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Autonomie mit blutigen Unruhen

Zu seinem 70. Geburtstag im Juli war der Dalai Lama in Deutschland und wurde groß gefeiert. Seit über 45 Jahren lebt er nun schon im Exil und kämpft für die Freiheit seiner Heimat Tibet, die von den Chinesen besetzt ist. Heute vor 40 Jahren, am 9. September 1965 wurde Tibet zur Autonomen Region erklärt, doch von einer echten Autonomie ist Tibet weit entfernt.

Von Georg Gruber | 09.09.2005
    Tibet war schon immer Bestandteil Chinas, seit Jahrhunderten - so lautet die chinesische Standardargumentation, die sich historisch und juristisch allerdings nur schwer halten lässt, mit der aber auch schon Mao die Besetzung Tibets im Jahr 1950 rechtfertigte. Ein weiterer Grund für den Einmarsch: Das tibetische Volk müsse aus der Leibeigenschaft befreit werden. - Nur, das Volk hatte die Chinesen nicht zur Hilfe gerufen.

    Tibet, das "Dach der Welt", umgeben von den Bergmassiven des Himalaya, war eine feudal organisierte Gesellschaft. An der Spitze stand der Dalai Lama.

    " Der Dalai Lama ist also der Herrscher des Landes, ihm gehört von vornherein einmal alles. "

    Heinrich Harrer im Jahr 1959, einer der wenigen Europäer, die länger in Tibet gelebt haben.

    " Vom Tier bis zum Baum…" Auch bis zum Menschen? "...bis zum Menschen, alles gehört ihm und er verteilt dann. Gewisse Klöster haben viele Güter und leben von dieser Art Pfründe. "

    Harrer freundete sich mit dem jungen Dalai Lama an und schrieb ein Buch über seine Erlebnisse. "Sieben Jahre in Tibet" wurde in 50 Sprachen übersetzt und bot die Vorlage für den gleichnamigen Hollywoodfilm.

    1951 verlor Tibet seine Unabhängigkeit. In einem von Peking diktierten 17-Punkte-Abkommen wurde den Tibetern eine begrenzte Autonomie zugesichert: die Befugnisse des Dalai Lama sollten nicht angetastet, Religion, Sitten und Gebräuche respektiert werden. Die Realität sah jedoch anders aus, es kam zu blutigen Unruhen …

    "… die eigentlich auch dem Dalai Lama nicht genehm waren, es wäre ihm lieber gewesen, wenn sein Land in Ruhe geblieben wäre. "

    1959 musste der Dalai Lama aus Tibet fliehen. Die Chinesen begannen einen Vernichtungsfeldzug gegen die buddhistische Kultur: Die Klöster und Tempel wurden fast vollständig zerstört, Mönche, Nonnen und vermeintliche Konterrevolutionäre verhaftet, hunderttausende kamen in Arbeitslager. Die Landwirtschaft wurde umstrukturiert und kollektiviert, als Folge gab es erstmals in der tibetischen Geschichte Hungersnöte.

    Rund 1,2 Millionen Menschen starben durch Exekutionen und Massaker oder an Hunger. Ausgerechnet in diese Phase der brutalen Repression fällt die Ausrufung der Autonomen Region Tibet, am 9. September 1965, zum Abschluss des ersten tibetischen Volkskongresses, der in Lhasa stattfand. Eine reine Schauveranstaltung

    " Wir werden niemals den Klassenkampf vergessen und werden immer wachsam sein gegenüber Sabotageakten des Klassenfeindes. "

    Letztlich war die Ausrufung der Autonomen Region nur ein weiterer Schritt hin zur Zerschlagung des ehemals unabhängigen Staates, denn das Gebiet umfasst nur die Hälfte des historischen Tibets, der Rest wurde chinesischen Provinzen eingegliedert.
    Der Dalai Lama bildete eine Exilregierung. Er wurde über die Jahrzehnte zu einem Popstar des gewaltfreien Widerstandes. 1989 erhielt er den Friedensnobelpreis. Petra Kelly, die prominente Grünenpolitikerin, hatte sich jahrelang dafür eingesetzt.

    " Die Welt hat zugeschaut, sie hat auch die Tibeter vergessen. Ich denke mit dieser Benennung hat sie nicht nur den Dalai Lama geehrt, sie ehrt auch den Kampf der Tibeter, den gewaltfreien Kampf. "

    Ein erfolgloser Kampf. Die Tibeter sind heute eine Minderheit im eigenen Land, immer mehr Han-Chinesen haben sich angesiedelt, von Peking gefördert. Von der Forderung nach völliger Unabhängigkeit für Tibet ist der Dalai Lama schon 1988 abgerückt, wofür er im eigenen Lager kritisiert wird. Er wäre mit einer echten Autonomie zufrieden, bei der China weiterhin für Tibets Außenpolitik verantwortlich sein könnte. Darüber müssten, so sagt er, aber letztlich alle Tibeter entscheiden.

    Doch dazu wird es kaum kommen. Denn die Machthaber in Peking sind nicht zu Zugeständnissen bereit: sie verweisen auf Erfolge in der wirtschaftlichen Entwicklung der Autonomen Region - und sie warten auf den Tod des Dalai Lama, der in Tibet noch immer verehrt wird, hoffend, dass dann der letzte Widerstand gebrochen ist.