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Auszeichnung für Greta Thunberg
Zorn und glimmender Optimismus

Die junge Klima-Aktivistin Greta Thunberg bekommt den alternativen Nobelpreis. Ihre Stimme töne zur Zeit lauter als die aller Klima-Leugner. Eine preiswürdige Leistung, meint Arno Orzessek.

Von Arno Orzessek | 25.09.2019
Die schwedische Klima-Aktivistin Greta Thunberg spricht vor der Nationalversammlung in Paris
Die schwedische Klima-Aktivistin Greta Thunberg spricht vor der Nationalversammlung in Paris im Juli 2019 (AFP / Lionel Bonaventure)
Seit mehreren tausend Jahren eint die Kulturpessimisten jeder Generation die Überzeugung, dass sie in einer Zeit entsetzlichen Niedergangs leben. Allerdings galt die Sorge der Pessimisten – vom römischen Dichter Ovid bis hin zu Oswald Spengler in seinem Werk "Der Untergang des Abendlandes" – stets bestimmten Kulturkreisen, bestimmten Zivilisationsformen, bestimmten Reichen oder Staaten. Über das Ende der Welt oder das Ende der Menschheit haben zumeist nur religiöse Apokalyptiker und sonstige metaphysisch orientierte Menschen spekuliert. Das ist heute anders. Angesichts von Umweltverschmutzung, Ressourcen-Verbrauch, Artensterben und Klimawandel drängt sich auch nüchternen Zeitgenossen die Frage auf: Kann das eigentlich noch lange so weitergehen oder geht Homo sapiens seinem Untergang entgegen?
Erste Teenagerin, der die halbe Welt zuhört
Greta Thunberg personifiziert nicht diese Frage. Sie personifiziert vielmehr die entschiedenste Antwort: Nein, es kann so nicht weitergehen, wenn es überhaupt weitergehen soll. Thunberg ist natürlich nicht die erste, die so denkt und so redet und in diesem Sinne öffentlich agitiert. Sie ist allerdings die erste Teenagerin, der die halbe Welt dabei zuhört. Und das hat mit ihrem besonderen Charisma zu tun, das wiederum nicht restlos von ihrem Asperger-Syndrom zu trennen ist, wie sie selbst zugestanden hat. Thunberg nimmt absolut persönlich, was aus ihrer Sicht die Erwachsenen, an erster Stelle die Politiker, schändlich versäumt haben. Charakteristisch ihre jüngste Klage vor der UN in New York: "Ihr habt meine Träume gestohlen und meine Kindheit mit euren leeren Worten!"
"Sehr fröhliches junges Mädchen"
Davon abgesehen, dass eine solche Formulierung zugleich ins Alte Testament und in ein Hollywood-Drehbuch passen würde, stilisiert sich Thunberg hemmungslos zu einem Opfer des umweltschädlichen Konsumkapitalismus. Das ist angesichts ihrer behüteten Vergangenheit wenig überzeugend ... Und US-Präsident Donald Trump dürfte bei den Greta-Hassern offene Türen eingerannt haben, als er sie per Twitter zynischerweise als "sehr fröhliches junges Mädchen" belächelt hat. Keine Frage: Indem Thunberg die eigene Befindlichkeit ins Rampenlicht rückt, ermöglicht sie ihren Gegnern, mit Vorbehalten gegen ihre Person zu punkten.
Zorn und Idealismus
Doch das ist nur die – mehr oder weniger schmutzige – boulevardeske Seite des Phänomens Thunberg. Die Bedeutung der jungen Klimaaktivistin liegt darin, dass sie voller Zorn eine idealistische Position der Unbedingtheit vertritt, die über dem ewigen Hickhack der politischen Sphäre zu stehen beansprucht. Und diese Position lautet: Gegen den Klimawandel müsste restlos alles Menschenmögliche getan werden, ihr aber habt bislang gar nichts getan. Sachlich sind diese Vorwürfe kaum haltbar: Wer Umweltschutz etwa von sozialen Problemen trennt, wird wenig Schutz und viel Widerstand bewirken. Wer beim Klimaschutz demokratische Verfahren übergeht, beschädigt für das eine hohe Gut ein anderes. Und dass sehr wohl einiges für den Klimaschutz getan wird, bedarf keiner weiteren Beweisführung.
Stachel im Fleisch der Bequemen und Zögerlichen
Aber ist es genug? Eben das verneint keineswegs nur Greta Thunberg. Sie erreicht allerdings die Aufmerksamkeit von Milliarden. Und Aufmerksamkeit ist eine politische Währung, ohne die Veränderungen nicht denkbar sind. Thunbergs Appell mag unausgereift sein, ihr Aufruf zur Panik sogar unvernünftig. Gleichwohl ist die 16-Jährige ein Stachel im Fleisch der Abwiegler, der Bequemen und der Zögerlichen. Zur Zeit tönt ihre Stimme allein lauter als die Stimmen aller sogenannten Klima-Leugner. Das ist, auch wenn man die mediale Inszenierung bekritteln mag, eine preiswürdige Leistung. Ob Thunbergs gnadenlos apokalyptischer Tonfall am Ende gerechtfertigt ist, das weiß noch niemand genau. Einiges spricht dafür, dass sich das Öko-System der Erde selbst bei schwerer Beschädigung auf einer niedrigeren Ebene wieder stabilisieren würde. Die Frage ist, ob Homo sapiens dann noch dazugehört. Man sieht es Greta Thunberg zwar oft nicht an, aber auch in ihr glimmt noch der Optimismus, dass der Abend aller Tage abzuwenden ist. Das Beste wäre also, Gretas Zorn als Ermunterung zu klugem Handeln zu verstehen.