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Autor der aufstrebenden Bourgeoisie

Eugène Scribe war der erfolgreichste Theaterautor seiner Zeit. Er besaß einen feinen Sinn für die Themen seiner Zeit. Ein halbes Jahrhundert lang, von seinen Anfängen um 1810, bis zu seinem Tod am 20. Februar 1861 brachte er jedes Jahr gleich mehrere Stücke auf die Bühne.

Von Kersten Knipp | 20.02.2011
    Meyerbeers "L´Africaine", eine Oper über das portugiesische Kolonialreich, getextet von einem Franzosen. Leicht, gefühlvoll, bewegend und ein wenig traurig – so wie dieses Libretto waren die meisten Arbeiten, die Eugène Scribe auf die Bühne brachte. Das Publikum liebte ihn dafür. "Ein Glas Wasser", "Der Goldregen", "Der verliebte Vampir" – sind Stücke dieses Autors, der sehr genau wusste, wie er die Zuschauer fesseln konnte.

    "Ein Stück besteht aus einer Handlung, deren Zuspitzung und Auflösung. Aufgreifen sollte man nur solche Themen, die aufregend und originell sind und hinreichend Dramatik bieten. Man muss – und das ist das Schwierigste – die Szenen aufeinander abstimmen, Interesse schüren und Spannung erzeugen."

    Scribe, geboren 1791, wuchs in einer politisch und kulturell unruhigen Zeit auf. Die Französische Revolution hatte die alte Ordnung hinweggefegt. Doch stabil war die neue noch lange nicht. Die Avantgardisten und die Reaktionäre, die Traditionellen und die Modernen: Ihre Rivalität lieferte im 19. Jahrhundert den Stoff für die Auseinandersetzungen im politischen Frankreich. Und diese, so der damals gefeierte Kritiker Jules Janin, bildeten den Hintergrund der Stücke, mit denen Scribe sein Publikum unterhielt:

    "Monsieur Scribe begriff sehr früh, dass aus den Ruinen des alten Reiches eine neue Welt erwuchs: eine Mischung aus Adel und Bürgertum, alter und neuer Garde, aus Liberalen und Herzoginnen, aus Dachkammern, in denen man singt, und Salons, in denen man sich unterhält."

    Giuseppe Verdi, "Les vêpres siciliennes". Auch für diese Oper hatte Scribe den Text geschrieben. Zurückgegriffen hatte er allerdings auf ein anderes, früher verfasstes Libretto für Donizetti, das er nahezu wortwörtlich übertrug. Schon zu Scribes Lebzeiten hatte man vermutet, der ungemein produktive Autor, der rund 420 dokumentierte Stücke hinterließ und eine regelrechte Textwerkstatt unterhielt, habe vieles nicht selbst verfasst. Ein Vorwurf, den seine Witwe später nicht gelten lassen wollte:

    "Er konnte ohne Zweifel an mehreren Stücken gleichzeitig arbeiten. Aber man kann nicht behaupten, er habe die Arbeit eines ganzen Stabs von Mitarbeitern beaufsichtigt und geleitet. Er bearbeitete jedes Stück einzeln."

    Scribes Produktivität machte ihn zu einem vermögenden Mann. Er liebte seinen Beruf – war aber auch immer entschlossen, die Früchte seiner Passion zu ernten:

    "Ich weiß, dass man in der Literatur selten ein Vermögen macht und dass viele meiner Kollegen, die besser waren als ich, durch sie ins Elend und in Krankheit gestürzt sind. Sie haben ihre Arbeit nicht richtig verstanden. Es ist sehr wohl möglich, gleichzeitig Talent und Geld zu haben."

    Über 30 Jahre lang war Scribe der Autor der aufstrebenden Bourgeoisie. Hotels, Cafés und Restaurants, Hochzeitsfeste, Vergnügungsparks und die großen Bäder sind die Orte, an denen seine Stücke spielen, bürgerliche Komödien mit politischem, freilich nie allzu politischem Hintergrund. Mit ihnen trug er dazu bei, das Theater zu dem werden zu lassen, was es war in jener Zeit: das vornehmste Forum der debattierenden Gesellschaft. Ein amerikanischer Beobachter schrieb im Jahr 1839:

    "In Paris gibt es eine Art Dramakratie, und zwar in dem Sinn, dass das Theater die gesamte Bevölkerung anzieht, von ihren Spitzen bis zum Fundament. Es ist verbreiteter, lebendiger und einflussreicher als Kirche und Staat."

    Scribe war der erfolgreichste Dramatiker jener Zeit. Und wurde doch gegen Ende seiner eigenen Einfälle nicht mehr froh. Im Jahr 1860 vertraute er einem Freund an:

    "An einer neuen Idee zu arbeiten, mag noch angehen. Aber sich an etwas Altes zu setzen, an ein Jugendwerk, die alten, in Serie produzierten Scherze noch mal zu bearbeiten, die auf allen europäischen Bühnen zum Besten gegeben werden – das ist furchtbar."

    Am 20. Februar 1861 erlag Eugène Scribe einem Schlaganfall – in einer Kutsche, auf dem Weg zum Präsidenten der französischen Autorenvereinigung. Sein Abschied aus dem Leben war auch der aus der Literaturgeschichte: Sehr, offenbar allzu sehr dem Geist der Zeit verpflichtet, schafften es seine Stücke nach seinem Tod kaum mehr auf die Bühne.