Freitag, 19. April 2024

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Avi Primor: Israel glaubt nicht an eine politische Wende im Iran

In Israel werde davon ausgegangen, dass der Iran in der Atomfrage mogele, um die Sanktionen zu lockern, so der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland Avi Primor. Zu einem offenen Streit mit den USA werde es deswegen aber nicht kommen.

Avi Primor im Gespräch mit Martin Zagatta | 09.11.2013
    Martin Zagatta: Jahrelang sind die Verhandlungen über das iranische Atomprogramm im Sand verlaufen, jetzt allerdings deutet vieles darauf hin, dass es bei den Gesprächen, die die UNO-Vetomächte und Deutschland mit dem Iran führen, heute zu einem Ergebnis kommen könnte.

    Beitrag "Genfer Atomgespräche" von Pascal Lechler

    Und zugehört hat uns Avi Primor, früher einmal Botschafter Israels in Deutschland und jetzt Vorsitzender der Israelischen Gesellschaft für Außenpolitik. Guten Morgen, Herr Primor! … Herr Primor?

    Avi Primor: Hören Sie mich nicht?

    Zagatta: Ja, jetzt hören wir Sie, doch, jetzt klappt es, guten Morgen, Herr Primor, sehr schön, dass das klappt!

    Primor: Guten Morgen!

    Zagatta: Sie konnten den Bericht eben mithören, ja?

    Primor: Ich konnte alles hören, ja.

    Zagatta: Ihr Regierungschef, das müssen wir da jetzt noch anfügen, Benjamin Netanjahu, der hat verlauten lassen, er sei entsetzt, Israel lehne diese jetzt absehbare Vereinbarung ab, man traue dem Iran nicht und werde sich auch nicht von einem solchen Abkommen einschränken lassen. Herr Primor, läuft Israel, läuft Ihr Land da jetzt in Gefahr, sich international völlig zu isolieren?

    Primor: Ich glaube das nicht, weil ich gehe davon aus, dass wir mit den Amerikanern letzten Endes doch im Einklang sein werden. Weder wir, aber auch nicht die Amerikaner können sich so etwas leisten, einen offenen Streit über dieses Thema. Aber Meinungsverschiedenheiten gibt es ganz bestimmt, bei uns glaubt man den Iranern nicht, man sagt, sie haben immer in dieser Sache gemogelt, sie mogeln bestimmt auch heute. Die Frage ist jetzt nicht Spannungen zwischen Israel und dem Iran, sondern Spannungen zwischen Israel und dem Westen, sollte der Westen die Sanktionen irgendwie, sagen wir, weicher machen oder lockerer machen. Weil wir gehen davon aus, dass die Iraner nachgeben, wenn sie überhaupt nachgeben, wenn das nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, nur weil sie unter Druck der Sanktionen tatsächlich sehr bitter leiden. Sie brauchen eine Erleichterung und der Präsident Rohani muss zeigen, dass er etwas erreicht hat. Sonst verliert er seine Macht bei den echten Herrschern, bei Chamenei und den Ayatollahs. Also, die Frage ist, wollen die Iraner wirklich eine Wende? Daran glaubt man bei uns nicht. Mogeln sie, um die Sanktionen zu lockern? Ja, das ist es.

    Zagatta: Und Sie sagen, für Ihr Land ist jetzt das Wichtigste dieses enge Bündnis mit den USA, das es ja in den letzten Jahrzehnten gegeben hat. Die USA haben ja da immer die Sicherheit Israels auch garantiert. Zeigen sich da nicht erste Risse? Es soll ja bei den Verhandlungen, die der US-Außenminister Kerry da geführt hat, auch heftige Auseinandersetzungen gegeben haben mit Netanjahu, da ist von lautstarken Auseinandersetzungen die Rede. Zeigen sich da nicht schon erste Risse?

    Primor: Ja. Hören Sie mich noch?

    Zagatta: Ja, wir hören Sie.

    Primor: Schauen Sie, man weiß nicht genau, was sich in den Verhandlungen abspielt. Die Amerikaner haben es sehr tüchtig gemacht, es darf keiner über die Verhandlungen sprechen. Es gibt nur einen Sprecher in diesen Verhandlungen, und das ist der Amerikaner, der diesmal, zum ersten Mal, seit es Verhandlungen überhaupt gibt, daran teilnimmt. Und dieser Amerikaner hat genau die Befehle von Kerry, nicht zu sprechen, sich nicht zu äußern. Also, was man über die Verhandlungen erzählt, ist nicht glaubwürdig, weil man wirklich nichts weiß, nicht einmal die Minister der israelischen Regierung wissen, was sich dort abspielt. Dennoch wissen wir, dass natürlich das rechte Lager, das eigentlich regiert bei uns – unsere Regierung besteht hauptsächlich aus dem rechten Lager –, und die Likud-Partei von Netanjahu heute ganz rechts gerutscht ist, die sind gegen die Verhandlungen und auf jeden Fall gegen jegliche Zugeständnisse, ohne die man sowieso keine Verhandlungen führen kann. Die Palästinenser allerdings stehen auch sehr stark unter Druck der Extremisten in deren Lager, sodass nur die Amerikaner echte Verhandlungen erzwingen können, was sie bislang auch getan haben, und letzten Endes vielleicht auch eine Lösung finden, auch mehr oder weniger erzwungen. Nur, um Druck auf Israel auszuüben, muss man auch mit der iranischen Frage spielen. Die Israelis werden eher nachgeben können, die israelische öffentliche Meinung wird das eher verstehen können, wenn sie Sicherheit seitens Iran bekommt. Und das heißt, dass man die Sanktionen vorerst nicht lockert.

