Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Babynahrung
Foodwatch: Beikostprodukte sind überflüssig

Die Verbraucherorganisation Foodwatch sowie Zahn- und Kinderärzte halten die Herstellerempfehlungen sogenannter Beikostprodukte für Babys für zweifelhaft. Nach der Stillzeit könnten Kleinkinder gleich an ausgewogene Erwachsenennahrung gewöhnt werden, sagte Matthias Wolfschmidt von Foodwatch im DLF.

Matthias Wolfschmidt im Gespräch mit Jule Reimer | 25.09.2014
    Ein kleines Mädchen löffelt ohne Hilfe allein und mit großem Appetit seinen Möhrenbrei aus einer Plastikschüsseli.
    Gesunde Babys brauchen keine Beikostprodukte, kritisieren Foodwatch und Zahn- und Kinderärzte. (picture alliance/dpa-Zentralbild - Hansjürgen Wiedl)
    Jule Reimer: Sie sind so praktisch, die kleinen Gläschen mit Babynahrung, die Mischungen für Trinkmahlzeiten, der vorbereitete Babyfrüchtetee, oder der abgepackte Babybrei. Aber ist das, was da gepriesen wird, auch gesund? Die Verbraucherorganisation Foodwatch äußert gemeinsam mit Zahn- und Kinderärzten erhebliche Zweifel an den Empfehlungen der Hersteller. "Überzuckert, überfüttert" lautet die Kritik.
    Matthias Wolfschmidt von Foodwatch, wie belegen Sie diese Vorwürfe?
    Matthias Wolfschmidt: Gemeinsam mit der Bundeszahnärztekammer und einem Klinikvorstand der Kinderklinik der Universität Leipzig haben wir heute eine Pressekonferenz dazu veranstaltet und waren uns allesamt einig, dass das Produktangebot für die sogenannte Säuglingsbeikost - das ist das, was man sozusagen neben der Muttermilch oder dem Muttermilchersatz im ersten Lebensjahr an die Kinder verfüttert -, was es da so an Angebot gibt, das ist unausgewogen, häufig zu zuckerhaltig, häufig aromatisiert.
    Gerade bei den sogenannten Trinkbreien führt das - und da sind sich die Mediziner sehr, sehr einig - zu Überfütterung und zu ersten, wie soll ich sagen, Voraussetzungen dafür, dass die Kinder ein falsches Ernährungsverhalten lernen und dann auch mit größerer Wahrscheinlichkeit im Laufe ihres Lebens übergewichtig werden, Herzkreislauferkrankungen entwickeln oder sogar Diabetes.
    Die ärztliche Seite ist da sehr, sehr klar. Die fordern die Hersteller auf, die Vermarkung dieser Produkte einzustellen. Das sagen sie seit sieben Jahren und seit sieben Jahren ist nichts passiert.
    Foodwatch: Beikostprodukte sind bei gesunden Kindern überflüssig
    Reimer: Sagen Sie uns noch mal genauer, welche Produkte sollten Eltern nach Ärzteempfehlung meiden?
    Wolfschmidt: Die Ärzte sagen ganz klar: Wenn man einen gesunden Säugling hat, wenn man das Glück hat, ein gesundes Kind bekommen zu haben, und als Mutter auch entsprechend Muttermilch zur Verfügung hat, bedarf es überhaupt keiner von diesen Beikostprodukten.
    Man braucht gar nichts zu geben. Man kann ganz normal das Kind stillen und kann dann das Kind allmählich an ganz normale ausgewogene Erwachsenennahrung, die möglichst nicht so stark gewürzt ist und die natürlich auch nicht gezuckert sein soll, gewöhnen.
    Man braucht gar keine von diesen Spezialprodukten, sei es irgendwelche Milch-Getreide-Breie, sei es Trinkmahlzeiten, sei es Gute-Nacht-Fläschchen.
    Die gibt es von allen großen Herstellern. Es gibt auch Produkte wie Kekse, die ausdrücklich für Säuglinge unter einem Jahr vermarktet werden mit den entsprechenden Gesundheitsversprechen. Da sagen die Mediziner "bloß nicht", denn das sind Zwischenmahlzeiten, die dazu führen - und das wurde sehr eindringlich von der Bundeszahnärztekammer vorgeführt -, dass die Kinder schon an den Milchzähnen Karies entwickeln und dass diese Karies, selbst wenn die Milchzähne ausfallen, diese Kariesentwicklung in der frühkindlichen Phase sich auf die Zahngesundheit lebenslänglich auswirkt. Deswegen sagen die "Finger weg von diesen Produkten".
    "Es ist viel zu viel Zucker in diesen Produkten erlaubt"
    Reimer: Dann sagen Sie uns doch mal: Man möchte meinen, es gibt gewisse Vorgaben für Ernährung oder für Babynahrung. Oder gibt es da keine Vorgaben?
    Wolfschmidt: Es gibt sehr genaue Vorgaben, die in der sogenannten Diätverordnung in Deutschland geregelt sind. Das ist europäisches Recht ins deutsche Recht übersetzt. Da gibt es auch ganz viele sehr strenge Vorschriften für die Reinheit der einzelnen Zutaten, was irgendwelche Schadstoffbelastungen, Spritzmittelbelastungen anbelangt. Es sind genaue Vorgaben, wie viele Vitamine gegeben werden müssen.
    Es gibt sogar Rezepturvorgaben. Aber die Ärzte sagen, diese Rezepturvorgaben sind, gerade wenn es um Zucker geht, zum Beispiel nicht deutlich oder nicht strikt genug. Es ist viel zu viel Zucker in diesen Produkten erlaubt und bei den Formulierungen der Produkte, gerade wenn es um breiige, flüssige Lebensmittel geht, die nicht zu einem Sättigungseffekt führen, wie das gewünscht ist bei dem Kind, zumal wenn sie hohe Energiedichte enthalten und auch noch gesüßt sind, führt das dazu, dass die Kinder sich daran gewöhnen, nicht so stark gesättigt werden wie bei fester Nahrung, womit man ja anfangen kann bei einem Kind von einem dreiviertel Jahr, und das führt dazu, dass die Kinder ein falsches Ernährungsverhalten lernen, und das prägt sich, so sagen die Ärzte, lebenslänglich aus.
    Foodwatch: Präventionsmaßnahmen kommen im Erwachsenenalter zu spät
    Reimer: Könnten gesetzliche Vorgaben etwas ändern?
    Wolfschmidt: Wir waren uns einig bei der Pressekonferenz, dass die Bundesregierung dringend die Diätverordnung präzisieren muss und dass im Zuge der allgemeinen Diskussion um Prävention - es ist seitens der Koalition ein Präventionsgesetz ja angekündigt worden im Koalitionsvertrag - dringend die frühkindliche Prävention eine Rolle spielen muss, weil alle Präventionsmaßnahmen im Erwachsenenalter im Grunde viel zu spät kommen und letztlich sehr viel mehr Geld kosten, als wenn man im frühen Kindesalter anfängt, und das heißt schon bei den Untereinjährigen anfängt.
    Reimer: Danke! Jetzt müssen wir aufhören. - Matthias Wolfschmidt von Foodwatch mit der Kritik an Babynahrung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.