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Automation
Die Macht der Maschinen

Maschinen, die Menschen ersetzen: das ist in der Arbeitswelt längst Realität, vor allem in der industriellen Produktion. Welche Verwerfungen drohen durch die Automatisierung, und welche Chancen bietet sie? Diesen Fragen sind die IT-Experten Constanze Kurz und Frank Rieger nachgegangen.

Von Ulrike Westhoff | 25.11.2013
    Neue Technologien bringen immer Innovation und Skepsis zugleich. Seit gut einer Dekade begleiten Constanze Kurz und Frank Rieger diese Entwicklungen auf verschiedenen Gebieten. Während die beiden Technikpublizisten in ihrem Vorgängerbuch über "Datenfresser" aufklärten, durchleuchten sie nun die Automation der Arbeit. Dazu besuchten sie exemplarische Orte der industrialisierten Welt: landwirtschaftliche Betriebe und Druckereien, Erdölraffinerien und Logistiklager. Überall sind Rechner und Roboter fester Bestandteil der Arbeitsorganisation. Wie weit die Automatisierung mittlerweile fortgeschritten ist, dokumentieren die Autoren im ersten Teil ihres Buches anhand der Herstellung von Brot. Die Lektüre wird hier zu einer anregenden und detailreichen Tour d'Horizon durch die Produktionskette. Dass die Mühle längst nicht mehr am rauschenden Bach klappert, stellen Kurz und Rieger anschaulich dar.
    Das Herzstück der modernen Mühle ist ein riesiges Labyrinth aus Rohren, in denen Getreide und Mehl permanent per Unterdruck angesaugt, mit Überdruck geblasen oder durch die Schwerkraft fallend bewegt werden. Die gesamte Installation verteilt sich auf sechs bis acht Stockwerke, ein vielstimmiges Rauschen und Vibrieren erfüllt die Luft. Man kann sich das vorstellen wie eine gigantische Modelleisenbahnanlage mit Hunderten von Weichen, nur, dass statt Zügen der Fluss von Getreide und Mehl gelenkt wird.
    So komplex wie verblüffend ist für den Leser das Geflecht der automatisierten Prozesse, welche die Autoren auf ihrer Entdeckungsreise vorfinden. Den Einwand, menschliche Arbeitskraft sei durch den technischen Wandel nur in die Organisation der Produktion gewandert, widerlegen sie rasch. Ob auf den Äckern, in den Ställen oder Mahlfabriken – es ist menschenleer. Hier bestimmt die Software die Abläufe. Ihre Beobachtungen formulieren die beiden relativ neutral. Implizit werten sie die Automation aber doch – wenn sie sich beeindruckt über die - Zitat "modernen Wunder" - zeigen, dass etwa Hunderte Kühe von anderthalb Menschen betreut würden oder die Tiere ihre Melkroboter allein bedienten. Was die Informatiker fasziniert, liest sich für den Normalbürger fast dystopisch. Spätestens hier hätte man sich statt reiner Bestandsaufnahme eine Einschätzung gewünscht, die Kurz und Rieger dann allerdings im zweiten Teil ihres Buches über die Zukunft der Arbeit liefern. Die Maschinen scheinen überlegen und nicht nur das.
    Das Optimierungsziel: Die verbliebenen Arbeiter sollen zu 99 Prozent ausgelastet werden, schließlich kosten sie jede Stunde Geld. Das bedeutet in der Praxis, wann immer der Mensch an der Packstation vom Bildschirm hochblickt, auf dem er gerade die Fertigstellung eines Pakets bestätigt hat, steht schon eine kleine Schlange Roboterregale mit den Waren für die nächsten Pakete neben seinem Tisch an. Verschnauft werden kann nur in den regulären Arbeitspausen.
    Die Automation der Arbeit im digitalen Zeitalter bricht also gerade mit der alten Regel der industriellen Revolution, der Mensch sei Herr der Maschine. Das Verhältnis kehrt sich um, wie die Autoren in einem Logistikunternehmen beobachten: An den Schnittstellen, dort wo Maschine und Mensch noch zusammenarbeiten müssen, sind es die Arbeiter, die sich anzupassen haben. Bei einigen Abläufen seien die Menschen den Maschinen sogar im Weg. Constanze Kurz:
    "Ein Mensch, der einen Gabelstapler fährt, der macht sich nicht Gedanken darum, ob er eine Palette jetzt 15 oder 20 Zentimeter neben der Markierung abstellt. Für einen Roboter ist das allerdings ein ganz entscheidendes Element, wie präzise und genau die Arbeiten ausgeführt werden. Das bedeutet natürlich, dass die Zusammenarbeit von Maschine und Menschen, wenn da noch Menschen dabei sind, anders und auf die Fehler von Menschen abgestellt werden muss. Weswegen natürlich in einigen Bereichen der Trend dahin geht, dass man Menschen komplett rausnimmt aus der Organisation."
    Doch es seien nicht länger nur die Fließbandarbeiter, die durch einen Roboter ersetzt werden, so das Fazit im zweiten Teil. Kurz und Rieger werfen darin einen Blick in die Zukunft, auf selbstfahrende Autos, Drohnen und Roboter im Operationssaal. Doch primär geht es ihnen um das, was sie Automatisierung des Geistes nennen. Gemeint ist, dass man gewisse Kerntätigkeiten durch Algorithmen ersetzt. Das wiederum habe Auswirkungen auf sogenannte gehobene Berufsgruppen - Anwälte, Banker und Journalisten. Constanze Kurz nennt ein Beispiel.
    "Sehr typisch ist sicherlich ein heutiges Bankgeschäft. Wenn man als normaler Kunde einen Kredit möchte, dann sitzt man zwar einem Menschen in der Regel gegenüber. Aber was der Mensch tut in der Bank, ist letztlich nur noch die Scoring-Werte oder die Ausgaben, die eine Software auf seinen Bildschirm projiziert, mitzuteilen. Wenige Bankmitarbeiter haben tatsächlich noch die Entscheidungshoheit darüber, ob sie einen Kredit gewähren, sondern sie richten sich nach den Algorithmen, die nach Wahrscheinlichkeiten und zurückliegenden Ereignissen berechnen, ob dieser Mensch kreditwürdig ist. Und solche Prozesse gibt es in vielen Bereichen."
    Die wesentliche Frage sei daher, analysieren Kurz und Rieger, in welche Richtung sich die Gesellschaft mit diesen Änderungen bewegt.
    Die wirklich harte Nuss wird sein: ideologische Ansichten und Indoktrinationsmuster zu überwinden, die auf sozialdarwinistische Grundgedanken à la "Nur wer arbeitet, soll auch essen" zurückgehen. Nicht nur deshalb, weil aus der Perspektive zukünftiger Technologieentwicklungen nicht mehr alle Menschen arbeiten müssen, sondern auch, da bereits jetzt nicht mehr genügend Verwendungsmöglichkeiten für alle Bereiche von individuellen Talenten und Fähigkeiten unter der Prämisse einer rein marktwirtschaftlichen Betrachtung vorhanden sind.
    Sowenig, wie die Maschine den Arbeiter in der Industrialisierung vollkommen ersetzt hat, wird Software ihn zukünftig entbehrlich machen, mag man einwenden. Am Ende kann man Kurz und Rieger jedoch nur beipflichten: Damit wir nicht weiterhin einfach abhängig von den Maschinen sind, müssen wir endlich anfangen, sie zu verstehen. Ihr Buch ist dabei ein erster Schritt.