Freitag, 29. März 2024

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Auszubildenden-Mangel
"Die Betriebe müssen besser werden"

Hat der Fachkräftemangel auch mit einem Mangel an Auszubildenden zu tun? Matthias Anbuhl vom DGB glaubt, dass es genügend Auszubildende gäbe - die Betriebe aber zu anspruchsvoll seien. Zudem sei die Qualität der Ausbildung häufig schlecht, sagte er im Dlf.

Matthias Anbuhl im Gespräch mit Michael Böddeker | 30.08.2017
    Zwei junge Köche arbeiten am 21.03.2017 bei den Landesmeisterschaften des Gastro-Nachwuchs in Stralsund (Mecklenburg-Vorpommern) an ihren Speisen.
    Besonders in der Gastronomie klagen Auszubildende über zu starke Arbeitsbelastung, sagte Matthias Anbuhl (picture alliance / dpa / Jens Büttner)
    Michael Böddeker: Es gibt neue Zahlen zum Thema Fachkräftemangel in Deutschland. Laut einer Prognose nimmt der zu. Das Thema hat heute auch das Bundeskabinett beschäftigt. Man sei zwar gut vorangekommen bei der Fachkräftesicherung, so Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, aber die Herausforderung bleibe "riesengroß". Und ein Teil des Problems ist sicher auch der Mangel an Auszubildenden. Auch dazu gab es heute neue Zahlen. Laut dem Statistischen Bundesamt gibt es ein Rekordtief. 2016 wurden demnach nur rund 510.000 neue Lehrverträge geschlossen. Darüber spreche ich mit Matthias Anbuhl, er ist beim Deutschen Gewerkschaftsbund Abteilungsleiter für Bildungspolitik und Bildungsarbeit. Guten Tag!
    Matthias Anbuhl: Guten Tag, Herr Böddeker!
    "Sehr große Qualitätsprobleme"
    Bödekker: Wie kommt das, warum ist die Ausbildung anscheinend nicht für viele Menschen attraktiv?
    Anbuhl: Da muss man sich eigentlich zwei Seiten angucken. Erst mal ist es die Frage, wieso sollte eine Ausbildung für leistungsstarke Jugendliche, die vielleicht ein Abitur haben, attraktiv sein, und da kann man zunächst erst mal festhalten, dass es für Jugendliche mit Abitur, mit Fachhochschulreife, die duale Ausbildung weiterhin attraktiv ist. Der Anteil der Abiturienten ist stark gestiegen in der dualen Ausbildung. Mittlerweile haben 28 Prozent der Azubis eine Studienberechtigung in der Tasche. Das heißt, wir hatten 2016 das erste Mal in der Geschichte die Situation, dass wir eigentlich mehr Abiturienten als Hauptschüler in der Ausbildung haben. Für die ist die Ausbildung in der Tat noch attraktiv, wir haben einige Berufe, und für die ist die Frage, wie sehen die Karriereperspektiven aus, wie gut ist die Ausbildung, habe ich eine sinnstiftende Tätigkeit, steht im Vordergrund. Das heißt, hier müssen die Ausbildungsbetriebe sehr attraktiv sein. Die zweite Frage ist die, warum können eigentlich auch Ausbildungsplätze nicht besetzt werden. Wir haben ja einen Anstieg der unbesetzten Ausbildungsstellen – 43.500 Plätze waren das 2016 –, und da muss man feststellen, dass dies vor allen Dingen im Hotel- und Gastronomiebereich und im Lebensmittelhandwerk ist, dass es dort die Schwierigkeiten gibt bei der Besetzung von Ausbildungsbetrieben, und das sind eigentlich auch Branchen, bei denen wir feststellen, dass sie sehr große Qualitätsprobleme haben in der Ausbildung.
    70-Stunden-Wochen und rüder Umgangston
    Böddeker: Es gibt also durchaus Branchen, die Auszubildende brauchen. Trotzdem werden die Stellen nicht besetzt. Wie kommt das?
