Freitag, 19. April 2024

Archiv

Averroës
Vordenker einer islamischen Aufklärung - Gott und Schöpfung

Die Vorstellungen des arabischen Philosophen und Islam-Gelehrten Averroës sind hochmodern. Deshalb gilt er als Vordenker einer islamischen Aufklärung. Averroës war davon überzeugt, dass sich Religion und Vernunft miteinander vereinbaren lassen. Deshalb dürfe der Vernunftbegabte den Koran auch nicht wörtlich auslegen, sondern solle ihn allegorisch verstehen. Averroës war einer der einflussreichsten Denker im Mittelalter. Andreas Speer, Philosophie-Professor in Köln, leitet ein neues internationales Forschungsprojekt zu Averroës.

Andreas Speer im Gespräch mit Susanne Fritz | 27.01.2016
    Die berühmte maurische Säulenhalle in der Mezquita-Kathedrale von Cordoba
    Die Mezquita-Kathedrale von Cordoba, Geburtsort des Averroës, war ehemals eine islamische Moschee ( imago / blickwinkel)
    Susanne Fritz: Professor Andreas Speer, Sie leiten ein internationales Forschungsprojekt an der Kölner Universität. In den kommenden Jahren wollen Sie bislang unveröffentlichte Schriften von Ibn Ruschd bzw. Averroës herausgeben. Wir haben schon über sein bewegtes Leben und das muslimische Spanien im Mittelalter gesprochen, auch über sein Verhältnis der Philosophie zum Islam. Averroës war davon überzeugt, dass die vernunftmäßige Erkenntnis nicht im Gegensatz zu den Grundzügen der Religion stehe, sich also Philosophie und Religion miteinander vereinbaren lassen. Wenn wir uns das jetzt mal genauer anschauen, wie ist Averroës mit zentralen religiösen Vorstellungen philosophisch umgegangen? Was hatte er etwa für ein Bild vom Wesen Gottes, wie hat er seine Eigenschaften beschrieben?
    Andreas Speer: Averroës kann hier meiner Meinung ganz prominent zurückgreifen eben auf die philosophische Theologie des Aristoteles. Vielleicht sollte man kurz sagen, dass eben Theologie, auch der Begriff der Theologie, eine Erfindung der Philosophen ist und nicht der Religionen. Das heißt, es ist für Platon und Aristoteles die oberste theoretische Wissenschaft, in der die Vernunft über sich selbst und über ihre Prinzipien und Grundlagen nachdenkt. Und das nennt Aristoteles den göttlichen Teil der Vernunft und sie hat in diesem Sinne das Göttliche zum Gegenstand. In seiner Metaphysik zum Beispiel entwirft Aristoteles ein Begriffsvokabular göttlicher Prädikate, wie zum Beispiel Einheit, Unveränderlichkeit, Ewigkeit und so weiter, die dann den Religionen, dem Christentum sowohl wie auch dem Islam – ganz prominent davon Averroës, darüber reden wir ja auch – dazu dient, um das Wesen Gottes zu beschreiben. Es kann das, denke ich, sogar noch besser als jeder christliche Theologe, weil der Islam einen viel stärkeren Monotheismus vertritt. Insofern passen die Göttlichkeitsprädikate, die Aristoteles im 12. Buch der Metaphysik entwirft, sehr wohl und können ihm dazu dienen, Aussagen über das Wesen Gottes zu machen, dient ihm geradezu als ein Muster für diese Harmonie von Vernunft und Religion.
    Fritz: Was genau sieht er denn in Gott, was für ein Bild hat er von Gott?
    Speer: Er hat sicherlich die Vorstellung – und das ist die aristotelische Vorstellung, dass der Kosmos, die Welt ein erstes Prinzip braucht. Aristoteles zeichnet ja den Gott als den unbewegten Beweger. Das heißt, es ist in der Tat ein sehr stark aus einer kosmologischen Perspektive gedachter Gottesbegriff, der als erstes Prinzip der Wirklichkeit und der physikalischen Welt, wie auch der transzendenten Welt, das heißt der Welt des Geistigen existiert.
    Fritz: Gott ist bei Averroës eine Wirkkraft, die auch Entscheidungen trifft und Veränderungen herbeiführen kann. Er ist in seinem Handeln dem Menschen aber nicht ganz unähnlich, ist allerdings mit viel, viel größerem Wissen und Macht ausgestattet. Sein Wissen ist von höherer und einzigartiger Natur, da er nicht darauf angewiesen ist, es aus der Welt zu erhalten wie die Menschen. Kann man das so sehen?
