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Badekleidung
"Der Schleier g'hört runter"

Das Städtchen Neutraubling bei Regensburg hat den Burkini im Schwimmbad verboten. Diese Entscheidung gegen den Ganzkörperbadeanzug, der von Musliminnen getragen wird, schlägt hohe Wellen - sogar amerikanische Medien berichteten darüber. Es geht ums Grundsätzliche: Religion, Politik und Sauberkeit. Gut möglich, dass der Fall vor Gericht landet.

Von Michael Watzke | 21.06.2016
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    Eine Schülerin im Burkini (Foto: dpa) (dpa)
    Angefangen hatte der Neutraublinger Burkini-Streit an einem Mittwoch. "Guten Tag, hier ist das Hallenbad Neutraubling. Mittwochs Frauen-Badetag von 14 bis 17 Uhr. Für Frauen ab 18 Jahren." An diesem Frauenbadetag stieg auch eine Schwimmerin ins Becken, die keinen Badeanzug oder Bikini trug – wie alle anderen. Sondern einen Burkini. Das missfiel einigen Badegästen.
    "Wenn die lange Kleider anhaben – wir sind doch kein Waschhaus, oder? Wir sind immerhin in Deutschland, und dann verlange ich auch, dass sie herkömmliche Kleidung tragen."
    Das Hallenbad Neutraubling reagierte prompt. Die Badeordnung sieht neuerdings vor, dass das Schwimmen für Frauen nur in Badeanzug oder Bikini erlaubt ist. Frauen im Burkini müssen draußen bleiben. Zur Genugtuung der Burkini-Gegner:
    "Wenn’s bei uns san, g'hört der Schleier runter. Dahoam können’s den tragen."
    "Wenn wir in der Türkei sind – wir müssen uns auch anpassen, oder?"
    Das Beispiel Türkei zeigt allerdings, wie komplex das Thema Burkini ist. Denn deutsche Urlauberinnen tragen an türkischen Stränden selten Burkini, meistens eher Bikinis. In der Türkei, sagt die promovierte Politikwissenschaftlerin Meltem Kulacatan von der Uni Frankfurt, gebe es jede Art von Badeanzug. Ältere Frauen trügen häufig den sogenannten Hashema, eine Art Burkini-Vorläufer. "Meine Großmutter gehörte auch dazu. Wenn sie schwimmen ging, dann ging sie grundsätzlich in ganz langen Röcken schwimmen und band sich das Kopftuch obenrum. Obwohl sie sonst nie ein Kopftuch trug. Damals wurde kein Politikum aus der Kleidung der älteren Frauen gemacht. Obwohl das viel, viel gefährlicher war – mit Baumwollkleidung ins Meer zu gehen."
    Der Burkini besteht dagegen nicht aus Baumwolle, sondern aus Kunstfasern, die sich nicht mit Wasser vollsaugen. Ähnlich einem Taucheranzug. Erfunden hat den Burkini im Jahr 2005 eine libanesische Designerin. "Mittlerweile gibt es diese Form der Sportbekledung auch für Läuferinnen oder Teilnehmerinnen im Kampfsport."
    Sogar manche Tänzerinnen muslimischen Glaubens tragen einen Burkini. Wobei das Kleidungsstück nichts über Religiösität aussage, findet die islamische Religionspädagogin Kulacatan. "Ich bin nicht der Meinung, dass das Tragen eines Burkinis einen Rückschluss auf die Einstellung der einzelnen Muslimin erlauben könnte." Zumal der Burkini auch von einigen, wenigen Nicht-Muslimininnen getragen wird. Zum Beispiel Frauen, die nach einer Brustkrebs- oder Hauterkrankung wieder schwimmen gehen wollen.
    Keine eindeutigen Diskussionslinien
    In Neutraubling hat das Burkini-Verbot eine rege Debatte ausgelöst. Die Fronten verlaufen dabei nicht immer entlang ethnischer oder Religions-Zugehörigkeiten. Viele Deutsche finden den Burkini okay.
    "Es gibt ja auch Anzüge, die tragen die Sportler auch. Also hab ich damit keine Probleme."
    "Ich denke, die meisten in unserem Alter haben da nichts dagegen und sind offen."
    "Stört mich nicht. Muss jeder selber wissen, was er anziehen will."
