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Bachelor und Master
"Wir brauchen eine Reform der Bologna-Reform"

Mit der Umstellung auf Bachelor und Master habe man sich an das britische System angepasst und das Studium so zu einer Berufsausbildung gemacht, kritisierte der Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz, Dieter Lenzen, im Deutschlandfunk. Er fordert achtsemestrige Bachelor-Studiengänge.

Dieter Lenzen im Gespräch mit Manfred Götzke | 15.04.2014
    Der Präsident der Universität Hamburg, Dieter Lenzen, im Porträt. Er stützt eine Hand im Gesicht auf, im Hintergrund ist ein rotes Plakat zu sehen.
    Der Präsident der Universität Hamburg, Dieter Lenzen (picture alliance / dpa / Axel Heimken)
    Manfred Götzke: Die Bologna-Reform wird in diesem Jahr 15 Jahre alt. Grund zu feiern? Nö, ganz im Gegenteil, meint jedenfalls Dieter Lenzen, Unichef in Hamburg und Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz. Pünktlich zum Jubiläum hat Lenzen ein Büchlein rausgebracht, und dessen Titel, der macht schon deutlich, was er von Bachelor und Master so hält: "Bildung statt Bologna" hat er es genannt. Herr Lenzen, Sie sagen, Bildung und Bologna schließen sich gewissermaßen aus. Heißt das, Bachelor- und Masterabsolventen von heute sind ungebildeter als Magisterabsolventen von gestern?
    Dieter Lenzen: Ich glaube, dass in der Tat das ein Problem ist, deswegen habe ich in meinem Buch "Bildung statt Bologna" versucht, darzustellen, dass das kontinentaleuropäische Bildungsverständnis, was für Deutschland so erfolgreich war über 200 Jahre, dass dieses Verständnis durch den Bologna-Prozess zerschossen worden ist. Wir haben uns, ohne dass das jedem klar gewesen ist, einfach an das britische System angepasst, wo die Frage der Bildung im emphatischen Sinne überhaupt keine Rolle spielt, sondern dort handelt es sich um Berufsausbildung, was in den Hochschulen gemacht wird, und zwar ausschließlich Berufsausbildung. Insofern ist das schon ein Unterschied.
    "Wir haben hier eine Art Curriculum-Polizei installiert bekommen"
    Götzke: Nun ist ja das Korsett, das Sie mit der Bologna-Reform unterstellen, gar nicht so eng. Sie könnten die Bachelor- und Masterstudiengänge als Hochschulchef ja auch anders als berufsorientiert aufbauen und konzipieren.
    Lenzen: Das ist nicht richtig, denn die Akkreditierungsagenturen - die ja die Studiengänge akkreditieren müssen, sonst sind sie nicht genehmigt und sie können sonst nicht gefahren werden - achten strikt darauf, dass die Bologna-Regeln eingehalten werden. Wenn Sie also ein Curriculum anbieten würden, einen Lehrplan, der das nicht enthält, würden Sie die Akkreditierung nicht bekommen. Das heißt, wir haben hier eine Art Curriculum-Polizei installiert bekommen, die es in dieser Schärfe im klassischen System, wo der Staat die Studienordnung genehmigte, gar nicht gab.
    Götzke: Andererseits ist es ja so, dass Studiengänge, Bachelor-Studiengänge keineswegs mehr sechs Semester nur lang sein müssen, sie können ja auch acht Semester lang sein, das heißt, es gibt ja schon einen gewissen Spielraum, den Sie als Professor, als Hochschulchef, als Hochschule haben.
    Lenzen: Nein, den haben wir nicht. Das ist sehr einfach zu erklären. Deutschland hat sich auf sechssemestrige Studiengänge festgelegt für den Bachelor. Es gibt einige wenige Ausnahmen.
    Götzke: Es gibt sehr viele Ausnahmen und immer mehr.
    Lenzen: Nein, nein, es gibt sehr wenig Ausnahmen, das ist auch leicht erklärbar, weil nämlich, wenn Sie achtsemestrig fahren, müssen Sie 25 Prozent mehr Kosten rechnen. Die Kultusministerkonferenz hat es abstrakt offengelassen, was die Hochschulen tun. Sie hat aber, wie jedes einzelne Bundesland auch, nicht den achtsemestrigen Bachelor mit Geld unterlegt, sodass er gar nicht fahrbar ist, außer, dass sie in den Mastern auf zwei Semester heruntergehen, also zwei Semester streichen. Der Unsinn, der passiert ist, ist dieses, dass man sich europaweit auf die fünf Jahre festgelegt hat, statt das flexibel zu gestalten, fünf Jahre heißt also, drei Jahre Bachelor und zwei Jahre Master, sodass für viele Fächerkomplexe wie Physik beispielsweise die Zeit gar nicht reicht, um solche Varianzen mit einzubauen. Und das Problem ist natürlich, dass nach sechs Semestern eine Berufsfähigkeit im Sinne eines Hochschulabschlusses, wie er früher war, nicht gegeben ist. Deswegen werden die Leute ja auch schlechter bezahlt.
