maschinenhalle drauf, wo er etliche Jahre verbrachte – eines der Gebäude, die noch stehen", sagt Loretta.
    Mittlerweile sind die Hochöfen von Bethlehem Steel nur noch Kulisse. Allerdings eine sehr eindrucksvolle. Für Action-Szenen in Science Fiction-Filmen gut geeignet. Und für Pop und Rockkonzerte. Jedes Jahr im Sommer zum Beispiel, gibt es dort das mehrtägige "Musikfest" - deutsch geschrieben, aber eher englisch ausgesprochen – "musicfest".
    Acht Millionen Dollar aus Steuermitteln hat es für den Umbau der Stahlstadt gegeben. Im Umfeld der Colleges sind kleine High-Tech-Unternehmen entstanden, es gibt Musik- und Kulturveranstaltungen. Die Freizeit- und Tourismusindustrie ist eine Haupteinnahmequelle geworden. Charlene Donchez Mowers sieht das sogar in einer Tradition zu den Herrnhutern, die immer sehr kulturbeflissen waren.
    "Deutsch hört man im Lehigh Valley überhaupt nicht mehr"
    "Die Herrnhuter brachten Künste und Kultur mit aus Europa, und auch Musik. Sie spielten Stücke von Haydn und Bach. Ziemlich früh wurde Bachs B-Moll-Messe hier aufgeführt. Haydns "Schöpfung" wurde in Amerika das erste Mal in Bethlehem gespielt, nicht in Philadelphia oder New York", erklärt Donchez Mowers.
    Die meisten Amerikaner verbinden mit dem Namen Bethlehem allerdings eher das ehemalige Stahlwerk als die Stadtgründung durch die deutschstämmigen Herrnhuter. Auch das Hochdeutsch, das die Herrnhuter im Gegensatz zum Dialekt-Gemisch des Pennsylvania-Dutch der anderen deutschen Einwanderer sprachen, ist weitgehend verschwunden.
    "Es ist so, dass man immer aufpassen muss, man kann nicht denken, wenn ich jetzt was auf Deutsch sage, verstehen die Leute einen nicht. Es gibt immer Leute, die Deutsch können. Aber Deutsch im Lehigh Valley hört man überhaupt nicht mehr. Man sagt mir, vor zwanzig, dreißig Jahren konnte man noch Deutsch hören, in den Geschäften oder auf dem Markt. Aber das ist heute ganz ganz anders", so Historiker Paul Peucker.
    Einen "Christkindel"-Markt gibt es allerdings immer noch – und jedes Jahr zu Weihnacht wird Bethlehem zum "Christmas Capital", mit ganz vielen beleuchteten Herrnhuter-Sternen in der Stadt.