Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Autor Walter Filz
Mein Vater, der Karnevalist

Ein Buch über den Kölner Karneval wie das von Walter Filz hat es wohl noch nie gegeben. Denn in "Es ist noch Känguruschwanzsuppe da" verknüpft Filz Erinnerungen an seinen eigenen Karnevalisten-Vater mit einem kulturkritischen Rückblick auf 55 Jahre Kölner Karneval.

Walter Filz im Gespräch mit Gisa Funck | 04.04.2018
    Eine Trommel (um 1900) ist am 21.11.2014 im Kölnischen Stadtmuseum in Köln
    Das Problem der Kölner Sentimentalitätskultur: Letztes Jahr war's immer schöner (dpa/ picture alliance / Rolf Vennenbernd)
    "Es ist noch Känguruschwanzsuppe da" ist ein Vater-Erinnerungsbuch der ungewöhnlichen und ungewöhnlich vergnüglich-intellektuellen Art. Und wahrscheinlich ist es das bislang einzige Werk über den Kölner Karneval, in dem Fachbegriffe von Kulturtheoretikern wie Michael Foucault und Susan Sontag auftauchen.
    Buchautor Walter Filz, ein mehrfach ausgezeichneter Hörspielautor Jahrgang 1959, ist zwar selbst ein gebürtiger Kölner. Doch anders als viele andere Kölner neigt er nicht zum typisch kölschen Lokalpatriotismus. Das wurde auch schon in seinem Vorgängerbuch "Der Affe zu Köln" von 2010 deutlich, in dem Filz ebenfalls bereits schonungslos mit einigen Kölner Lieblingsmythen aufräumte. Schon hier nahm er außerdem ein Einzelschicksal - nämlich die traurige Showkarriere des Kölner Zoo-Schimpansen Petermann - zum Anlass für eine tiefgründige Köln- und Gesellschaftsanalyse.
    Als eine solche kann man nun auch den Karnevals-Nachfolger "Es ist noch Känguruschwanzsuppe da" lesen. Allerdings wählt Filz diesmal für seine kulturwissenschaftlich unterfütterte Köln-Betrachtung einen sehr viel persönlicheren Blickwinkel. Denn der Vater des Autors, Karlheinz Filz, war bis zu seinem Tod 2002 vierzig Jahre lang Mitglied der Kölner Prinzengarde und hat seinem Sohn nicht weniger als zwei vollgestopfte Zimmer mit Karnevalsandenken hinterlassen.
    Känguruschwanzsuppe und Südsee-Exotismus
    Gisa Funck: Herr Filz, "Es ist noch Känguruschwanzsuppe da", so heißt Ihr neues Buch. Und da stellt sich natürlich als erstes die Frage, was es überhaupt mit dieser merkwürdigen Känguruschwanzsuppe auf sich hat. Wo wurde die aufgetischt? Was war da drin? Und wer verzehrte die eigentlich?
    Walter Filz: Die Känguruschwanzsuppe, um die es bei mir geht, ist ein Fundstück aus einer Speisekarte von 1962. Eine besondere Speisekarte. Es geht nämlich um ein Prinzen-Souper, es geht um einen Karnevalsprinzen. In Köln gibt es die Figur des Prinzen, des Karnevalshelden, den alle anhimmeln, und dieser Prinz gibt am Ende des Karnevals ein Festessen, und 1962 stand da Känguruschwanzsuppe auf der Menükarte.
    Und da war ich dann ziemlich schnell in der Welt der Exotismen Anfang der 60er-Jahre. Da gab es so eine Welle der Südseeschlager, und es gab noch zwei andere großartige Suppen, nämlich die Schildkrötensuppe und als dritte die Haifischflossensuppe.
    "Mein Vater wurde nicht eingezogen, er meldete sich freiwillig"
    Funck: Du meine Güte, ja, politisch und ökologisch heute wahrscheinlich nicht mehr ganz so korrekt, die Känguruschwanzsuppe. Ihr Buch ist also ein Rückblick auf 55 Jahre Kölner Karneval sowie auch ein Rückblick auf die sich wandelnden Sitten und Moden der alten Bundesrepublik. Aber es ist darüber hinaus auch und nicht zuletzt ein ganz persönlicher Rückblick auf Ihren Vater Karlheinz Filz. Denn der war bis zu seinem Tod 2002 ein begeisterter Karnevalist - und 40 Jahre lang beim Traditionskorps der "Kölner Prinzengarde" aktiv.
    Gleich zweimal heißt es dazu in Ihrem Buch: "Mein Vater wurde nicht eingezogen. Mein Vater meldete sich freiwillig." Das klingt nicht unbedingt so, als wären Sie als Sohn besonders begeistert davon gewesen wären?!