    In der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland gibt es ebenfalls durchaus unterschiedliche Meinungen zum Burkini. Viele laizistische Deutschtürken etwa lehnen ihn genauso ab wie das Kopftuch. Vielen konservativen Muslimen geht der Burkini dagegen nicht weit genug. Sie wollen grundsätzlich nicht, dass Frauen in öffentliche Schwimmbäder gehen. Das sei unislamisch. Die liberale alevitische Gemeinde in Neutraubling hält das für Unsinn und plädiert für die Selbstbestimmung der Frau. Ob mit oder ohne Burkini, sagt der junge Alevit Kamer Güler: "Natürlich sind viele verstört, weil sie das nicht kennen. Aber wenn man es von Angesicht zu Angesicht sieht und die verschiedenen Betroffenen zu Wort kommen lässt, werden wir schnell eine Lösung finden."
    Bisher ist diese Lösung in Neutraubling nicht gefunden. Der Bürgermeister der 13.000-Einwohner-Stadt bei Regensburg, Heinz Kiechle (CSU), hatte das Burkini-Verbot angeordnet. Seitdem ist er – um im Bild zu bleiben – abgetaucht. Er gibt keine Interviews zum Thema Ganzkörper-Anzug – lediglich eine knappe schriftliche Stellungnahme ist aus dem Rathaus zu bekommen. Darin fragt sich Kiechle unter anderem, was der Burkini als eine Erfindung der jüngsten Zeit mit Religionsfreiheit zu tun habe. Das Burkini-Verbot begründet Kiechle mit hygienischen Gründen.
    Für Meltem Kulacatan ist das nicht nachvollziehbar. "Weil die Burkinis in der Regel aus Elasthan bestehen. Also Kunstfasern. Es muss gewährleistet sein, dass sich der Stoff nicht mit Wasser vollsaugt."
    Die Grünen in Neutraubling betrachten das Hygiene-Argument gar als vorgeschoben. Theresa Eberlein, genderpolitische Sprecherin der Jungen Grünen in der Oberpfalz, sieht politische Gründe. "Für uns ist das ein fatales Signal, weil wir muslimische Frauen, die hier in Deutschland leben, damit ausschließen. Und ihnen den Besuch in einem Hallenbad verweigern."
    Von "verweigern" könne keine Rede sein, sagen die Befürworter des Burkini-Verbots. Schließlich gebe es in jeder Gemeinschaft Regeln. So könne ja auch niemand nackt zum Baden ins Hallenbad gehen. Andere betrachten die Debatte eher unideologisch und schauen auf die Auswirkungen eines Verbotes. Etwa auf muslimische Schülerinnen, die am Sportunterricht teilnehmen sollen. Ein Burkini-Verbot wirke hier kontraproduktiv, sagt die Neutraublinger Lehrerin Rosmarie Kübler. "Wir unterrichten Schwimmen an den Schulen. Und wir wollen ja, dass die Schülerinnen am Schwimmunterricht teilnehmen. Dass sie schwimmen lernen. Und das ist dann eben in diesem Ganzkörper-Anzug."
    Der Fall könnte vor Gericht landen
    Möglicherweise wird der Burkini-Streit am Ende vor Gericht gelöst. Ein Regensburger Jurist, der nicht namentlich genannt werden will, erwägt eine Klage.
    Im Hallenbad Neutraubling dagegen ist nichts zu spüren vom Burkini-Battle. Vormittags ziehen ältere Damen gemächlich ihre Runden im hüfthohen Wasser. Einige tragen Badekappen, andere haben die Haare hochgesteckt. Auch um Badekappen gab es in deutschen Schwimmbädern in den 80er-Jahren hitzige Debatten. Eine Kappenpflicht gab es am Ende nicht. Jeder, wie er mag. Ästhetisch gesehen, wirken die meisten Badekappen im Schwimmbad Neutraubling eher bieder. So, wie die meisten Burkinis, die man in islamischen Ländern sieht. Doch das müsse nicht sein, sagt Meltem Kulacatan.
    "Was den Burkini betrifft, gibt es sehr sportliche und tolle Modelle. Auch in unterschiedlichen Farben. Das ist kein Tschador, der hier umgesetzt ist, sondern tatsächlich ein Badeanzug! Mit schönen Modellen, die man anziehen kann." Mit Betonung auf "kann", nicht "muss".