    "Deutschland hat in gewisser Weise einen Sonderweg eingeschlagen"
    Götzke: Aber ist es tatsächlich ein Problem von Bologna, oder nicht viel eher, wie Sie ja auch so ein bisschen insinuieren, ein finanzielles Problem, also dass man in Deutschland einfach Geld sparen wollte?
    Lenzen: Deutschland hat in gewisser Weise einen Sonderweg eingeschlagen und über Nacht für 25 Prozent eines Altersjahrgangs plus sozusagen zum selben Geld einen Studienplatz geschaffen, suggerierend, dass man nach diesen sechs Semestern dasselbe kann, was früher ein Diplom-Absolvent oder ein Magister-Absolvent oder so etwas konnte, und dass man dann auch dieselben Berufschancen hat. Das ist schlicht falsch.
    Götzke: Herr Lenzen, Sie kritisieren Forschung und Lehre: Forschendes Lehren sei nicht mehr so möglich wie früher. Aber liegt auch das tatsächlich an Bachelor- und Masterstudiengängen oder nicht eher daran, dass unterfinanzierte Hochschulen sich Grundlagenforschung kaum noch leisten können oder nur noch dann, wenn sie dafür Drittmittel bekommen?
    Lenzen: In der Tat ist die Einführung des Bologna-Systems verknüpft gewesen mit einem Verzicht darauf, das entsprechende Geld bereitzustellen. Natürlich hätte man diesen gesamten Prozess mit sehr viel Geld unterlegen müssen, damit die Hochschulen überhaupt in der Lage gewesen wären, das zu tun, was sie tun sollen. Das hat nicht stattgefunden. Und nun, so Stück für Stück wird sichtbar, weil das ja nicht über Nacht passiert, wird sichtbar, was die Folgen sind, nicht nur in den Universitäten, die teilweise auch noch restriktiver waren, als es notwendig ist, aber das ist jetzt weitestgehend wieder zurückgenommen worden, mit den Folgen, die vor allen Dingen sichtbar sind innerhalb des Beschäftigungssystems.
    Götzke: Sie haben vorhin die anglo-amerikanischen Universitäten kritisiert, die ja das Bachelor-Master-System erfunden haben. Dort werden ja aber nicht nur Berufsausbildungen angeboten, sondern es wird ja auch exzellente Forschung dort betrieben.
    Lenzen: Nicht die anglo-amerikanischen, sondern die britischen. Dort ist es in der Tat so, dass es sich mit Ausnahme von Cambridge und Oxford um Berufsausbildung handelt. Sie können zum Beispiel an der University of Plymouth einen Bachelor in Surfmanagement machen, wo Sie also das Management von Surfing, von Wellenreiten vermitteln. Dieser Unsinn existiert überall in Großbritannien, und die Briten haben sich einfach durchgesetzt in dem System. In Amerika ist es völlig anders, dort ist der Bachelor achtsemestrig, und er enthält zwei bis vier Semester Allgemeinbildung, das wissen die meisten nicht, deswegen nämlich, weil dieses in der Highschool nicht unterstellt werden kann, das ist so ähnlich wie bei uns, weil wir ja inzwischen Studierenden aus allen möglichen Quellen haben. Zehn Prozent beispielsweise ist das Ziel, junge Leute oder auch ältere aus Berufen zu bekommen, die überhaupt kein Abitur haben.
    "Der achtsemestrige Bachelor muss der Weg der Wahl sein"
    Götzke: Ist die Öffnung der Universitäten also falsch?
    Lenzen: Nein, die Öffnung der Universitäten ist absolut nicht falsch, sondern es ist natürlich notwendig, so vielen Menschen eine Chance geben zu können, wie es eben geht. Aber man darf sie nicht belügen. Es muss auch wirklich eine Chance sein, und nicht eine verkappte Berufsausbildung, die mit einem akademischen Titel endet.
    Götzke: Herr Lenzen, noch kurz zum Schluss: Nun wird die Bologna-Reform in diesem Jahr 15 Jahre alt. Wollen Sie alles wieder zurückdrehen oder das Beste draus machen?
    Lenzen: Es ist nicht realistisch, die Bologna-Reform wieder zurückzudrehen, es sei denn, dass auch der Euro fällt, dann wird sicher auch die Bologna-Reform fallen, sondern wir brauchen eine Reform der Reform. In den Universitäten ist dafür sehr viel gemacht worden in den letzten Jahren, und Verschulung zurückgenommen worden und so weiter. Aber nun ist auch die Politik dran. Ich denke, dass der achtsemestrige Bachelor der Weg der Wahl sein muss, und er muss natürlich auch ökonomisch unterlegt werden.
    Götzke: Dieter Lenzen, Vizechef der Hochschulrektorenkonferenz, würde die Bologna-Reform wohl am liebsten rückabwickeln, wenn er denn könnte. Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.