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Autobiographie von Carrie Brownstein
Riot Grrrl ohne Biss

Die Band fand im letzten Jahr nach einer längeren Pause wieder zusammen. Und Sleater-Kinneys Gitarristin und Songwriterin Carrie Brownstein hat mit "Modern Girl" ein Buch über ihre Erfahrungen in der Band geschrieben, das nun erstmalig auf Deutsch erschienen ist.

Von Jenni Zylka | 10.10.2016
    Carrie Brownstein, Gitarristin und Sängerin der US-amerikanischen Indie-Rock-Band "Sleater-Kinney", bei einem Konzert am 18. September 2016 in Chicago, Illinois.
    Carrie Brownstein, Gitarristin und Sängerin der US-amerikanischen Indie-Rock-Band "Sleater-Kinney", bei einem Konzert am 18. September 2016 in Chicago, Illinois. (imago / ZUMA Press)
    "Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich für den Rock‘n‚Roll mehr als Staffage sein könnte. Die Archetypen, die Bühnenbewegungen, die Darstellungen von Rebellion und Zügellosigkeit – all das war männlich besetzt. "I wanne be your Joey Ramone" war ein Selbsttest, um herauszufinden, was passiert, sobald man sich nur ein ganz klein wenig Macht zuspricht, und diese dann auch offen zur Schau trägt. Ohne Angst vor sich selbst und allen anderen.
    Carrie Brownstein heißt diese nach Eigenaussage angstlose Frau, Sleater-Kinney ihre Band, und auf bislang acht Alben haben die dazugehörigen Musikerinnen aus dem Bundesstaat Washington seit den 90ern exemplarisch vorgeführt, was Riot-Grrrl-Bands wie Courtney Loves Hole, Babes in Toyland oder L7 zornig und begeistert mitmachten: als Frau, als Gitarristin, als Songwriterin einen Platz auf der Rockbühne einzufordern. Genau da, wo sonst vor allem Männer stehen - und eben nicht nur davor, unter den Fans. In ihrer Biografie "Modern Girl. Mein Leben mit Sleater-Kinney" erzählt Brownstein vom Aufwachsen als Musikfanatikerin, deren größter Traum es ist, wie jene zu klingen, deren Platten und Abbilder sie hortet. Und die – beeinflusst von der fast rein weiblichen Punkband Bikini Kill – nicht mehr hinnehmen will, dass Frauen Rockmusik nur konsumieren, anstatt selbst Songs zu schreiben.
    Sie beschreibt die Suche nach Gleichgesinnten, und wie sie 1994, mit 20 Jahren, gemeinsam mit der Bassistin Corin Tucker, mit der sie auch eine Liebesbeziehung einging, in der Kleinstadt Olympia eine All-female-Band gründet. Sie erzählt vom Proben in Kellergewölben neben Rattenkadavern, von Touren, von den winzigen Budgets, den permanenten Diskussionen innerhalb der Band, von der Auflösung und der 2015 erfolgten Wiedervereinigung. Independent Music Business as usual. Inklusive persönlicher Note, entstanden durch die besonderen emotionalen Verhältnisse:
    "Es braucht eine Menge Mitgefühl und gegenseitiges Verständnis, um mit der Ex in einer Band zu spielen, wenn beide nicht nur Melodien, sondern auch die Texte schreiben. Manchmal glaube ich, Corin und ich konnten uns über die Songs neu kennenlernen, und auf platonische Art und Weise auch neu lieben lernen."
    Dramaturgisch lahmt es etwas
    Nach Songs über Liebe, Wut, Depressionen, Chauvinisten und männliches Gockeltum– zum Beispiel in "A Real Man" - und die Digitalisierung der Gesellschaft – in "God is a number - machte die Band 2006 eine Pause. Mit dem im vergangenen Jahr erschienenen Album "No Cities to love" sind Sleater-Kinney jedoch wieder auf Tour gegangen und haben erfolgreich in großen Hallen und vor einem Publikum gespielt, das bei weitem nicht nur aus genderpolitischen Gründen kommt. Denn gegen musikalische Vorurteile mussten sie sich selten wehren – zu überzeugend ist ihre Spielfertigkeit, zu eindeutig clever ihr Songwriting.
    Dass Brownstein aber während der Bandkarriere begann, Kritiken für Zeitungen zu verfassen, später als Schauspielerin und Drehbuchautorin die lakonische Comedy-Serie "Portlandia" über die Independent-Szene Portlands mitverantwortete, und somit Schreib- und Dramaturgieerfahrung vorweisen müsste, das merkt man ihrer Biografie nicht an. Denn Brownsteins Memoiren gehen zu selten in die Tiefe. Feministische Aussagen und Gedanken zu ihrem für viele immer noch exotischen Status sind rar, obwohl sie für ihr chronologisch-fleißiges Nacherzählen mehr als 300 Seiten braucht:
    "Ich glaube, Sleater-Kinney wünschte sich das Privileg, auf neutralem Boden zu beginnen, nicht aus der Ausgangsposition eines empfundenen Defizits oder einer linguistischen Beschränkung. Alles, was nicht traditionell weilblich ist, erfordert es anscheinend, dass man dauernd daran erinnert, wie unnormal es ist, selbst wenn es immer normaler wird."
    Und da hat sie recht: Solange man bei dem Wort "Band" noch immer automatisch an männliche Musiker denkt, ist ein solches Buch notwendig – einfach um eine Geschichte von Rockmusik und Frauen zu erzählen. Und sie damit ein bisschen selbstverständlicher zu machen. Zwar geht momentan mit L7 auch eine andere in den 90ern groß gewordene Frauenrockband, die sich mit dem Riot Grrrl-Movement verbunden fühlt, wieder auf Tour. Bei den ebenfalls zurzeit in Europa spielenden The Julie Ruin ist die Bikini Kill-Gründerin Kathleen Hannah mit von der Partie. Und vor zwei Jahren erschien die unterhaltsame Biografie "A typical Girl" von Viv Albertine, der Gitarristin von The Slits, einer frühen britischen Frauenpunkband.
    Dennoch: Das reicht noch lange nicht, um das Selbstverständnis von laut und wütend rockenden Frauen zu festigen. Darum sollte man "Modern Girl" – auch wenn das Werk dramaturgisch etwas lahmt, und durch die Übersetzung von Stefanie Jacobs leider nicht gerettet wurde, getrost zwischen Patty-Smith-Biografie und PJ-Harvey-Gedichtband stellen. Und sich einfach mal wieder von der musikalischen Qualität Brownsteins überzeugen lassen.