Donnerstag, 25. April 2024

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Baden bei Gewitter

Eine junge Frau, ein alter Mann, keine Liebesgeschichte. Karg an vordergründigen Reizen, beschränkt sich Marion Poschmanns Roman Baden bei Gewitter auf eine überschaubare Handlung: Eine gewisse Anzahl Besuche, ein gemeinsamer Ausflug ins Cafe auf der anderen Straßenseite, Gespräche sowie Erinnerungen und Reflexionen der Erzählerin füllen ihn aus. Sein Raum ist der vertraute einer deutschen Großstadt, seine Exotik die des Alltags, Seine größte Intensität entfaltet sich in der Beobachtung von Details und ihrer Zusammenführung in einem suggestiven Doppelporträt: Es ist ein Roman über eine Beziehung, für die kein Wort so recht passen will. - Eine Bekanntschaft? Zu unverbindlich. - Eine Freundschaft? Kaum, dass sie zustande kommt. - Eine Hassliebe? Dafür wissen beide zu sehr, was sie tun, der ältliche Hagestolz und die junge Frau. - Er: schrullig und großspurig, durchtrieben und hilflos. Sie: intensiv beobachtend, von seinem knorrigen Humor und seinem hypochondrischen Leiden an der Welt zugleich fasziniert und abgestoßen.

Gernot Krämer | 16.09.2002
    Der Auslöser zu dem Buch, die erste Idee, ist ein persönliches Erlebnis gewesen: Ich habe zufällig jemanden kennen gelernt, und diese Person kam mir sofort unheimlich bekannt vor, als kennte ich sie schon ganz lange, als gäbe es da so eine Art Verwandtschaft, und das hat mich sehr fasziniert: (",J dieses Erlebnis, dass man so eine innere Verbundenheit zu jemand ganz Unbekanntem spürt, die sich gar nicht begründen lässt und wo man nicht weiß, wo 's herkommt, es keinerlei tatsächliche Verbindung gibt und man trotzdem das Gefühl hat, man ist dieser Person sehr, sehr nahe.

    Erst nach und nach wird im Roman ein verborgenes Motiv für die gegenseitige Anziehung sichtbar; Beide leben - um die Überschrift des zentralen sechzehnten Kapitels zu zitieren - mit einer Art "Phantomschmerz", hervorgerufen durch die Abwesenheit des jeweils gegengeschlechtlichen Elternteils. Und: Der neue Bekannte der Erzählerin trägt den gleichen Namen wie der einst geflüchtete Vater. Peter Fischer: ein Allerweltsname, zugegeben Ob es ein Zufall ist, lässt der Roman letztlich in der Schwebe. Sicher ist, dass die Namensgleichheit die Gefühle der jungen Frau verwirrt.

    Man könnte psychoanalytisch sagen, es ist ein Fall von Übertragung. Peter Fischer ist ohne Mutter aufgewachsen, mit einer Stiefmutter, und ist allgemein menschenscheu, hat wenig Kontakte, wenig Zuwendung erlebt er von anderen Personen, und von daher ist er sehr dankbar, dass die Erzählerin ihn besucht, sich etwas um ihn kümmert, ihm Kaffee kocht und ihn überhaupt etwas versorgt und ihm unter die Arme greift. Natürlich könnte man das als Mutterprojektion interpretieren, aber mir ist in diesem Buch der psychologische Aspekt eigentlich nicht so wichtig gewesen. Mir ging es darum, dass zwischen diesen beiden Figuren eine Sympathie herrscht, eine Zuneigung, die eigentlich auch durch psychologische Kategorien nicht unbedingt zu erklären ist. Meiner Meinung nach ist dieses Menschliche etwas, was ganz unabhängig ist von psychologischen Konstellationen, was irgendwie darüber hinausgeht.. Dass das in dem Roman etwas deutlich wird, das ist mir wichtig gewesen.

    Was an Baden bei Gewitter frappiert, ist die konzentrierte Nahsicht auf Dinge, die wir gerne übersehen oder nur am Rande des Bewusstseins registrieren. Da ist die unmittelbare physische Einwirkung von Räumen und Atmosphären, die Wahrnehmung des Körpers und vor allem die exzellente Genauigkeit in der Darstellung von Körpersprache. Ebenso kühl wie einfühlsam verwandelt die Autorin in Sprache, was seinem Wesen nach ungesagte, oft sogar ungewollte Mitteilung ist. Im Erzahlen entsteht so eine Intimität mit den Figuren, die viel ungeschützter, und insofern auch mutiger ist als in manchem Roman, dessen Figuren sich bedeutend näher kommen.

