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Autor fordert mehr Gelassenheit im Umgang mit islamischen Protesten

Der Schriftsteller und Publizist Navid Kermani hat zu mehr Gelassenheit im Umgang mit antiwestlichen Protesten in der islamischen Welt aufgerufen. Anlass sind die Demonstrationen gegen den britischen Autor Salman Rushdie in Pakistan. Man solle die "Dinge nicht noch größer machen als sie schon sind". Gleichzeitig müsse man entschieden klarstellen, dass "wir unsere Freiheit, unsere Form der Liberalität verteidigen".

Moderation: Bettina Klein | 22.06.2007
    Bettina Klein: Ritterschlag für den Autor der "Satanischen Verse". Dies passt in islamischen Ländern vielen Menschen nicht und löst einmal mehr Proteste gegen Salman Rushdie aus. Es gibt Politiker, die abermals dazu aufrufen, Rushdies Bücher zu verbrennen oder sogar ihn zu töten. Reaktionen auf der einen Seite, Solidaritätsbekundungen für den Schriftsteller auf der anderen. So haben in Deutschland Verleger und Schriftsteller ihre Unterstützung für den Kollegen bekundet und einer der Autoren, die eine Solidaritätserklärung unterzeichnet haben, ist Navid Kermani, den ich jetzt am Telefon begrüße. Guten Morgen!

    Navid Kermani: Guten Morgen!

    Klein: Hat Sie die Schärfe und der Umfang der Proteste eigentlich überrascht, oder haben Sie das für möglich gehalten?

    Kermani: Dass es zu Protesten kommt, wenn Salman Rushdie zum "Sir" ernannt wird, das war eigentlich abzusehen. Das ist ja, zumindest wenn man die Schlagzeile dann irgendwo liest, eine scheinbar symbolische Auszeichnung. Die Schärfe, da bin ich immer etwas skeptisch, weil ich oft genug selber gesehen habe, wie solche Bilder und Nachrichten entstehen. Das ist schwer zu beurteilen, wie weit dort unten die Proteste sind. Dass ein Tumult von Menschen die britische Fahne schwingt und sie verbrennt, das sind auch oft Bilder, die auf Initiative von Fotografen entstehen, wie ich das selber oft erlebt habe. Aber was uns wirklich Sorgen bereiten sollte ist etwa, dass ein pakistanischer Minister, also wirklich jemand, der selbst in Amt und Würden steht, zu Gewalt aufruft oder jedenfalls Salman Rushdie konkret bedroht. Das sind die Dinge, gegen die wir uns ganz stark wenden müssen.

    Klein: Ganz stark wenden. Das heißt auch Reaktionen auf Seiten der Politik?

    Kermani: Zunächst einmal muss man ganz klarstellen: Jeder kann seine Meinung ausdrücken. Auch Proteste haben ihre Berechtigung. Es geht nicht darum zu sagen, dass alle damit einverstanden sein müssen oder alle "Hurra" rufen müssen, sondern es geht darum, dass egal wie man zu der Ehrung steht, egal wie man zu Salman Rushdie steht es zu keinen Drohungen kommen darf. Das sind einerseits Drohungen gegen Salman Rushdie persönlich, die sein Leben bedrohen, aber andererseits können wir auch nicht akzeptieren, dass andere Staaten versuchen, massiv Einfluss darauf auszuüben, wie etwa der britische Staat mit seinen britischen Staatsbürgern umgeht, und wir verlangen die ganze Zeit, dass die europäischen und die westlichen Regierungen die Einwanderer und die Kinder der Einwanderer als eigene Bürger begreifen. Insofern ist das erst mal eine britische Angelegenheit.

    Klein: Wie verbreitet, Herr Kermani, ist die Haltung in der islamischen Welt, die wir jetzt gesehen haben auf Fotos und in Filmberichten, die Sie vielleicht für teilweise auch inszeniert gehalten haben? Wie typisch ist das für das Denken, das in Staaten wie Ägypten oder Indonesien vorherrscht?