    Anbuhl: Wir können uns das anschauen für den Hotel- und Gastronomiebereich, für das Lebensmittelhandwerk. Dort führen wir regelmäßig Befragungen unter Auszubildenden durch, wie zufrieden sind Sie eigentlich mit Ihrer Ausbildung. Da sagen 70 Prozent in aller Regel, wir sind sehr zufrieden mit unserer Ausbildung, aber gerade in diesen Branchen, die Besetzungsprobleme haben, gibt es eine große Unzufriedenheit. Das heißt, da wird beklagt, dass man teilweise 60-, 70-Stunden-Wochen hat, also Überstunden an der Regel sind, ein rüder Umgangston, eine schlechte Qualität der Ausbildung. Häufig wird gar nicht die gesamte Ausbildungsordnung abgebildet im Betrieb, also dass man auch hohe Misserfolgsquoten bei den Prüfungen hat, und Ausbildungsmärkte sind regionale Märkte. Das schreckt die Jugendlichen ab, und dann haben diese Betriebe wirklich Probleme, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen. Die gute Nachricht ist, die Betriebe haben es selbst in der Hand. Sie müssen einfach besser werden.
    "Leute nicht als billige Arbeitskräfte ausnutzen"
    Böddeker: Wie machen Sie das, wie können die attraktiver werden?
    Anbuhl: Ich denke, erst mal ist der Punkt, dass man sagen muss, wir akzeptieren, dass Ausbildung Ausbildung ist und nutzen die Leute nicht als billige Arbeitskräfte aus. Das heißt, wir akzeptieren den Jugendarbeitsschutz, wir gehen vernünftig mit denen um, wir bilden unsere Ausbilder gut aus, die gehen auch vernünftig mit den Azubis um, wir respektieren auch die Berufsschule. Häufig ist es auch so, dass zum Beispiel Auszubildende, die einen ganzen Berufsschultag haben, wenn sie volljährig sind, von ihren Betrieben noch vorher gerne in den Betrieb geholt werden. Auch da müsste man besser werden. Es geht um eine bessere Bezahlung auch und bessere Karriereperspektiven nach der Ausbildung. Ich möchte mal ein Beispiel nennen: Ein Orthopädietechniker, der Prothesen herstellt vielleicht in einem Sanitätshaus, hat eine hoch sinnstiftende Tätigkeit. Digitalisierung spielt da immer mehr eine Rolle. Das ist ein spannendes Berufsfeld. Wenn der aber nach drei Jahren Ausbildung 1.900 oder 2.000 Euro brutto verdient, dann kommt er auf keinen grünen Zweig. Und das ist natürlich ein Punkt, wo viele gerade auch aus Akademikerfamilien sagen, okay, wenn das die Perspektiven sind, dann suchen wir uns doch vielleicht lieber ein Studium, ein duales Studium und gehen nicht in eine Ausbildung. Und da muss es in der Tat auch so sein, dass auch die Karriereperspektiven stimmen.
    Böddeker: Auch das wahrscheinlich ein Gedanke, der zu diesen neuen Zahlen geführt hat, die heute vorgestellt wurden vom Statistischen Bundesamt. Demnach ist insgesamt die Zahl gesunken weiterhin der neu abgeschlossenen Lehrverträge, aber immerhin, es gibt auch Berufe, die beliebt sind nach wie vor, zum Beispiel die kaufmännische Lehre im Einzelhandel. Das ist die beliebteste Ausbildung. Es folgen dann Kaufmann oder Kauffrau für Büromanagement und Verkäufer, und bei männlichen Jugendlichen ist auch der Kfz-Mechatroniker sehr beliebt. Wie kommt das wohl, sind das zukunftssichere, solide Berufe?
