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Autobahnbau in Bulgarien
Wirtschaft versus Ökologie

Durch die ökologisch bedeutende Kresna-Schlucht im Südwesten Bulgariens soll eine Autobahntrasse bis nach Griechenland führen, finanziert aus EU-Mitteln. Die Regierung betont die Umweltverträglichkeit des Projekts, doch Naturschützer berichten von Einschüchterungsversuchen der Bauindustrie.

Von Tom Schimmeck | 12.09.2019
Bauarbeiten an der Struma-Autobahn in Bulgarien
Die neue Autobahntrasse ist bereits im Bau und soll die Nord- und Ostsee mit den Häfen in Griechenland verbinden. Doch gegen den geplanten Ausbau durch die artenreiche Kresna-Schlucht gibt es Widerstand von Naturschützern. (Deutschlandradio/ Tom Schimmeck)
"Wir Freiwillige kämpfen mit bescheidenen Mitteln gegen Leute, die enorme Summen aus Europa bekommen. Das ist eine Mafia. Das einzig Gute ist: Wir werden nicht ermordet."
Andrej Kowatschew, Biologe und Aktivist, ist ernüchtert nach vielen Jahren des Protests. Er erzählt von den engen Verflechtungen zwischen Bauindustrie und Regierung. Und berichtet von einer etwas unheimlichen Begegnung, die er und der Ökonom Petko Kowatschew hatten:
"Vor zweieinhalb Jahren wurden Petko Kowatschew und ich, die lautesten Befürworter einer Alternativroute, von der Kammer der Straßenbauer eingeladen. Der Direktor dieses Clubs der Bauunternehmen hat uns erklärt: Jungs, wir werden Euch nicht töten, wir werden Euch nicht schlagen. Aber wenn ihr so weitermacht mit dem Thema Autobahn, dann habt ihr keine Zukunft hier. Ihr werdet kein Geld bekommen und keine Arbeit finden."
Wichtige Strecke für Bulgarien und Europa
Und endlich gibt es einen Termin beim Ministerium in Sofia. Die Frau am Empfang beäugt skeptisch die Ausweise. "Multiforce Security" steht auf ihrem Hemd. Der Fahrstuhl katapultiert uns nonstop ins Obergeschoss, wo Galina Wassilewa wartet, Direktorin der "Abteilung Koordination von Programmen und Projekten" im Ministerium für Transport, Technologie und Kommunikation. Sie sagt, sie freue sich, uns zu sehen.
"Wir reden hier über den ehemaligen Transportkorridor Nummer 4. Der wurde aber kürzlich umbenannt in Orient/Ost-Mediterraner Korridor".
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Bedrohte Kresna-Schlucht.
Frau Wassilewa erläutert sehr konzentriert, mit sparsamen Gesten, wie wichtig diese Strecke für Bulgarien und Europa sei. Weshalb man sehr viel Geld aus Europa genau hier investiere.
"Die Entscheidung über die Wahl der aktuellen Route, für die es ja auch schon eine Umweltverträglichkeitsprüfung gibt, steht fest. Eine Ausschreibung wurde Ende 2018 veröffentlicht. Nun werden die Angebote geprüft, der Antrag bei der EU-Kommission ist schon eingereicht."
Galina Wassilewa ist Direktorin der "Abteilung Koordination von Programmen und Projekten" im bulgarischen Ministerium für Transport, Technologie und Kommunikation
Galina Wassilewa ist Direktorin der "Abteilung Koordination von Programmen und Projekten" im bulgarischen Ministerium für Transport, Technologie und Kommunikation (Deutschlandradio/Tom Schimmeck)
Kritik an mangelnder Kompromissbereitschaft
Anfang August wurde das neue Antragspaket nach Brüssel geschickt. Das alles werde seit vielen, vielen Jahren diskutiert, meint Galina Wassilewa, inzwischen seien mehr als 15 Varianten der Autobahn durchgespielt worden. Und schließlich gebe es ja auch noch andere Meinungen als die der "Ökologen", ergänzt sie mit einem Seufzer. Auf dem Konferenztisch liegen Karten, Tabellen und andere Papiere. Und wie steht es um die ursprüngliche Absicht, überhaupt keine Autobahn durch die Kresna-Schlucht zu bauen?