    Speer: Averroës greift dort die Vorstellung des Aristoteles auf, dass Gott als reiner Geist, als reiner Intellekt zu denken ist. Er weiß die Welt ursprünglich, sogar in der Art und Weise, wie sie verursacht worden ist. Er sieht darin jetzt weniger ein von Fall-zu-Fall-Eingreifen, also im Sinne von wundertätigem Eingreifen, okkasionalistischem Eingreifen, sondern er sieht es eher in dieser großen metaphysischen Perspektive, dass er sagt, dass das Verhältnis Gottes zu dieser Welt das Verhältnis einer erste Ursache zu etwas von ihm geschaffenen ist. Und das ist mehr eine generelle Perspektive als eine, die sich in einzelnen, speziellen, gesonderten Eingriffen in diese Welt zeigt. Das kann zwar sein, das gehört aber für Averroës mehr in diesen Bereich der Geschichten und Narrationen und so weiter, die die Menschen brauchen, um genau dies zu verstehen, was der Philosoph ohne diese Geschichten versteht.
    Fritz: Jetzt sieht Averroës in Gott eine Wirkkraft, wir haben es gerade gesagt. Er bezweifelt nicht dessen Existenz. Dieser Gott bleibt sehr abstrakt, den Averroës sich vorstellt. Er mischt sich nicht in die Angelegenheiten der einzelnen Gläubigen ein. Hat Gott nach Averroës Vorstellung die Welt erschaffen, was dachte Averroës über die Schöpfung?
    Speer: Averroës ist Aristoteliker, dass er sagt, es steht nirgendswo seiner Meinung nach im Koran, dass die Welt in diesem Sinne geschaffen ist, wie die christliche Schöpfungslehre dies denkt. Für Aristoteles wie eben auch für die gesamte antike Kosmogonie ist die Welt ohne Anfang und ohne Ende. Er sieht diese Spannung zwischen der aristotelischen Physik und einem Schöpfungsgedanken nicht, wie ihn christlichen Theologen sehen müssen. Und er sagt, diese Art, diesen Schöpfungsgedanken, der auch einen zeitlichen Anfang voraussetzt, den sieht der seiner Meinung nach im Koran nicht. Diese Position verteidigt er. Mit Blick auf die Beziehung Gottes zu den einzelnen Dingen in der Welt, ist auch zu sagen, dass er in der Tat der Meinung ist, dass Gott sehr wohl das Einzelne sieht, aber nach seiner Weise, also nach seiner Gottes Weise. Das heißt, in der Art und Weise, wie es zugleich verursacht und hervorgebracht wird. Eben dadurch, dass Gott denkt, setzt er diese Wirklichkeit und Realität. Das ist in der Tat diese Art von intellektueller Kraft, man könnte sagen, es ist eine Kreativität, die nur Gott hat und der Mensch nicht. Menschliche Kreativität ist gebunden an die Voraussetzungen. Das heißt, unsere Kreativität ist gewissermaßen ein Rekonfigurieren dessen, was es gibt, während Gottes Denken frei ist etwas neu zu setzen, in dem er es neu denkt.
    Fritz: In Averroës Philosophie gibt es einen Intellekt, der den Menschen mit dem Absoluten, mit dem Göttlichen verbindet. Und wie bei Aristoteles, seinem großen Vorbild gibt es auch bei Averroës eine individuelle menschliche Seele. Aber Aristoteles ging nicht davon aus, das die individuelle Seele unsterblich ist. Wie hat Averroës darüber gedacht? Gibt es bei ihm eine unsterbliche Seele, ein Leben nach dem Tod?
    Speer: Auch hier istAverroës ein treuer Exeget des Aristoteles. Man muss sagen, die Seele, die individuelle Seele ist das Prinzip der Lebendigkeit. Sie ist aber auch beschränkt auf das Vegetative und Sinnliche, also auf den Bereich des Körperlichen. Während mit dem Geist oder Intellekt, so griechisch der nous, etwas Neues hinzutritt. Das bedeutet allerdings auch für die Frage der Unsterblichkeit, dass diese sinnliche und vegetative Seele sterblich ist und dass der individuelle Teil unserer Existenz mit dieser Seele stirbt. Das, was unsterblich ist, das ist der allgemeine Teil. Das ist zugleich Averroës Interpretation, wie wir fortleben nach dem Tode, indem wir dann in einer Verbindung eintreten mit dem absoluten Geist, der Gott ist, aber unter Aufgabe unserer individuellen Existenz.
    Fritz: Gott ist eine übergeordnete allwissende und allmächtige Wirkkraft, die sich nicht für den einzelnen Gläubigen wirklich interessiert. Es gibt kein individuelles Leben nach dem Tod, eine Unsterblichkeit der Seele, der menschlichen Seele. Nur durch den Intellekt und die Erkenntnis ist die menschliche Gattung unsterblich. Mit solchen Vorstellungen hat Averroës nicht nur die islamische Geistlichkeit sondern auch die christliche Kirche im Mittelalter geschockt. Das muss eine Provokation gewesen sein. Trotzdem hat Averroës gerade im lateinischen Abendland sehr viel Einfluss auf das Denken und wird sehr populär. Woran liegt das?
