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Baden-Württemberg
Dubiose Schülerzusatz-Versicherungen

Ein Euro pro Schuljahr, damit soll der Schüler rundum versichert sein, beispielsweise im Fall eines Unfalls auf dem Schulweg. Solche Zusatzversicherungen werden vor allem in Schulen in Baden-Württemberg beworben. Doch die Verbraucherzentrale warnt vor einem Abschluss.

Von Thomas Wagner | 21.09.2018
    Drei Kinder sind am 05.09.2016 in Kleinmachnow (Brandenburg) mit dem Fahrrad zur Schule unterwegs.
    In Baden-Württemberger Schulen verteilen Lehrer Versicherungsformulare an Kinder - ein Ärgernis, so der Verbraucherschutz (picture alliance / Ralf Hirschberger)
    Rüdiger Bässler, Vater einer elfjährigen Tochter, und die unheimliche Begegnung mit einem Versicherungsformular. Das hat die Fünftklässlerin von der Schule nach Hause gebracht.
    "Also wir haben wie jedes Jahr diese Versicherungsunterlagen bekommen, zusammen mit Listen von Schulmaterialien, die zu besorgen sind, die kostet ein Euro."
    Viele Einschränkungen im Kleingedruckten
    Das klingt auf den ersten Blick nach wenig - und versprochen wird viel:
    "Nun ja, da geht es um Diebstähle an der Gaderobe, um verlorene Brillen, um Dinge, die herunterfallen, und man denkt, man sei gegen alles versichert."
    Und macht mal schnell den geforderten Euro locker - für diese Schüler-Zusatzversicherung, wie sie vor allem an baden-württembergischen Schulen vertrieben werden. Allerdings:
    "Heute ist die Schülerzusatzversicherung aber etwas, was maximal kurios zu bezeichnen ist. In vielen Fällen ist sie weder bedarfs- oder verbraucherregerecht."
    Sagt Peter Grieble, Versicherungsexperte bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Aus seiner Sicht ist bereits der Euro ein viel zu hoher Betrag für die Schülerzusatzversicherungen, bei denen sich ein Blick ins Kleingedruckte lohne: Dort werden zwar Leistungen im Falle eines Haftpflicht-Falls oder bei einem Unfall zugesagt.
    "Das Ganze wird aber mächtig begrenzt. Zum Beispiel sind eben nur Zeiten, die mit Schulen zusammenhängen, mit Schultätigkeiten zusammen hängen, versichert."
    Ein Euro ist schon zuviel
    Das heißt: Alles, was sich außerhalb dieser "Schultätigkeiten" ereignet, bleibt von der Schülerzusatzversicherung unberührt. Das ist das eine. Und das andere:
    "Insbesondere zahlt die Zusatzversicherung aber keinen Cent, wenn anderweitig ein Versicherungsschutz besteht. Also wenn ich durch eine Haftpflichtversicherung schon vorgesorgt habe, dann zahlt die Zusatzversicherung überhaupt nichts. Und die meisten haben eben eine private Haftpflichtversicherung."
    Dass viele Eltern gleichwohl die private Schülerzusatzversicherung abschließen, ist zum einen der niedrigen Prämie von einem Euro geschuldet - aus Sicht der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg ein Ärgernis, da auf diesem Weg viel Geld in die Kassen der Versicherungen fließen, die ihrerseits bei den allermeisten Schadensfällen selbst im Zusammenhang mit dem Schulunterricht nicht zahlen, mit Verweis auf bereits andere bestehende Versicherungen. Hinzu kommt ein weiteres Ärgernis bei den Schüler-Zusatzversicherungen: Die Art der Aquise, die Art, wie Verträge angeboten und abgeschlossen werden - nämlich über die Lehrer im Unterricht. Für Rüdiger Bässler, betroffener Vater aus Ulm, ist das ein Ärgernis sondergleichen:
    "Indem der Klassenlehrer oder die Klassenlehrerin das weiter gibt, hat das sogar Aufforderungscharakter oder Weisungscharakter. Und das stört mich wahnsinnig. Ich sehe keinen Grund, warum man das nicht beim Elternabend austeilt, mit allen Erklärungen zu Risiken. Da kann man das im Ruhe entscheiden - aber nein: Der Lehrer gibt das den Kindern als Autoritätsperson."
    Kinder werden unter Druck gesetzt
    Und das führt zu Folgen, die eigentlich nicht akzeptabel sind, so Peter Grieble von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg:
    "Wir haben gerade in den letzten Tagen etliche Berichte bekommen, wo eben leider die Kinder von Eltern, die nicht unterschrieben haben, teilweise richtig massiv unter Druck gesetzt wurden. In einem Fall beispielsweise wurde die Tochter, ein kleines Mädchen, so unter Druck gesetzt, dass sie das Vespergeld genommen hat, um den Versicherungsschutz kaufen zu können."
    Und das gehe gar nicht, findet der Versicherungsexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Wie viel Geld durch die Schüler-Zusatzversicherungen in den Kassen der beteiligten Versicherungsgesellschaften fließt, ist zwar nicht bekannt. Grieble vermutet aber, dass die Unternehmen einen Hintergedanken verfolgen, nämlich:
    "Diese gigantische Werbung. Bei allen Haushalten mit Schülern liegt dieses Antragsformular, manchmal viele Tage, auf dem Küchentisch, immer mit dem Logo. Das hat ist natürlich eine gigantische Werbung. Viele Schüler erinnern sich Jahrzehnte danach immer noch an dieses Formular mit dem Schriftzug der Versicherer - aus meiner Sicht ist das einer der wichtigsten Beweggründe, dieser Werbeaspekt der Versicherer."
    Die, so Versicherungsfachmann Peter Grieble, den Schulunterricht dafür instrumentalisierten. Er rät daher betroffene Eltern: Bringt die Tochter oder der Sohn ein solches Formular aus der Schule mit nach Hause, sollte man dies zum Anlass nehmen, sich ganz regulär beraten zu lassen, ob man gut und richtig versichert ist.