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Bachmannpreis 2019
Hohle Figuren, lose Motive

Ein durchwachsener dritter Lesetag bei den diesjährigen Tagen der deutschsprachigen Literatur. Drei Texte scheitern bei der Jurymehrheit sprachlich, einer davon besonders drastisch. Martin Beyers Text wird zum Teil scharf kritisiert. Nur für Leander Fischer gibt es viel Lob.

Von Miriam Zeh | 29.06.2019
    Die Lesearena mit der Jury am Donnerstag, 27. Juni 2019, während des 1. Tags des Wettlesens um den Ingeborg Bachmann-Preis in Klagenfurt.
    Die Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises 2019 (APA / Gert Eggenberger)
    Nicht als Richter wolle man auftreten, sagte Bachmannpreis-Jurorin Insa Wilke noch kurz vor Beginn des letzten Klagenfurter Lesetages. Die Literaturexpertinnen und -kritiker demonstrierten in diesem Jahr vielmehr, wie man sich intensiv und differenziert mit Texten auseinandersetze. Trotzdem musste am Ende des Tages ein Machtwort gesprochen werden. "Das ist ein Text, der so nicht geschrieben werden darf", urteilte der Jury-Vorsitzende Hubert Winkels. Er bezog sich damit auf Martin Beyers Wettbewerbsbeitrag. In "Und ich war da" folgt der Autor und Dozent für Storytelling der historischen Figur Johann Reichhart. Als staatlich bestellter Scharfrichter vollstreckte Reichhart zwischen 1924 bis 1946 zahlreiche Todesurteile. Unter den Verurteilten waren auch drei der bekanntesten Mitglieder der Widerstandsgruppe "Weiße Rose", Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst. Von ihrer Hinrichtung erzählt Beyers.
    Geschwister-Scholl als "hohle Figuren" bei Martin Beyer
    Doch die "beschränkte Erzählperspektive" der Henkerfigur, einem versehrten Russland-Heimkehrer, werde dem Text zum Verhängnis, so Jurorin Hildegard Keller. "Von den drei Menschen und ihrem Mut fehlt alles." Bereits den Beyer vorausgegangenen Text von Lukas Meschik hatten einige Jurymitglieder für seine sprachliche Banalität kritisiert. Das literarische Requiem "Mein Vater ist ein Baum" verglich Hubert Winkels mit einer Traueranzeige, die über allgemeine Bestimmungen nicht hinausginge. Stefan Gmünder verteidigte den von ihm eingeladenen Autor und Musiker zwar. Im Vergleich zu den bis dahin gehörten konstruierten, organischen oder intellektuellen Texten ginge Meschik das "Wagnis der Empfindung" ein. Mit seinem Fürspruch blieb Gmünder jedoch in der Minderheit.
    Lose ökopoetische Motive bei Ines Birkhan
    Zu "viele lose Motive, die nicht zusammengebunden sind" attestierte Insa Wilke auch dem Text von Ines Birkhan, der ersten Lesung des durchwachsenen Tages. In einem Auszug aus ihrem Roman "abspenstig" entwarf die österreichische Autorin und Performerin eine phantastische Unterwasserwelt aus Urmündern, Neumündern und der Menschenfrau Ekaterina. Wo gerade immer häufiger über Öko-Poesie geredet werde, sei dieser Texte relevant und wichtig, erklärte Nora Gomringer und entschuldigte fehlende Motiventwicklungen in der Ausschnitthaftigkeit des Textstücks. Ihre Kollegen überzeugte Gomringer damit jedoch nicht. Auch für Michael Wiederstein ging Birkahns Beitrag "in der Gesamtkonstruktion nicht auf" und sei sprachlich "nicht mächtig genug", um den Leser in die Unterwasserwelt hineinzuziehen.
    Viel Lob für Leander Fischers Fliegenfischen
    Mit allgemeiner Begeisterung nahm die Jury lediglich Leander Fischers Text auf, in dem ein fliegenfischender Musikschullehrer seine Schüler mit punktierten und triolischen Übepattern malträtiert. Im Vergleich zu Ines Birkhan hob Insa Wilke die literarische Montage hier als gelungen hervor und entdeckte außerdem "eine Musik in diesem Text". Jury-Kollegin Hildegard Keller bescheinigte Fischer "große Könnerschaft" und "gekonnte erzählerische Verschränkung".
    Damit sind die Lesungen aller teilnehmenden Autorinnen und Autoren beendet. Sie sind als Video auf der Homepage des Bachmannpreises verfügbar, ebenso wie die Jury-Diskussionen. Vorgetragene Texte stehen nach wie vor als Download zur Verfügung.
    Transparentere Preisvergabe
    Die Preisvergabe soll in diesem Jahr noch transparenter gestaltet werden. Nach wie vor kann jedes Jurymitglied Punkte an fünf Autorinnen und Autoren vergeben, solange es sich um von ihnen selbst Nominierte handelt. Wer wie viele Punkte an wen vergeben hat, ist ab morgen erstmals auf der Homepage des Bachmannpreises einsehbar. Die sieben Autoren mit den meisten Punkten stehen auf der Shortlist. Einen Preis kann nur erhalten, wer auf dieser Shortlist steht. Die Vergabe des Bachmannpreises, des Deutschlandfunk-Preises sowie drei weiterer Preise findet morgen ab 11 Uhr statt. Sie wird live vom Deutschlandfunk übertragen.