    Speer: Es liegt daran, dass Averroës in seinen großen Kommentaren, die zeitgleich mit den Übersetzungen der Schriften des Aristoteles aus dem Griechischen auf der Bühne erscheinen und zugleich die gesamte Diskussion, die gesamte Debatte über Jahrhunderte mitliefert. Die großen Figuren der damaligen Zeit wie Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Johannes Duns Scotus haben das natürlich sofort erkannt. Und sie haben erkannt, dass sie Aristoteles nicht naiv einfach anfangen können wieder zu lesen, sie müssen ihn zugleich lesen mit der gesamten wissenschaftlichen Kommentartradition. Das heißt, wir würden heute sagen, mit Averroës werden also die Universitätsprofessoren an der Pariser Universität damals, das waren die Genannten, unmittelbar mit der neuesten Forschung in Verbindung gebracht. Averroës ist natürlich auch ein unglaublich smarter, kluger und sehr, sehr scharfsinniger Interpret. Das ist sein Einfluss. Er tritt sofort ins Zentrum der Debatte, dass er die Positionen, die bei Aristoteles zum Teil in diese und jene Richtung gelesen werden können, zuspitzt. Vielleicht darf man noch sagen, dass Averroës ja auch den Ehrennamen der Kommentator hat, wie Aristoteles der Philosoph genannt wird.
    Fritz: Sie sagen, er war vor allem der Kommentator. Doch seine eigenen philosophischen Vorstellungen hatten ja auch eine Wirkung. Aus Sicht der Papstkirche war der Averroismus allerdings eine üble Ketzerei. Er wurde gleich fünfmal in Dekreten und Verordnungen unter Strafe gestellt. Anhänger konnten dafür verfolgt und verfemt werden.
    Speer: Es gibt die berühmten Verurteilungen des Bischofs Stephan Tempier von 1270 und 1277, in denen der Bischof versucht zweierlei zu regeln. Erstens: Er versucht den Einfluss der Philosophen zurückzudrängen. Dass auch diese sich das Recht nehmen aus philosophischer Perspektive über dogmatische theologische Gegenstände zu debattieren. Zum zweiten versucht er natürlich den Theologen Orthodoxie beizubringen, dass sie in diesen umstrittenen Fragen sich von Aristoteles und seinem Kommentator absetzen und christliche Standpunkte verteidigen sollten. Und es gibt ein, zwei Leute, deren Karriere an der Universität dadurch behindert war. Auf der anderen Seite kann man sehen, dass ungeachtet dieser Interventionen von außen sind diese Debatten ja weiter gegangen – bis in die Renaissance weiter gegangen. Das heißt, das zeigt eben auch den Einfluss, den Averroës im lateinischen intellektuellen Leben hatte. Nachdem er zu Beginn des 13. Jahrhunderts dort auftaucht über die Renaissance bis in die Neuzeit hinein wirkt dieses Denken nach.
    Fritz: Wir leben in einer Zeit, in der radikal-islamische Organisationen wie der Islamische Staat oder Boko-Haram-Terror und Gewalt verbreiten. In Saudi Arabien werden Andersgläubige hingerichtet. Frauen sind in vielen islamisch-geprägten Ländern stark diskriminiert. Viele sagen, dass eine islamische Aufklärung längt überfällig ist, in dem Sinne, dass sie den Islam mit der Moderne versöhnt. Welche Rolle könnte die Philosophie von Ibn Ruschd bzw. Averroës Ihrer Meinung nach dabei spielen?
    Speer: Es gibt diese Versuche ja, auch in den arabischen Ländern, an Averroës in dieser Weise anzuknüpfen. Es gibt die Ibn Ruschd Foundation, die einen Ibn Ruschd Preis ausschreibt, der sich an Kulturschaffende, intellektuelle Künstler richtet, die sich im Sinne des Averroës für eine solche islamische Aufklärung einsetzen. Berühmt geworden ist der Averroës-Film Al Massir, der gerade in Ägypten, in Marokko, in Tunesien im Vorfeld des Arabischen Frühlings einen großen kulturellen Einfluss gehabt hat. Es gibt diese Versuche, die natürlich zurzeit – wir wissen alle, wie schwierig die Situation in vielen dieser Länder ist, die im Arabischen Frühling eine führende Rolle gespielt haben, wie schwierig es ist, dass sich diese Intellektuellen dort behaupten. Man muss nur das Beispiel Ägypten nehmen, wie schwierig das ist. Tunesien ist vielleicht die einzige Hoffnung, die wir haben. Aber es gibt zum Beispiel in Marokko Kollegen, die versuchen Averroës nicht nur historisch zu lesen, sondern in der Philosophie des Averroës auch einen Anknüpfungspunkt sehen, um Herausforderungen der Gegenwart, gerade auch die Vermittlung von einer aufgeklärten wissenschaftlichen Kultur und des Islam zu denken. Wenn wir sagen, vom 8. bis zum 12. Jahrhundert war diese Synthese von wissenschaftlichen Fortschritt und islamischen Denken eigentlich im Grunde genommen die Leitkultur des damaligen Islam, so wie wir ihn historisch, kulturell rekonstruieren können. Und Averroës ist eine der Leitfiguren für dieses Ideal.