    Filz: Na ja, gut, man muss das ein bisschen erklären: Der Kölner Karneval ist sehr stark geprägt von den sogenannten Traditionskorps, und das sind Menschen, die sich einfach gesagt als Gardisten verkleiden. Die Kölner Prinzengarde gehört zu einer Reihe von Traditionskorps und ist, wie der Name schon sagt, für die Begleitung des Karnevalsprinzen zuständig, also sozusagen dessen Leibwache.
    Mein Vater war ein Durchschnittskarnevalist, also kein großer Funktionär, aber er war das mit Leib und Seele. Und als er gestorben ist, hatte er zuhause zwei kleine, aber sehr komplette Zimmer mit Karnevalsandenken und Souvenirs gesammelt, in Schränken und Vitrinen und in allem, wo sich nur irgendwie etwas unterbringen lässt.
    Und als ich mir das dann alles angeguckt habe, kam ich mir so ein bisschen vor, als hätte ich eine Art pharaonische Schatzkammer aufgemacht. Man guckt sich all diese Dinge an, man versteht sie überhaupt nicht. Man weiß gar nicht: Ist das ein ritueller Gegenstand oder nur ein Souvenir? Und dann war eigentlich schon die Perspektive klar: Diese ganzen Dinge, die mein Vater hinterlassen hat, müssen in einen größeren Zusammenhang gebracht werden.
    Funck: Von diesen zwei Karnevalszimmern Ihres Vaters, die es ja offenbar immer noch gibt, hat der Kölner Kunstfotograf Boris Becker sehr beeindruckende Fotos gemacht, und die sind auch in diesem Buch zu sehen. Leider kann man Fotos im Radio ja nicht sehen. Doch vielleicht beschreiben Sie mal, was ist da alles zu sehen an Karnevalstrophäen in diesen beiden Zimmern Ihres Vaters?
    Filz: Na ja, man muss sich erst mal versuchen vorzustellen, dass es keinen denkbaren Fleck an den Wänden gibt, der frei wäre. Also entweder stehen dort Vitrinen, teilweise einfach nur umgedrehte Aquarien, die man ja auch als Schaukasten benutzen kann, das ist das eine. Und wenn Wände frei sind, dann sind diese Wände entweder voller Urkunden, weil die Welt des Karnevals auch eine Welt der Ehrenbezeugungen ist, und sie sind auch voller Karnevalsorden.
    Und das alles dicht an dicht mit einer auf den ersten Blick ein bisschen musealen Ordnung. Also mein Vater hat Schildchen angebracht, hat versucht, die Dinge zu sortieren. Aber auf den zweiten Blick, das sieht man dann glaube ich auf den wunderbaren Fotos von Boris Becker, auf den zweiten Blick merkt man: Diese museale Ordnung sieht nur so aus. Es ist tatsächlich eine Art von fast geordnetem Sammelsurium. Und wenn man in diesen beiden Zimmern drinsteht, ist es unmöglich, den Blick auf irgendwas zu fokussieren, weil man schier erschlagen ist von der Menge.
    Zwei Zimmer voller Karnevalstrophäen
    Funck: Und diese vielen karnevalistischen "Beweismittel" Ihres Vaters, die unterziehen Sie ja dann in Ihrem Buch einer genauen, kulturwissenschaftlich unterfütterten Analyse. Also auch Namen von Kulturtheoretikern wie Michel Foucault oder Susan Sontag kommen darin vor und werden für durchaus kritische Befunde über den Kölner Karneval herangezogen. Und das, obwohl Sie ja eigentlich selbst als Kind auf dem besten Weg waren, später einmal Karnevalist oder vielleicht sogar einmal Kölner Karnevalsprinz zu werden. Denn schon im zarten Alter von vier Jahren sind Sie mitmarschiert, als Nachwuchsgardist bei der Kölner Prinzengarde. Also eigentlich der perfekte Start für eine spätere Karnevals-Karriere! Warum hat das mit Ihnen dann doch nicht geklappt?
    Filz: Ja, das kann ich selber eigentlich fast gar nicht beantworten. Dafür habe ich tatsächlich keine richtige Erklärung, und ich neige auch nicht dazu, alle Dinge psychologisch zu erklären. Ich sage dann immer: Mir fehlt doch anscheinend ein bestimmtes Gen. Und dieses Gen könnte man beschreiben als das "Ich mache mit und lasse mich total in einer massenbewegten Umtriebigkeit fallen"-Gen. Also da habe ich einen genetischen Defekt: Ich würde das sehr gerne tun, aber ich kann es nicht.
    Funck: Wie schon in Ihrem Vorgängerbuch "Der Affe zu Köln" räumen Sie auch diesmal in "Es ist noch Känguruschwanzsuppe da" erneut ziemlich gnadenlos mit so einigen Kölner Lieblingsmythen auf. So zum Beispiel mit dem Mythos, dass der Kölner Karnevalshumor angeblich besonders lustig sei. Ihre Analyse ergibt dagegen, dass die Kölner Karnevalsscherze zumindest in den 60er-, 70er-Jahren meistens ziemlich schlecht und misslungen waren. Woran mangelte es dem Kölner Karnevalshumor denn damals - oder mangelt es ihm daran sogar bis heute?
