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Autofahren fast ohne Reue

Verkehr. – Treibstoffpreise auf Allzeithoch machen das Autofahren für viele zu einem geradezu masochistischen Akt. Wie man Mobilität ohne große Reue verwirklichen könnte, stellte jetzt in Berlin ein ungewöhnliches Bündnis vor. Der Vorstandsvorsitzende von Eon Energie und die Grünen-Politikerin Bärbel Höhn plädierten für Elektroautos als Zweitwagen.

Von Mathias Schulenburg | 12.11.2007
    Eine Modernisierung des Energiewesens ist nicht nur des drohenden Klimawandels wegen geboten; mittlerweile stehen auch neue Techniken zur Verfügung, die verblüffende Lösungen möglich machen, und ebenso überraschende Allianzen. So eine gemeinsame Pressekonferenz von Bärbel Höhn, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, und Klaus-Dieter Maubach, Vorstandsvorsitzender des Stromanbieters Eon Energie. Der am vergangenen Donnerstag gemeinsam vorgeschlagene Coup: Der Aufbau einer Millionen zählenden Flotte von reinen Elektrofahrzeugen, die aus dem vorhandenen Netz gespeist würden. Klaus-Dieter Maubach zählt zu den Vorzügen des Konzeptes, dass – anders als bei Wasserstoff-Fahrzeugen – für die als Zweitwagen gedachten Elektroautos keine neue Infrastruktur aufgebaut werden müsste, sie könnten an der heimischen Steckdose "betankt" werden:

    "So ein Zweitwagen verbraucht im Jahr 2000 Kilowattstunden. Er hat einen Leistungsbedarf, der so gering ist, dass Sie es mit der vorhandenen Infrastruktur machen können."

    Frühere Studien gingen davon aus, dass für eine Millionenflotte von Elektroautos die Kapazität der Netze vervierfacht werden müsste. Die neue Studie der "Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie" und des "Bundesverbandes Solare Mobilität", auf die sich die Pressekonferenz stützte, rechnet damit, dass eine Flotte von 40 Millionen Elektrofahrzeugen den Stromverbrauch um gerade mal zehn Prozent erhöhen würde, was gut sein kann, denn Elektrofahrzeuge sind prinzipiell extrem effizient und müssten als Zweitwagen auch nicht für die kraftzehrenden Steinzeitrituale auf der Überholspur ausgelegt sein. Das große Plus für Firmen wie Eon: Mit den Akkus der Millionenflotte hätten sie endlich den irgendwann technisch notwendigen Zwischenspeicher für das schwankende Angebot der Erneuerbaren Energien, etwa der geplanten Off-Shore-Windparks. Maubach:

    "Wir bekämen substanzielle Speicherkapazität in unser Netz, und wir könnten diesem schwankenden Windkraftangebot einen dezentral verteilten Energiespeicher gegenüberstellen. Was uns enorme Systemkosten ersparen würde, wir sind heute in der Lage, im Grunde mit intelligenten Zählern, die wir selbst ansteuern, wo wir bestimmen, wann geladen wird – keine Angst, das Fahrzeug ist dann morgens aufgeladen, aber es ist für uns wichtig, den Zeitpunkt ein Stückchen steuern zu können. Wir haben heute auch die Informations- und Kommunikationstechnologie, um diese vielen Millionen Fahrzeuge zu beherrschen. Das wäre vor 15, 20 Jahren nicht möglich gewesen."

    Bärbel Höhn sieht als Ergebnis der Entwicklung viele Gewinner, darunter den Klimaschutz:

    "Weil wir in der Tat mit der Elektromobilität Autos produzieren können, die, wenn man umrechnet auf Benzin, ein bis zwei Liter auf 100 Kilometer verbrauchen, also sehr, sehr effizient sind. Wir haben den zweiten natürlich, das sind die Stromproduzenten, die hätten nämlich ein neues Betätigungsfeld, die Elektromobilität."

    Der Kraftstoffbedarf im PKW-Sektor sollte im Gegenzug laut Studie glatt halbiert werden können. Bärbel Höhn:

    "Und wir haben einen dritten Gewinner, das sind die Autofahrerinnen und Autofahrer. Denn diese Autos sind mittelfristig die billigeren Autos, also wir hätten wirklich eine Alternative zum Öl, und wir hätten in der Tat auch die Möglichkeit, Innovation zu machen, also auch die Automobilwirtschaft hätte wieder die Möglichkeit, Vorreiter zu sein."

    Die Voraussetzung für das alles, ein vernünftiger Akku für Elektroautos, ist mittlerweile zum Greifen nahe: Die Firma Degussa, heute Evonik Industries, hat eine massenproduzierbare Keramikfolie entwickelt, die die Konstruktion von sicheren Lithium-Hochleistungsakkus für Elektrofahrzeuge ermöglicht. Die Produktion kommt gerade in Kamenz nahe Dresden in Gang. Und wem die zehn Prozent mehr an Strom zuviel sind – die ließen sich durch den Einsatz von LEDs in der Beleuchtungstechnik einsparen. An Möglichkeiten fehlt es nicht.