"Das ist ein sehr maximalistischer Wunsch. Wir haben ja versucht, eine Balance zu finden zwischen Wirtschaft und Ökologie und ich muss sagen, wir haben eine Menge Kompromisse gemacht."
Während "diese Ökologen" keinerlei Kompromissbereitschaft gezeigt hätten. Wir beugen uns über die Pläne. "Hier wird eine Umgehungsstraße um Kresna geführt – fünf Kilometer. Dort, das ist die Strecke von Sofia zur Grenze."
Landstraße soll zur Autobahn ausgebaut werden
Die Strecke im Kresna-Tal werde schließlich nicht neu gebaut, beteuert die Direktorin, sondern nur erneuert – was angesichts der ausgebreiteten Pläne ein wenig euphemistisch klingt. Denn aus der jetzigen Landstraße soll eine zweispurige Autobahntrasse Richtung Süden werden. Die Trasse Richtung Norden, das bestätigt sie, geht durch die Hügel weiter östlich.
"Da werden insgesamt sieben Tunnel gebaut, drei davon mit einem Nottunnel, den man ja nach den Bestimmungen ab einer bestimmten Tunnellänge braucht. Dazu 21 Viadukte, die zusammen mehr als sieben Kilometer lang sein werden."
Frau Wassilewa setzt die Brille ab. Ihr Lächeln wirkt ein wenig bemüht, der Ton wird strenger. Schluss mit dem Geplänkel. Frage: Muss es die Parlamentarier in Brüssel nicht konsternieren, wenn sie erst den Schutz eines als besonders kostbar eingestuften ökologischen Schutzgebietes finanzieren und dann eine Autobahn, die mitten hindurch brettert und dieses zerstört?
"Also, wir setzen das Projekt um. Sie nennen es 'zerstören' – das stimmt auch: Bauarbeiten zerstören. Aber es gibt genügend ökologische Schutzmaßnahmen, sowohl auf der neuen wie auf der alten E79-Strecke."
Im Februar 2019 enthüllte der bulgarische Sender bTV, dass eine Baufirma mitten im Kresna-Naturschutzgebiet für das "Baulos 3.2" bereits Zufahrtswege planiert und Probebohrungen durchführt. Illegal. Die Behörden reagierten äußerst schleppend. Das Landwirtschaftsministerium, hieß es später, habe eine Strafe von 7.500 Euro verhängt und den örtlichen Forstdirektor entlassen. Frau Wassilewa beschwichtigt:
"Nein, soweit ich weiß, bohrt diese Firma nicht. Ihr Auftrag war die Parzellierung der Route. In diesem Kontext musste sie weitere geologische Untersuchungen ausführen. Diese Firma nimmt nicht an der aktuellen Ausschreibung teil." Ein ganz normaler Vorgang? "Die Agentur für Straßeninfrastruktur muss ja auch manches überprüfen und dokumentieren, damit alles korrekt abläuft."
"Alle Firmen transparent ausgewählt"
Apropos korrekt. Wie steht es um die Korruption, die vielen internationalen Gutachten zufolge im bulgarischen Bausektor grassiert? Die Direktorin zähmt ihre Ungeduld, pariert betont gelassen.
"Es wird viel geredet über diverse Firmen und ihnen wird auch viel vorgeworfen. Aber es ist nichts bewiesen, jedenfalls habe ich nichts davon gehört. All diese Firmen wurden auf transparente Art ausgewählt. Was unsere Verträge mit diesen Firmen betrifft, ist alles in Ordnung."
Erst kürzlich, sagt Frau Wassilewa, habe sie gelesen, dass bei der EU-Kommission häufig Firmen unter Korruptionsverdacht gerieten, die kurz vor dem Bankrott stünden. Sie streicht sich die Haare zurück, lächelt wieder.
"Die bulgarischen Firmen sind ja Firmen, die schon viele Projekte gemacht und viele Verträge erfüllt haben. Keine von ihnen steht vor dem Bankrott. Deshalb glaube ich auch nicht, dass sie korrupt sind."