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Autonomes Fahren
Damit der Homo sapiens ein besserer Autofahrer wird

Mobile Eye ist eine Technologie aus Israel, die als kleiner Bruder des autonomen Fahrens gilt. Die Grundidee: Kameras liefern einem Computer Informationen über den Straßenverkehr. Seit 18 Jahren gibt es die Firma. Sechs Milliarden Verkehrssituationen auf der ganzen Welt hat sie seither gespeichert.

Von Benjamin Hammer | 27.10.2017
    Ein Geschäftsmann schaut sitzend auf seinem Laptop, der Zug in dem er sitzt ist herausretuschiert, er ist nur von Landschaft umgeben (Bild: Bewegtes Land)
    Die erfolgreiche Firma Mobileye aus Israel will das Problem mit den vielen Autounfällen lösen (Bewegtes Land)
    Unterwegs im Feierabendverkehr in Tel Aviv. Es ist viel los auf den Straßen, Autofahrer wechseln plötzlich die Spur, meistens ohne Blinker.
    Vorne im Auto: ein Gehäuse mit Kamera und Computerchip. Der Computer kennt das Gewicht und die Geschwindigkeit des Autos. Und er sieht und analysiert den Verkehr. Sobald es brenzlig wird, warnt das Gerät den Fahrer durch einen vernehmlichen Piepston.
    Die Technologie wurde in Jerusalem entwickelt. Das kleine Gerät hinter der Windschutzscheibe ist so etwas wie der kleine Bruder jener Vision, die gerade weltweit im Fokus steht: dem autonomen Fahren. Mobileye verfolgt beide Ansätze: Die sogenannten Nachrüstkits sind schon länger auf dem Markt und können in fast alle Autos eingebaut werden.
    Gleichzeitig entwickelt das Unternehmen auf der gleichen technischen Grundlage Autos, die autonom fahren. Lior Sethon ist einer der Manager von Mobileye.
    "Der Homo sapiens ist ein schlechter Autofahrer. Menschen sind für 90 Prozent der Autounfälle verantwortlich. Warum wir unsere Technologien erschaffen haben? In erster Linie, damit es weniger Unfälle gibt."
    Von Lior Sethons Büro aus hat man einen guten Blick auf die Hügel, die Jerusalem umgeben. Auf dem Flur steht ein Kickertisch, die meisten Mitarbeiter sind jung. "Bei uns herrscht noch der Geist eines Start-ups", sagt Lior Sethon. "Obwohl wir schon ein großer Name sind".
    Der teuerste Deal der israelischen IT-Industrie
    Ein großer und teurer Name. Im März wurde Mobileye vom US-Unternehmen Intel gekauft. Für 15 Milliarden US-Dollar. Es war der teuerste Deal in der Geschichte der israelischen IT-Industrie. Mobileye gibt es seit 18 Jahren. Die Grundidee: Kameras liefern dem Computer Informationen über den Straßenverkehr. Der Computer analysiert die Bilder der Kameras: Wie nah ist der Fußgänger? Wo befindet sich der Seitenstreifen?
    "Wir bringen dem Computer bei, wie er menschliche Intuition bekommt", sagt Lior Sethon. "Nehmen Sie zum Beispiel einen Kreisverkehr. Unbewusst teilen wir Menschen in Kategorien ein: Wo ist der aggressive Fahrer? Wer fährt eher vorsichtig? Diese Prozesse müssen wir dem Computer beibringen."
    Mobileye hat in all den Jahren die Daten von 22 Millionen gefahrenen Kilometern gesammelt. Die Computer in der Zentrale analysieren sie. Man könnte sagen: Sie lernen selbstständig. Die Ergebnisse werden dann als Update auf die Rechner in den Autos gespielt. Nach Angaben des Unternehmens kennen die Rechner bereits sechs Milliarden verschiedene Verkehrssituationen. Die Daten stammen von Straßen aus aller Welt. Das ist wichtig. Denn in einem Dorf in Norwegen fahren die Menschen nun einmal anders, als in der Rush Hour von Neapel.
    Die Werkstatt von Mobileye befindet sich in der Tiefgarage und ist durch ein schweres Tor gesichert. Dahinter: acht Autos. In den offenen Kofferräumen befinden sich Computer, dicke rote Stromkabel hängen heraus. Hier entsteht die Zukunft des autonomen Fahrens. In der Garage steht auch eine silberne Limousine eines deutschen Herstellers. Viele kleine Kameras an allen Seiten des Autos deuten darauf hin, dass dies kein gewöhnlicher Wagen ist. Dieses Auto kann völlig autonom fahren. Serienreif ist es aber noch nicht.
    Schwarzer Tag in der Geschichte von Mobileeye
    "Wir sind weiter, als die meisten denken", sagt der Mobileye-Manager Lior Sethon. "Auf der anderen Seite gibt es noch sehr schwierige Aufgaben, die wir lösen müssen."
    Sethon und seine Kollegen wissen: Noch macht ihr System Fehler. Über einen Tag im vergangenen Jahr will Sethon absolut nicht sprechen:
    "I don’t want to."
    Am 7. Mai 2016 fuhr ein US-Amerikaner mit seinem Tesla-Auto in einen Lastwagen. Der Mann starb. Das Auto fuhr in jenem Modus, den Tesla "Autopilot" nennt. Im Fahrzeug steckte Technik von Mobileye. Lior Sethon wird etwas unruhig. "Wir haben gesagt, was wir sagen mussten. Dem habe ich nichts hinzuzufügen."
    Wenige Monate nach dem Crash beendete Mobileye seine Zusammenarbeit mit Tesla. In dem israelischen Unternehmen sieht man das so: Man habe immer betont, dass die Systeme den Fahrer unterstützen können, nicht jedoch ersetzen. Aus Sicht der Israelis hatte Tesla zu viel versprochen. Ein Vorwurf, den Tesla zurückweist.
    Zusammenarbeit mit 27 Autobauern aus aller Welt
    Der Unfall in den USA hat Mobileye nicht geschadet. Im vergangenen Jahr machte der Konzern einen Nettogewinn von 100 Millionen US-Dollar. Damals kündigte das israelische Unternehmen eine enge Zusammenarbeit mit BMW und Intel an: Bis 2021, so der Plan, soll ein Auto auf den Markt kommen, das völlig autonom fahren kann. Die Technologie der Israelis ist begehrt: Das Unternehmen arbeitet mit 27 Autobauern aus der ganzen Welt zusammen. In Jerusalem vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendeine Delegation von Managern vorbeischaut. Und so ist der kleine, relativ junge Staat Israel zu einem Mekka für Automanager aus aller Welt geworden. Das Erfolgsrezept des Unternehmens?
    "Unsere Gründer haben gesagt: Es gibt ein Riesenproblem mit Autounfällen. Und wir werden das jetzt lösen. Das mag naiv und überheblich sein. Aber sie haben es geschafft. In Israel gibt es so etwas häufiger: Wir müssen hier oft improvisieren, über den Tellerrand schauen. Bei uns geht es nicht förmlich zu, es gibt flache Hierarchien. Und dann, ganz wichtig: Wir fürchten uns nicht davor, auch mal zu scheitern."
    Keine Furcht vor dem Scheitern? Was geschieht, wenn sich die selbstfahrenden Autos nie durchsetzen? Mobileye hätte ein großes Problem. Lior Sethon winkt ab. Mit diesem durchaus israelischen Selbstbewusstsein sagt er: Wenn autonome Autos Unfälle fast vollständig verhindern können, dann kommt das. Der Zug in diese Richtung ist längst abgefahren: "The train already left the station."