Donnerstag, 25. April 2024

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Autorin Claudia Peppel
"Warten gibt uns Raum zum Nachdenken"

Ob beim Arzt oder auf dem Bahnhof: Warten fällt vielen Menschen schwer. Der von außen verfügte Stillstand sei ein Ausdruck von Macht und sozialer Ungerechtigkeit, sagte die Autorin Claudia Peppel im Dlf. Doch dieser Zustand biete den Wartenden auch die Chance, über ihre innere Unruhe nachzudenken.

Claudia Peppel im Gespräch mit Kathrin Hondl | 03.01.2020
Wartemöbel auf dem Gang einer Behörde
Neutrale Ästhetik: Sitzmöbel in einem Wartebereich (picture-alliance/Sodapix AG)
Warten fällt vielen Menschen unheimlich schwer. Als besonders schwierig werde das von außen verfügte Nichtstun empfunden, wenn man nicht wisse, wie lange der Zustand anhalte, sagte die Autorin Claudia Peppel, Mitherausgeberin des Buchs "Die Kunst des Wartens". Dabei biete uns das Warten einen Raum, darüber nachzudenken, was gerade mit uns passiert. Wir hätten so die Möglichkeit, eine Außenansicht auf die eigene innere Unruhe zu gewinnen.
Eine neutrale Ästhetik kennzeichne viele Warteräume - ob beim Arzt, an Bahnhöfen oder bei Rechtsanwälten. Dass Menschen in diesen Räumen fast alle mit ihrem Smartphone hantierten, macht für Claudia Peppel unsere Unfähigkeit, nichts zu tun, besonders deutlich. Dass wir nicht warten könnten, liege am verbreiteten Ruf nach maximaler Produktivität. Wir fühlten uns daher unter Druck, möglichst keine Pausen entstehen zu lassen.
Kein Warten mehr auf romantische Liebe
Das Warten als Begleiterscheinung der romantischen Liebe ist nach Ansicht von Claudia Peppel selten geworden. Sobald man das Warten heute nicht mehr aushalte, suche man sich eine andere Person. Früher habe es in der Liebe viele besondere Momente des Wartens gegeben habe. Allerdings habe sich auch damals schon das Moment der Macht gezeigt - das Wartenlassen als absichtsvolle Ungleichheit.
In anderen Bereichen sei das Wartenlassen oder das Zuspätkommen ebenfalls als Machtdemonstration zu werten. Interessant findet Peppel in diesem Zusammenhang, dass wir das Warten bei einem Arzt als selbstverständlich annähmen, während wir es in einer Anwaltskanzlei nicht akzeptieren würden. Dass Flüchtlinge in Deutschland so lange auf das Ergebnis ihres Asylantrags warten müssen, bezeichnete die Autorin als "würdelos".
Wunderbare zwischenmenschliche Momente
Die Kunst schafft nach Meinung der Autorin Möglichkeiten, die verschiedenen Momente der Reaktionen auf das Warten in Szene zu setzen. Beispielsweise stehe beim Theaterstück "Warten auf Godot" der kreative Umgang mit dem Warten und die wunderbaren zwischenmenschlichen Momente, die sich aus dem Warten entwickelten, stärker im Fokus, als das Warten selbst.
Eine schöne Seite des Wartens sei auch die Vorfreude, die beim Warten entstehe. Zum Beispiel freuten sich Menschen, die lange Wartezeiten für ein Ticket zu einem Konzert in Kauf nähmen - vielleicht sogar vor dem Ticketschalter campten - gemeinsam auf das musikalische Ereignis.