    Kermani: Das hat sich in den letzten Jahren oder sagen wir zwei, drei Jahrzehnten doch sehr stark verstärkt. Vor allem in der arabischen Welt, auch in Pakistan. Das waren Gesellschaften, die insgesamt vor einigen Jahrzehnten weit liberaler waren, auch in der öffentlichen Stimmung, zum Teil auch in der Presse, als sie es heute sind. Man bemerkt eine starke Fundamentalisierung oder man merkt eine starke Rückkehr zu den so genannten eigenen Werten und vor allem merkt man, dass die Stimmung, dieses Gefühl, vom Westen dominiert zu werden in allen Belangen, dass der Westen die Politik diktiert, dass der Westen die Kultur diktiert, ein sehr starkes Empfinden vor allem in der arabischen Welt ist. Insofern geht es gar nicht so sehr um diese oder jene Beleidigung, sondern es ist immer wieder so, dass diese oder jene Beleidigung dann das Fass zum Überlaufen bringt und man seine allgemeine Abwehr oder seinen allgemeinen Unmut über das Verhalten des Westens dann zum Ausdruck bringt.

    Klein: Auf der anderen Seite die Reaktionen des Westens. Danach habe ich auch schon gefragt. Die Freiheit des Wortes im Islam, ist der Kampf darum eine Auseinandersetzung damit eine, die wir entschiedener führen müssen?

    Kermani: Nein. Ich glaube, dass wir die in der Vergangenheit durchaus entschieden geführt haben und dass wir das auch fortführen sollten. Wir sollten nur dabei nicht in Panik geraten. Erstens mal sollten wir uns immer daran erinnern: Einige Hundert Demonstranten in Rawalpindi sind nicht die islamische Welt. Auch ein Imam in Kaschmir ist nicht die islamische Welt. Wir müssen auch akzeptieren, dass die Leute in der Art und Weise protestieren, wie wir es selbst vielleicht auch tun, wenn Werte unserer eigenen Kultur beleidigt würden. Wir müssen aber klarstellen, dass wir uns überhaupt nicht einschüchtern lassen und dass wir unsere Freiheit weiter fortführen und nicht mit vorauseilendem Gehorsam, wie es damals etwa bei dieser Opernabsetzung war, sogar den etwaigen Wünschen von Islamisten, die es ja damals gar nicht gab, entgegenkommen. Die Welt ist aber komplizierter geworden. Das was heute der Imam in Kaschmir sagt, steht am nächsten Tag in der "Süddeutschen Zeitung" oder in der "FAZ". Dass das hier ein Ritterschlag in England, der vor zehn Jahren überhaupt niemanden erreicht und niemanden interessiert hätte, ist plötzlich die Hauptschlagzeile in einer pakistanischen Tageszeitung. Diese Art von Vernetzung der Information, ohne dass es gefiltert würde. Früher war es ja so, dass Korrespondenten aus der Masse der Informationen dann das herausgefiltert haben und nach Westen transportiert haben und umgekehrt, was sie für relevant halten. Mittlerweile ist es so, dass jede Nachricht überall ankommt und jeder Dorf-Imam, wenn er sich ausreichend radikal äußert, am nächsten Tag irgendeine Schlagzeile in Deutschland ist, und umgekehrt eben auch. Diese Art von unguter Nähe, an die müssen wir uns gewöhnen. Der werden wir auch nicht entkommen. Da gilt nur einerseits natürlich eine Gelassenheit zu bewahren, die Dinge nicht noch größer zu machen als sie sind, aber in der Sache natürlich ganz entschieden klarzustellen, dass wir unsere Freiheit, unsere Form der Liberalität verteidigen, die ja übrigens auch in Europa keineswegs immer so unangetastet ist, wenn Sie nach Griechenland schauen.