    Zagatta: Glauben Sie denn, dass Sie eine solche Sicherheit bekommen können? Da hat es ja auch jetzt in den letzten Tagen wieder, trotz dieser Öffnung, Aussagen gegeben, der oberste Religionswächter Chamenei, der soll gesagt haben, Israel sei nach wie vor ein illegitimes Bastardregime. Glauben Sie, dass es solche Zusagen geben kann?

    Primor: Ich persönlich, wenn Sie meine Meinung fragen, …

    Zagatta: Ja, genau!

    Primor: Ich persönlich halte das für Propaganda seitens der Iraner, ich glaube nicht, dass die Iraner echt und wirklich und ernsthaft sich mit Israel beschäftigen wollen, weil das nicht wirklich ein iranisches Interesse ist. Die Iraner benutzen Israel als ein Propagandamittel, um das Ringen über die Macht innerhalb der islamischen Welt zu gewinnen. Dann zeigen sie sich als die härtesten Feinde des gemeinsamen Feindes Israel sozusagen, und damit wollen sie eigentlich die arabische Welt beherrschen, vor allem ihre Nachbarn, Saudi-Arabien, der Irak und die Golfstaaten. Das ist wirklich deren Interesse und darum geht es. Und Israel ist nur so ein Spielzeug für sie in dieser Sache. Ich glaube Folgendes, ich glaube, dass die Iraner bestimmt vorübergehend nachgeben werden und sich weniger mit der Atomentwicklung beschäftigen werden, das wird aber nur ein vorübergehender Zustand sein, bis sie die Sanktionen überwinden können. Dann werden sie alles wieder beginnen und dann wird die Welt nicht mehr so schnell den Mut haben, wieder mal Sanktionen zu erzwingen. Das, glaube ich, ist die iranische Taktik.

    Zagatta: Also, Sie sind da eher pessimistisch. Was sagen Sie denn zu den Äußerungen von Benjamin Netanjahu, der gesagt hat, man traue eben, wie Sie ja das jetzt auch sagen, dem Iran nicht, und er sagt, wir werden uns auch nicht von einem solchen Abkommen, wenn es zustande kommt, einschränken lassen? Ist das eine Drohung?

    Primor: Das ist bestimmt eine Drohung und das ist eine Drohung vor allem in Richtung der Amerikaner. Aber wenn ich ein Amerikaner wäre, würde ich das nicht allzu sehr ernst nehmen.

    Zagatta: Nehmen Ihre Landsleute das ernst?

    Primor: Teilweise. Nicht die Mehrheit, nicht die Mehrheit. Weil die Sicherheitsexperten in Israel, die ehemaligen Befehlshaber der Streitkräfte, der Geheimdienste und verschiedene andere Experten und auch viele Minister, die man in Israel schätzt, sind gegen einen Angriff gegen den Iran, und vor allem gegen einen Alleinangriff ohne die Amerikaner, und die Amerikaner werden es sowieso nichts erlauben. Sodass die meisten Israelis nicht wirklich daran glauben. Aber Netanjahu glaubt daran, das stimmt, und für Netanjahu ist diese Sache auch eine Trumpfkarte innerhalb der Innenpolitik in Israel.

    Zagatta: Herr Primor, macht es Ihnen Sorgen, dass die USA da jetzt so auf Distanz auch zu Israel gegangen sind in den letzten Tagen, nicht nur, was diese Verhandlungen mit dem Iran angeht, sondern auch mit der heftigen Kritik, die Außenminister Kerry da ja an der Siedlungspolitik Israels mit geäußert hat, mit der Schlussfolgerung, dass Israel dadurch die Friedensverhandlungen erschwere und fast behindere?

    Primor: Ob das mir Sorgen bereitet? Ganz im Gegenteil!

    Zagatta: Wieso?

    Primor: Ganz im Gegenteil! Ich habe es Ihnen eben gesagt, dass weder die israelische Regierung noch die palästinensische einer echten Friedensverhandlung gewachsen sind. Beide können das nicht beziehungsweise wollen das nicht und tun das nur unter amerikanischem Druck. Das ist ein amerikanischer Druck, den wir eigentlich bis heute nie zu spüren bekommen haben. Die Amerikaner haben immer, jahrzehntelang Lippenbekenntnis gezeugt zugunsten Friedensverhandlungen oder Friedensvertrag. Aber in der Tat haben sie fast gar nichts getan. Ja, sie haben alle beschwichtigen wollen, aber sie haben sich nicht ernsthaft eingemischt. Jetzt mischen sie sich ein und jetzt üben sie Druck aus, und nur so, wenn sie darauf beharren, wenn sie beharrlich genug sind, könnte man die Hoffnung hegen, doch eine echte Verhandlung zu führen und auch ein Ergebnis zu haben. Darüber hinaus bemühen sich jetzt die Amerikaner sehr, sehr ernsthaft, um auch Sicherheitsverhandlungen zu führen, parallel zu den politischen Verhandlungen. Es gibt in Washington Verhandlungen zwischen Sicherheitsleuten aus Israel, Palästina und Amerika, damit ein Friedensvertrag auch dann von Sicherheitsmaßnahmen flankiert wird, damit die israelische Bevölkerung es akzeptieren kann. Also, nur diese amerikanische Beharrlichkeit gibt uns, gibt mir eine Hoffnung. Ob die Amerikaner darauf weiter nach wie vor beharren werden, weiß ich nicht, aber dass die Amerikaner heute darauf beharren, macht mir bestimmt keine Besorgungen.

    Zagatta: Avi Primor, der frühere Botschafter Israels in Deutschland. Herr Primor, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

    Primor: Gerne, guten Morgen!


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