    Filz: Ja, das ist ein seltsames Phänomen. Denn, wenn man sich auch heutige Büttenreden anhört, und die damaligen gleich sowieso, dann denkt man ja immer: Wie kann das sein? Diese Witze sind ja nicht witzig!
    Der Kölner Humorist hat ja dann immer dieses Selbstverständnis, dass er sagt: Ja, aber unser Humor soll ja auch überhaupt nicht feinsinnig sein und kabarettistische Ansprüche haben, sondern bei uns kommt alles vom Herzen her und ist ganz urtümlich und überhaupt nicht irgendwie intellektuell. Im Gegenteil. Wir sind eben so ganz urwüchsige Leute. Und das ist ein Konzept, was mich eigentlich noch nie überzeugt hat. Und die interessante Frage dahinter ist dann natürlich, wie ist eine Stadt - und da sind wir wieder bei Köln - eigentlich disponiert, dass sie solch einen Humor bis heute ganz schön und akzeptabel findet.
    Warum sind Kölner Karnevalswitze nicht lustig?
    Funck: Wie sind denn diese Kölner Karnevalswitze? Sind das Anti-Witze oder versteht man die nicht? Oder was ist das Problem mit denen?
    Filz: Na ja, das Problem ist: Es sind keine Witze! Und ich will hier jetzt auch gar nicht als Schlaumeier eine große Witzologie aufstellen, aber es gibt eben doch so ein paar sehr einfache Regeln des Witzes. Ein Witz muss irgendwie von vorne bis hinten konsistent sein. Also: Sie können nicht vorne eine Welt aufmachen und hinten in einer anderen Welt landen.
    Ein Witz muss eine Pointe haben, also es gibt eine gewisse dramaturgische Vorgabe. Alle diese Kriterien werden vom Kölner Witz nur sehr selten erfüllt. Vor allem sind die immer ungeheuer ausgeschmückt, ganz umständlich erzählt und umschweifig! Und wie viele Sachen gehören gar nicht dazu.
    Funck: Auch am immer wieder von Kölner Karnevalisten gern beschworenen positiven Selbstbild kratzen Sie in Ihrem Buch gehörig. Und sie attestieren zumindest den Kölner Traditionsjecken gleich mehrfach, dass die auf neue Einflüsse oder auch auf zugereiste Fremde in der Regel gar nicht tolerant, sondern im Gegenteil sogar ignorant, unhumorig und unaufgeschlossen reagieren würden. Wie kommen Sie zu dieser wirklich erschütternden Diagnose?
    Filz: Das hat, glaube ich, schon eine gewisse Tradition zu sagen: "Okay, du kannst natürlich als Auswärtiger hier beim Karneval mitmachen, aber nur, wenn du dich einhundertprozentig assimilierst!" Also die Unkenntnis von Karnevalsliedertexten, die wird nur sehr, sehr ungern hingenommen. Auch die mangelnde Lachbereitschaft bei schlechteren Witzen, auch das hat der Kölner überhaupt nicht gerne. Und die Idee des Kölners, dass er anderen gegenüber tolerant ist, ist eine der falschesten Selbstbild-Ideen, die man haben kann.
    Das Märchen von der kölschen Toleranz
    Funck: Ein Vorwurf, den Sie auch vielen Kölnern und eben vor allem den Kölner Karnevalisten machen, ist diese Rückwärtsgewandtheit beziehungsweise auch eine allzu wehmütige Vergangenheitsverklärung. Da sagen Sie, auch heute noch aktuelle Karnevalsgruppen wie die Bläck Fööss, die Gruppe Brings oder BAP würden in ihren Liedern immer ein überidealisiertes, altes, gemütliches Heile-Welt-Köln heraufbeschwören, das es in Wahrheit gar nicht gibt und auch nie gegeben hat. Neigt der Kölner und insbesondere der Kölner Karnevalist Ihrer Meinung zum Nostalgiekitsch?
    Filz: Der Kölner neigt dazu, ungeheuer sentimental zu sein. "Och, wat wor dat fröher schön" ist ja so ein Leitsatz der Kölner Sentimentalitätskultur. Und dann steckt man natürlich in der Vergangenheit fest und guckt tatsächlich immer nur auf den Karneval als eine Art von Brauchtum, das in der Gegenwart permanent bedroht zu sein scheint. Und das ist natürlich eine ganz schlechte Lage, um jedes Jahr wieder Karneval zu feiern, wenn man jedes Jahr damit anfängt, dass es letztes Jahr eigentlich schöner war.
    Walter Filz: "Es ist noch Känguruschwanzsuppe da. Die Wahrheit über den Kölner Karneval aufgrund der Beweismittel meines Vaters"
    Greven Verlag, Köln 2018. 340 Seiten mit 245 meist farbigen Abbildungen, 28 Euro