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Auszeichnung für deutschen Philosophen
Jürgen Habermas erhält Kluge-Preis

Der deutsche Philosoph Jürgen Habermas wurde in Washington mit dem Kluge-Preis ausgezeichnet. Die Ehrung wird von der John W. Kluge-Stiftung finanziert und zeichnet Geistes- und Sozialwissenschaftler für ihr Lebenswerk im Dienste der Menschlichkeit aus. Habermas ist einer der meistzitierten Philosophen und Soziologen und hat sich immer wieder auch in politische Diskurse eingemischt.

Von Andreas Horchler | 30.09.2015
    Der Philosoph Jürgen Habermas
    Der Philosoph Jürgen Habermas (dpa / picture alliance / Simela Pantzartzi)
    Kritische Theorie und Frankfurter Schule waren vorgestern, Jürgen Habermas, geboren 1929, ist längst universeller Gelehrter geworden. Ein Intellektueller, der das Gedankengut von Hegel und Marx mit dem amerikanischen Pragmatismus zusammengeführt hat. Habermas hat nie aufgehört, sich mit seinen Gedanken und Schriften über gesellschaftliche Entwicklung, Ethik, Normen und Kommunikation auch in die Politik einzumischen.
    Die Kritik an Kanzlerin Merkel, einmal impulsiv, dann wieder zögerlich zu handeln, teilt Habermas nicht:
    "Ein bisschen Nüchternheit auch in der Person von Frau Merkel, die ich ja manchmal kritisiere, tut uns Deutschen doch ganz gut nach so viel falschem Überschwang, den wir in die Welt gesetzt haben."
    Das Thema seiner Vorlesung zur Preisverleihung in der "Library of Congress" in Washington: "Glaube und Wissen". Was hat die westliche Gedankenwelt jenseits von Platon, Aristoteles oder Kant von den jüdisch-christlichen Vorstellungen gelernt, was in ethische Vorstellungen, soziale und rechtliche Normen überführt?
    "Das interessiert mich eigentlich im Besonderen, gerade im Feld der praktischen Philosophie. Und wenn man die Geschichte wirklich vom römischen Kaiserreich bis heute durchgeht, gibt es wirklich identifizierbare Lernprozesse, die darin bestehen, dass man religiöse Motive versucht so zu übersetzen, dass sie öffentlich in einem reinen säkularen Begründungszusammenhang angeeignet und fruchtbar gemacht werden können."
    Keine Prognose für Europas Zukunft
    Der gesellschaftliche Boden ist nicht mehr so fruchtbar, wie er in der Vergangenheit war, glaubt Habermas. Der schon immer vorhandene amerikanische Populismus entwickle sich gerade im frühen US-Wahlkampf zu einer "anti-politischen" Bewegung, die jeder Demokratie schaden könne.
    Aber auch die Aussichten Europas bewertet der Denker negativ:
    "Bis zur Flüchtlingskrise, die wirklich eine Herausforderung ist, die Vorhersagen schwer macht, sogar nach der etwas herben Griechenlandkrise hätte ich immer noch die Hoffnung gehabt, dass sich zumindest der Kern Europas, dass, was heute in der Währungsgemeinschaft zusammengeschlossen ist zusammenraufen wird und das tut, was einfach unvermeidlich ist. Einen weiteren Schritt zur Integration und auch zu einer gemeinsamen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. Was jetzt passiert? Ich denke, niemand würde heute Voraussagen machen wollen."
    Und so wagt auch einer der meistzitierten Philosophen und Soziologen, der in Washington für sein Lebenswerk von der kritischen Theorie über Schriften zu Moral bis hin zu Kommentaren über die großen Themen der Politik ausgezeichnet wurde, keine solche Prognose.