    Anbuhl: Beim Kfz-Mechatroniker stellen wir das seit Jahren fest, dass vor allen Dingen junge Männer diesen Beruf sehr spannend finden. Das hat einfach was damit zu tun, dass das Auto nach wie vor in Deutschland ein Statussymbol ist, die sehr autoaffin sind, gerne auch in ihrer Freizeit an ihren Autos schrauben, und deswegen hat dieser Beruf einfach ein hohes Standing, ist auch eine sehr komplexe Ausbildung – dreieinhalb Jahre. Das wird, denke ich, in den nächsten Jahren auch noch so bleiben. Die Büroberufe und auch die kaufmännischen Berufe sind gerade für Menschen interessant, die sagen, wir wollen jetzt nicht unbedingt an die Werkbank gehen, wir wollen nicht hart körperlich arbeiten, vielleicht auch nicht so viel - haben sie auch die Vorstellung, dass eine Werkbank, häufig die Arbeit noch schmutzig ist, die dann lieber in Büro- und kaufmännische Berufe gehen. Da werden einfach viele Ausbildungsplätze angeboten – im Einzelhandel, auch im Büromanagement -, und insofern sind diese Berufe sehr attraktiv, besonders auch für weibliche, also für junge Frauen.
    "Ich glaube nicht, dass wir wirklich einen Azubi-Mangel haben"
    Böddeker: Viele Betriebe haben Schwierigkeiten, ihre Lehrstellen zu besetzen. Sind vielleicht manchmal auch die Ansprüche der Bewerber zu hoch? Es wird ja in den Medien viel berichtet über den Fachkräftemangel und über freie Lehrstellen. Haben da die Bewerber vielleicht manchmal auch das Gefühl, dass sie eigentlich am längeren Hebel sitzen?
    Anbuhl: Das glaube ich eigentlich nicht. Ich glaube auch nicht, dass wir wirklich einen Azubi-Mangel haben. Also ich glaube eher, dass die Betriebe selbst zu hohe Ansprüche an die Auszubildenden haben. Also zwar hatte ich eben gesagt, 43.500 unbesetzte Plätze, aber allein 2016 haben 80.000 junge Menschen noch eine Ausbildung gesucht. 300.000 junge Menschen befinden sich in den Warteschleifen im Übergang zwischen Schule und Ausbildung. Viele von ihnen haben gute Schulabschlüsse, sogar einen mittleren Schulabschluss und Abitur, und da sieht man, dass Betriebe sich immer noch dran gewöhnt haben, nur die besten zu nehmen, und gerade Hauptschüler haben das Nachsehen auf dem Ausbildungsmarkt. Wir haben uns die Lehrstellenbörse der Industrie- und Handelskammer, die bundesweite, mal angeschaut: Von den 50.000 Angeboten, die es dort gibt, sind zwei Drittel eigentlich Hauptschülern von vornherein verschlossen das heißt, auch in den Berufen, die über einen Azubi-Mangel klagen. Da, denke ich, müssen auch die Betriebe wieder mehr den Blick auf diese Potenziale nutzen und hier auch besser ausbilden.
    "Nach Interessen und Neigungen entscheiden"
    Böddeker: Aus Sicht der Jugendlichen, die vielleicht vor der Entscheidung stehen, studieren oder eine Ausbildung machen, was würden Sie sagen, was spricht da aus Ihrer Sicht für eine Ausbildung?
    Anbuhl: Ich denke, jeder Jugendliche sollte sich letzten Endes nach seinen Interessen, nach seiner Fähigkeit, nach seiner Neigung entscheiden, was er gerne machen würde. Ich denke, eine betriebliche Ausbildung ist nach wie vor ein Fundament. Die Menschen lernen den Betrieb kennen, lernen Kompetenzen, hohe Kompetenzen, berufliche Handlungskompetenzen. Wir haben gerade in viele Unternehmen auch an die Situation, dass Fachkräfte auf Augenhöhe mit Ingenieuren arbeiten. Also insofern gibt es da viele spannende Tätigkeiten, aber am Ende würde ich jedem Jugendlichen sagen, schau nach, was deine Neigung ist, was dein Interesse ist, was du gerne kannst, wofür du brennst, und gehe in diesen Beruf.
    Böddeker: Sagt Matthias Anbuhl vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Mit ihm habe ich über die Zahl der Auszubildenden in Deutschland gesprochen. Laut dem Statistischen Bundesamt ist die auf ein Rekordtief gesunken. Mehr zum Thema Fachkräftemangel und auch zum neuen Fortschrittsbericht des Bundeskabinetts zu dem Thema finden Sie auf unserer Homepage www.deutschlandfunk.de.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.