Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Autobiografie
Mandelas Weg als Freiheitskämpfer

1994 erschien "Der lange Weg zur Freiheit". Die Erinnerungen Nelson Mandelas - zum Großteil entstanden während seiner Haftzeit auf Robben Island - sind ein Dokument seiner außergewöhnlichen Erfahrungen und der intensiven Identitätssuche.

Von Birgit Morgenrath | 09.12.2013
    Ein Mann legt Blumen vor Postern mit dem Porträt Nelson Mandelas nieder.
    Trauern um Nelson Mandela (picture alliance / dpa)
    "Freunde, Genossen und Mit-Südafrikaner, ich begrüße Euch im Namen von Frieden Demokratie und Freiheit für alle. Wir werden weiter voranschreiten. Der lange Weg zu Freiheit und Gerechtigkeit ist unumkehrbar."
    Zehntausende erwarten Nelson Mandela am 11. Februar 1990 voller Ungeduld. Endlich, nach 27 Jahren, darf er, der hochverehrte Held, das Gefängnis verlassen. Menschen, außer sich vor Freude, umringen seinen Wagen.
    "Sie begannen, an die Fenster, auf den Kofferraum und auf das Dach des Autos zu klopfen. Dann begannen die Leute in ihrer Erregung, auf den Wagen zu springen. Und in diesem Augenblick fing ich an, mir Sorgen zu machen. Ich hatte das Gefühl, die Menge sei vor lauter Liebe durchaus imstande, uns umzubringen."
    Nelson Mandelas Humor verleitet an vielen Stellen seiner Autobiografie zum Schmunzeln, im Ganzen ist sie ein packendes Buch über außergewöhnliche menschliche Erfahrungen, über Politik, die in die Geschichte eingeht und über eine intensive Identitätssuche.
    Rohlilala „Mandela, „der Unruhestifter“, aus dem Clan der Madiba, lernt schon früh die Konsensdemokratie eines afrikanischen Oberhauptes kennen. Sein Vater ist adeliger Berater des Königs der Thembu. Vom Vater, so Mandela, erbt er…
    "… eine stolze Aufsässigkeit, einen unbeugsamen Sinn für Fairness, die ich an mir selbst wiedererkenne."
    Der junge Mandela flieht aus seinem Dorf, um einer Zwangsheirat zu entgehen und lernt in der großen Stadt Johannesburg als Student die ersten Kommunisten und afrikanischen Nationalisten kennen. Eher sachlich und analytisch schildert der spätere Polit-Star seinen Wandel vom Schüler zum politischen Aktivisten als "Geburt eines Freiheitskämpfers. Ich hatte keine Erleuchtung, keine einzigartige Offenbarung, keinen Augenblick der Wahrheit."
    In den Reihen des ANC
    Er lernt den kollektiven Führungsstil im African National Congress, ANC, kennen. Jeder politische Schritt wird dort oft heiß diskutiert und dann gemeinsam beschlossen. So etwa die Kampagne des Zivilen Ungehorsams in den 50er-Jahren oder die Freiheitscharta, das Manifest für ein demokratisches Südafrika und die Gründung des bewaffneten Arms des ANC, Umkhonto we Zizwe in den 60er-Jahren.
    Nelson Mandela erzählt freimütig von seinen Fehlern und dass er nur mit Hilfe seiner comrades, seiner Kameraden, zum charismatischen Anführer heranreifte.
    "Es waren viele Leute, die Einfluss auf mich ausübten. Doch mehr und mehr kam ich unter die weise Obhut von Walter Sisulu. Walter war stark, vernünftig, praktisch und engagiert. In einer Krise verlor er nie den Kopf. Oft war er schweigsam, wenn andere laut waren."
    Nelson Mandela vor einem Plakat mit der Aufschrift "46664". Das war seine Gefängnisnummer auf Robben Island. Heute wird sie benutzt für Charity-Konzerte und ein Modelabel.
    Nelson Mandela vor einem Plakat mit der Aufschrift "46664". Das war seine Gefängnisnummer auf Robben Island. Heute wird sie benutzt für Charity-Konzerte und ein Modelabel. (picture alliance / dpa / Kim Ludbrook)
    Walter Sisulu wird sein engster Vertrauter
    Ebenso wie Oliver Tambo, mit dem er die erste Kanzlei schwarzer Anwälte gründete. Denis Goldberg, der einzige weiße comrade, der mit Nelson Mandela und sieben anderen im berühmten Rivonia-Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt wird, erinnert sich:
    "Walter Sisulu hatte nicht diese hochgewachsene, schlanke Eleganz eines Mandela, aber er war der einzige, der sagen konnte: 'Nelson, meinst du nicht, dass wir über dies oder jenes noch einmal nachdenken sollten?!' Und Nelson würde zuhören, weil Walter Sisulu so klar denken konnte, so strategisch."
    Auf der Gefängnisinsel Robben Island fechten die comrades viele zähe Kämpfe mit den Behörden um die Würde der Gefangenen aus. Aber Mandela quälen auch Selbstvorwürfe, dass er seine Familie im Stich gelassen habe. In einem anrührenden Brief an seine Frau Winnie schreibt er über eine von ihm gehegte und gepflegte Tomatenpflanze im Gefängnisgarten:
    "Aber dann, durch einen Fehler oder mangende Pflege, begann sie zu verdorren und nichts konnte sie retten. Als sie endgültig tot war, grub ich die Wurzel aus, wusch sie und beerdigte sie in einer Ecke des Gartens. Als ich den Brief schrieb, hatte ich gemischte Gefühle: Ich wollte nicht, dass es unserer Beziehung so erging wie dieser Pflanze, aber andererseits spürte ich, dass ich die wichtigsten Beziehungen in meinem Leben nicht richtig nähren konnte."
    Nelson Mandela und seine Frau Winnie Mandela nach seiner Entlassung aus dem Victor Verster Gefängnis in Kapstadt am 11. Februar 1990.
    Nelson Mandela und seine Frau Winnie Mandela nach seiner Entlassung aus dem Victor Verster Gefängnis in Kapstadt am 11. Februar 1990. (AP)
    Kampf gegen die Unterdrückung
    Doch die Pflicht gegenüber seinem Land wiegt schwerer. Spannend zu lesen ist Nelson Mandelas – erster und einziger – Alleingang, als er noch im Gefängnis Ende der 80er-Jahre Gespräche mit dem Regime aufnimmt. Zwar ist der Widerstand der schwarzen Bevölkerungsmehrheit nicht zu stoppen, aber es dauert auch nach Nelson Mandelas Freilassung 1990 noch vier lange Jahre, bis ganz Südafrika die Freiheit erlangt.
    In einem der dramatischsten Kapitel beschreibt er, wie die sogenannte Dritte Kraft aus dem alten Sicherheitsapparat systematisch Gewalt sät und Todesschwadronen in die Townships schickt. Vergebens. Der Niedergang des anachronistischen Regimes ist nicht mehr aufzuhalten. Am 10. Mai 1994 wird Nelson Mandela der erste Präsident des demokratischen Südafrika:
    "Niemals, niemals, nie wieder darf es geschehen, dass dieses schöne Land noch einmal die Unterdrückung des einen durch den anderen erfährt."
    Nelson Mandela: "Der lange Weg zur Freiheit", als Fischer Taschenbuch zu haben, die 864 Seiten kosten 13,95 Euro.