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Bachelige Sprache als Unterrichtsfach

Das Projekt "Mundart in der Schule" soll Schülern das Schwäbische, Allemanische und Fränkische näherbringen. Über 50 Mundartkünstler halten dafür eine Doppelstunde in und über Mundart direkt in den Schulen ab.

Von Julia Henninger | 23.04.2011
    Wolfgang Wulz: "Ja wie hat es heute Morgen angefangen was habt ihr heute Morgen gemacht ..."
    Wolfgang Wulz zeigt einen Comic. Erstes Bild: Ein Kerl, der in die Schule – hineingerannt kommt?
    Schülerin: ""inegrennt."
    Wulz: "Und auf schwäbisch!"
    Schülerin: "Naigsaud."
    Wulz: "Naigsaud! Naigsaud, inegrannt, hineingerannt - es war ein bisschen spät."

    Die meisten Schüler verstehen den Schwaben, der mit Witz und Humor ihr Interesse am Dialekt wecken möchte. "Mundart in der Schule" soll auf die Sprachvielfalt aufmerksam machen, aber auch die eigene Mundart fördern.

    "Jetzt geht es darum, den Kindern klar zu machen, was für ein Kulturgut sie haben mit der eigenen Sprachvariante,"

    meint Markus Manfred Jung. Jeder Lehrer kann die Mundartkünstler daher für eine Doppelstunde ab Klasse 3 buchen. Wolfgang Wulz vergleicht mit den Schüler Schwäbisch und Alemannisch:

    "Also, wenn ein Schwabe heimkommt und sagt: "Oh heute hat mich mein Lehrer arg verseggelt."?"

    Schüler: ""Verarscht. Oder auf dem falschen Fuß erwischt."

    Wulz: "Verarscht sogar? Ist das bei euch verseggelt? Bei uns ist verseggle eher, wenn man einen ganz arg schimpft."

    Da sind sie - die Dialektunterschiede. Der Mundartkünstler legt eine Karte auf:

    "Welche Mundarten haben wir denn in Baden-Württemberg, welche Hauptmundarten?"

    Schülerin: "Also, Fränkisch im Norden, Schwäbisch in der Mitte und Alemannisch im Westen, also Südwesten."

    Und eines ist auffällig, so Wolfgang Wulz:

    "Dass gerade in den stark dialektgeprägten Bundesstaaten das Abschneiden in der Pisa-Studie am besten war: Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen."

    Doch auch in dem Land, das seit über zehn Jahren mit dem Slogan "wir können alles außer Hochdeutsch" wirbt, ist die Mundart auf dem Rückzug. Nur noch 30 Prozent sprechen in dieser Klasse Dialekt.

    Schüler: "Ich verstehe es, aber ich kann es nicht reden. Also, meine Eltern kommen nicht aus der Gegend."
    "Zu Hause spreche ich auf jeden Fall Dialekt, in der Schule Hochdeutsch".
    "Mein Vater spricht mit mir Dialekt, meine Mutter war strikt dagegen, sie fand das eine bachelige Sprache."

    Eine bachelige - also dümmliche - Sprache, das haftet dem Dialekt oft an. Die Kinder und Jugendlichen sollen aber erkennen, dass sie vom Dialekt profitieren können. Praktisches Beispiel im alemannischen Sprachraum: die Nähe zur Schweiz.

    "Passiv können die meisten alemannisch und dann ist es nicht schwer das zu aktivieren, wenn es Sinn macht. Bei uns zieht immer noch der Arbeitsplatz in Basel. Wenn du in Basel arbeiten willst und du kannst kein Alemannisch, kannst du das eigentlich vergessen. Und die hochbezahlten Jobs, die sind in Basel",

    so Markus Manfred Jung. Das zieht im schwäbischen Sprachraum nicht, meint Wolfgang Wulz. Bei ihm in der Klasse sprechen sogar nur noch fünf Prozent Dialekt.

    Wulz: "Und die verbergen es dann, die genieren sich auch. Und wir fanden es vom schwäbischen Bereich wichtig, die Dialektsprecher, die es noch gibt, dass die gestärkt werden. Die anderen erkennen das als Kulturgut möglicherweise und als Möglichkeit Sozialgeschichte, beispielweise zu lernen."

    So erzählt er den Schülern auch, warum er als Heidenheimer ein Knöpfleswäscher ist: Einer Heidenheimerin sind Knöpfle, also kleine Nudeln, auf den Boden gefallen. Die Hausfrau hat die Knöpfle einfach abgewaschen und serviert. Nichts darf verkommen. Die Sparsamkeit, eine Eigenschaft der Schwaben. Soweit die Auflösung der Geschichte. Dann folgt ein Schwäbisch-Test. Gemeinsam übersetzen sie eine Liste von Wörtern.

    "Was ist denn ein Weihdag. Sonntag? Nein ein "weher Tag", also du bereitest mir einen Tag, der mir wehtut."

    Da heißt es wohl doch noch etwas üben - die Schüler sind am Ende aber begeistert:

    "Also, ich fand es sehr interessant. Ich wusste nicht, dass sich die deutsche Sprache doch dann so in verschiedene Richtungen bewegt. Und dass es trotzdem sehr ähnlich sein kann, obwohl es doch sehr unterschiedlich ist."

    "Dass fränkisch in Baden-Württemberg gesprochen wird, wusste ich zum Beispiel gar nicht."

    "Ich fand die Geschichten gut von den Spitznamen von den Dörfern."

    "Man lernt viel dazu, es ist ja auch gar keine normale Stunde, würde ich sagen, es ist ja was Besonderes. Es regt mich doch dazu an, Alemannisch zu sprechen."

    Das Ziel ist erreicht. Spaß und Neugier am Dialekt sind wecken.

    Jung: "Es ist nicht mehr so, dass Dialekt propagiert wird auf Kosten der Hochsprache, sondern beides wird gefördert und gefordert."

    Im Idealfall ist der nächste Schritt: die eigene kreative Beschäftigung mit dem Dialekt. Daher haben sie auch den Mundartwettbewerb "naseweis und wunderfitzig" ins Leben gerufen. Markus Manfred Jung hat diesmal mit der 7. Klasse Texte eingereicht:

    "Wir haben Mundartwörter gesammelt, die haben ihre Eltern, Großeltern interviewt. Und die, die jetzt überhaupt keinen Dialekt konnten, die haben Geschichten geschrieben in der Hochsprache und haben dann bestimmte Signalwörter im Dialekt eingesetzt. Und gerade dieses spielen mit zwei Sprachstufen, das sind die besten Texte."

    Auch er ist durch einen Wettbewerb Mundartautor geworden. Seine Gedichte werden mittlerweile ins Norwegische, Rumänische oder Italienische übersetzt. Die Förderung junger Talente ist daher ebenfalls ein zentrales Anliegen von "Mundart in der Schule".

    "Mit dieser Bestätigung hat man Lust, weiterzumachen. Und mit dieser Bestätigung entdeckt man erst die Qualitäten von Mundart von Literatur und so weiter."