    Und doch dreht sich das Buch nicht allein um die Beziehung zwischen den beiden Protagonisten: Eine Reihe exzentrischer Nebenfiguren, Berliner Hinterhausbewohner wie die Erzählerin selbst, tritt auf. "Tiefseefische" porträtiert die Autorin im gleichnamigen Kapitel metaphorisch diese im sozialen Abseits befindlichen Existenzen:

    Die Tiefseefische leben unter extremen Bedingungen; sie müssen in der Tiefe der Ozeane einem enormen Druck standhalten. Diese ganzen Wassermassen, die von oben lasten, fuhren dazu, dass sich ganz eigenartige körperliche Erscheinungen ausbilden: dicke Panzer, merkwürdige Stacheln und Auswüchse, also verschiedene unschöne in unseren Geschmackskategorien Bildungen oder Vorbildungen, die dazu dienen, diesen Fischen das Überleben zu ermöglichen. Die Figuren in meinem Roman leben auch unter extremen Bedingungen. Sie sind nicht mit gesellschaftlichen Privilegien gesegnet. Sie sind oft arm, stehen am Rande der Gesellschaft, sie leben auch in gewisser Weise unter extremen Bedingungen, und da habe ich eine Parallele zu diesen Tiefseefischen gezogen. Genau wie die Fische müssen diese Menschen einem enormen Druck von Seiten der Außenwelt standhalten, und sie entwickeln dann ihre eigenen Strategien, damit fertig zu werden.

    Das von Marion Poschmann auf vielfältigste Weise variierte Thema ist der Körper als leib-seelische Einheit in seinem Verhältnis zur Umwelt. So haben zum Beispiel auch Sachtexte über das Wohnen Eingang in den Roman gefunden, mit normierenden Vorgaben darüber, wie man sich einrichtet, wie man richtig beleuchtet, wie man Möbel stellt usw. Der Gegensatz zu den tatsächlich geschilderten Räumen könnte nicht größer sein: Räume, die vom kreativen Chaos eines Lebenskünstlers zeugen, wie im Fall Peter Fischers, oder von einem absoluten Nullpunkt des Wohnens, wie bei Frau Mischke, deren Wohnung mit nichts anderem als einer Matratze möbliert ist. Und natürlich steht es dem Leser frei, diese Wohn-Innenräume als Metaphern für die Seelen-Innenräume ihrer Bewohner zu lesen.

    Das Kapitel "Testbilder" variiert das Thema des deformierten Körpers, und zwar anhand von Bildern des nicht namentlich genannten Francis Bacon. Für die Erzählerin gewinnen diese Bilder eine beunruhigende Realität. Sie korrespondieren nämlich mit den alptraumhaft diffusen Szenarien, die sie in ihren Kindheitserinnerungen bewahrt; Szenarien, in denen der Körper groteske Ausweitungen erfährt, verzerrt und aufgebläht wie die Gestalten Bacons:

    Die Grenzen zwischen innen und außen sind sehr fließend in dem Roman, und das ist durch die Wahrnehmungsweise der Erzählerin bedingt. Die Erzählerin geht oft sehr dicht an die Dinge heran, bis sie so dicht an den Dingen ist, dass sie mit ihnen in eins fällt. Sie verschmilzt dann mit der Außenwelt, und die Grenzen werden durchlässig. Das ist ein gezielter Effekt dieser vielen Beschreibungen: Es wird gezeigt, wie das Innere und Äußere eigentlich gar nicht so unabhängig voneinander sind, wie man gemeinhin denkt. Üblicherweise geht man davon aus, an den Körpergrenzen endet die eigene Person, und danach kommt etwas anderes, und das ist hier nicht so. Man kann das an sich selber ja manchmal feststellen, wenn man sich an Dinge erinnert. Dann findet das praktisch in einem selber statt, diese Vergangenheit. Und so ähnlich ist das in meinem Buch auch, nur dass es sich nicht nur um die Vergangenheit handelt, sondern auch und gerade um die Gegenwart, wo dieses Umschlagen passiert.