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Auto unter Überwachung

Ein Vortrag auf dem Jahrestreffen des Chaos Computer Club hat sich mit dem Auto der Zukunft beschäftigt. Mithilfe raffinierter Hard- und Software könnte es möglich werden, dass Fahrzeuge ständig miteinander kommunizieren. Auffahrunfälle auf plötzliche Staus könnten so verhindert werden.

Wissenschaftsjournalist Jan Rähm im Gespräch mit Uli Blumenthal | 28.12.2012
    Uli Blumenthal: Im April 2011 verdunkelte ein schwerer Sandsturm innerhalb weniger Sekunden die Fahrbahn der A19 nahe Rostock und machte den Tag schlagartig zur Nacht. Die Folge: eine Massenkarambolage mit Toten, Verletzten, brennenden Autos und einer zerstörten Fahrbahn. Jan Rähm, ein Vortrag auf dem CCC-Jahrestreffen hat sich mit hat sich mit dem Auto der Zukunft beschäftigt, einer Verkehrswelt, in der die Fahrzeuge permanent miteinander kommunizieren. Hätte einen solche Car–to–car Kommunikation einen solchen schweren Unfall verhindern können?

    Jan Rähm: Man muss natürlich sagen: möglicherweise. Aber: möglicherweise ja. Denn die Systeme funktionieren wie folgt. Die Autos haben eine Sende- und eine Empfangseinheit, die heißt DSCR, das steht für Digital Short Range Communication und reicht so zwischen 300 und 400 Meter weit. Und darüber tauschen sich die Autos völlig autonom aus und hätten in diesem Fall also eine Notbremsung an die folgenden Fahrzeuge weitergeben können. Der erste hätte gebremst. Und bis zum letzen durch hätten alle Autos mitgebremst und hätten so möglicherweise den Unfall verhindert – trotz der Sichtbehinderung.

    Blumenthal: Wie weit sozusagen in der Umsetzung - wie real - sind solche Systeme eigentlich? Man hört ja immer von solchen Fahrerassistenzsystemen, die dann bremsen, wenn man eigentlich schon fast geschlafen hat. Aber das wär ja nochmal eine ganz andere Qualität, eine neue Qualität, die dann richtig eingreift und den Fahrer dann eigentlich ersetzt.

    Rähm: Grob kann man sagen, die Systeme sind bereits Realität. Die Hardware ist soweit fertig. An der Software wird noch geschraubt. Und die technischen Voraussetzungen sind – wie sie gerade gesagt haben – auch schon vorhanden in Form dieser Assistenzsysteme. Im Hintergrund: In Frankfurt am Main läuft derzeit ein großes Versuchsprojekt, wo genau das jetzt auch in der Realität getestet wird. Und die Autos werden auch jetzt schon autonomer. Die Assistenzsysteme werden immer intelligenter. So hat jetzt eine Oberklassen-Limousine zum Beispiel die Fähigkeit, bis Tempo 30 Stop and Go völlig alleine und autonom zu fahren.

    Blumenthal: Die Autos werden immer autonomer, haben Sie gerade gesagt. Das heißt aber auch, dass ich als Fahrer immer mehr Funktionen gar nicht mehr wahrnehmen kann. Hier wird diskutiert, dass es auch ein Eingriff in die Privatsphäre sozusagen des Autofahrers ist. Warum diskutiert man da über das Thema Privatsphäre?

    Rähm: Einerseits natürlich das, was Sie ansprachen: Dieser Eingriff in meine eigene Autonomie, zu sagen, was ich machen möchte. Aber es geht hier auch um eine erhöhte Verfolgbarkeit. Denn die Autos sollen, so die derzeitigen Pläne, klar identifizierbar sein, um sich als echte Verkehrsteilnehmer authentifizieren zu können. Denn: Es gibt da Sicherheitsbedenken. Das Schadpotenzial bei solchen Systemen ist enorm hoch. Stellen Sie sich vor, Sie haben 100 Autos, 1000 Autos, die sie per Knopfdruck manipulieren können. Also muss klar sein: Wer sendet hier welche Nachricht? Das allerdings klar authentifiziert, ist auch klar nachverfolgbar. Sie können jedes Fahrzeug verfolgen. Wo es hinfährt und wann. Jetzt könnte man sagen, wir nehmen Zertifikate, die das Ganze absichern. Aber in der jüngsten Vergangenheit gab es gerade für Zertifikate große Probleme, dass die wiederum gefälscht wurden. Also auch hier kann man nicht ganz klar sicherstellen, dass wirklich der Sender der ist, der er vorgibt zu sein. Man kann also sagen: In mehrfacher Hinsicht haben wir hier einen ganz großen Zwiespalt.

    Blumenthal: Wie kann man so einen Spagat zwischen einerseits Sicherheit zwischen und mit den Autos und Privatsphäre oder der Autonomie des Fahrers auf der anderen Seite – wie kann man den meistern?

    Rähm: Eine Patentlösung gibt es dafür nicht. Wäre ja auch viel zu schön, sonst wäre es ja schon soweit. Die Vortragende Christie Dudley hat dafür plädiert, die Entwicklung solcher Systeme aktiv zu unterstützen, also das nicht nur den kommerziellen Unternehmen zu überlassen, sondern wirklich hier auch selbst aktiv zu werden, um zu gewährleisten, dass es auf der einen Seite Privatsphäre gibt und auf der anderen Seite, dass die Sicherheit der Systeme auch gewährleistet ist. Aber wie genau, das wird halt wie gesagt in diesem einen großen Feldversuch geklärt. Ob es dann zu realisieren ist, das wird die Zukunft zeigen.

    Sonderseite zum Chaos Communication Congress