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Baden-Württemberg
Tempolimit von 120 km/h macht Gegner rasend

Baden-Württemberg will auf zwei Versuchsstrecken ein generelles Tempolimit von 120 Stundenkilometern verhängen. Die Opposition spricht von grüner Regulierungswut und Bevormundungspolitik. Auch der ADAC hält das Tempolimit für sinnlos. Und Bundesverkehrsminister Dobrindt sagt, die Landesregierung in Stuttgart überschreite ihre Kompetenzen.

Von Thomas Wagner | 04.12.2015
    Ein Auto fährt auf der Autobahn an einem Tempolimit-Schild (120 k/mh) vorbei.
    Gibt es bei einem Tempolimit von 120 Stundenkilometern weniger Unfälle? Verändert sich auch das Unfallgeschehen? Fragen wie diese sollen mithilfe der beiden Testabschnitte ergründet werden. (Julian Stratenschulte/dpa)
    Autobahn A 81, Rasthaus "Am Hegau"; ganz im Süden Baden-Württembergs: Noch brausen viele Autos brausen so schnell vorbei, dass Besucher sich schwer tun, hinterher zu schauen. Wie gesagt: Noch. Denn im Gespräch ist hier ein " ... Tempolimit auf 120. Wäre in Ordnung".
    "Ich find' das nicht gut, weil ich find': Unsere Automobilgeneration ist so eingestellt, dass man schnell fahren kann, schnell, aber mit Verstand natürlich."
    "Es kommt drauf an, wie viele Unfälle es hier gibt. Dann kann es Sinn machen. Aber grundsätzlich bin ich nicht der Freund von so strengen Tempolimits auf solchen langen Strecken."
    Und lang sind sie durchaus, jene Autobahn-Teilabschnitte, auf denen das baden-württembergische Ministerium für Verkehr und Infrastruktur ein Tempolimit auf 120 Stundenkilometer erlassen will: Der Abschnitt auf der Bodensee-Autobahn A 81 zwischen Engen und Bad Dürrheim im Schwarzwald ist 48 Kilometer lang; der zwischen Wangen und Aitrach auf der Allgäu-Autobahn A 98 misst gar 48 Kilometer.
    CDU-Landtagsabgeordneter Reuther: "Für mich ist das Regulierungswut, grüne Bevormundungspolitik"
    "Es sollen Pilotversuche werden, um auf dieser Länge zu untersuchen, inwiefern die Verkehrssicherheit sich bei einem Tempolimit von 120 Stundenkilometern verändert: Also gibt es weniger Unfälle? Verändert sich das Unfallgeschehen nennenswert?", erläutert Edgar Neumann, Sprecher des vom Grünen-Minister Hermann geführten Verkehrsministeriums. Das Ganze soll auf drei Jahre befristet werden – drei Jahre zu viel, findet Wolfgang Reuther, CDU-Landtagsabgeordneter aus dem nahegelegenen Wahlkreis Singen-Stockach:
    "Für mich ist das Regulierungswut, grüne Bevormundungspolitik, normalerweise sagen wir: Wir haben eine Richtgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometern. Und dann ist es in der Verantwortung eines jeden Verkehrsteilnehmers, entweder schneller oder langsamer zu fahren."
    Schützenhilfe bekommt Reuter dabei vom ADAC, dem größten deutschen Automobilclub. ADAC-Sprecher Johannes Boos - er verweist darauf, dass rund ein Drittel aller in Deutschland zurückgelegten Kilometer auf Autobahnen gefahren werden.
    "Und der Anteil der Unfälle mit Personenschäden ist relativ gering im Vergleich dazu mit sechs Prozent. Da sieht man: Autobahnen gehören zu den sichersten Straßen in Deutschland. Und da führen Tempolimits auch auf Teilabschnitten nicht zu einer Verbesserung der Verkehrssicherheit."
    Zudem, so ADAC-Sprecher Johannes Boos, sei das Landesverkehrsministerium für ein solches Tempolimit gar nicht zuständig.
    "Die Landesverkehrsbehörden haben eben nur die Kompetenz in begründeten Fällen, ein Tempolimit anzuweisen, und auch nur punktuell. Also nicht für ein generelles Tempolimit. Und auch nicht für ein Teilnetz der Bundesautobahnen, so wie es jetzt geplant ist."
    Ähnlich argumentierte auch CSU-Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt in Berlin. Bei der grün-roten Landesregierung in Stuttgart dagegen wähnt man sich auf rechtlich sicherem Terrain. Ministeriumssprecher Edgar Neumann:
    "Die Verhältnisse sind völlig klar: Nach der Straßenverkehrsordnung sind die Bundesländer für die Umsetzung der Straßenverkehrsordnung zuständig. Und in der Straßenverkehrsordnung gibt es auch entsprechende Regelungen, die genau diese Form der wissenschaftlichen Untersuchung vorsehen. Das heißt: Wir bewegen uns auf dem Boden des bestehenden Rechts."
    Der Einstieg in ein generelles Tempolimit?
    Dabei weist der Ministeriumssprecher süffisant auf den Ausgangspunkt des Tempolimits hin: Vor mehr als einem Jahr hatten sich Anwohner an beiden Autobahnabschnitten beim Petitionsausschuss des Landtages darüber beschwert, dass es vor lauter Raserei dort zu laut zugehe. Der legte dann eine Beschlussempfehlung an die Landesregierung vor.
    "Die wurde auch einstimmig im Parlament verabschiedet, in der die Landesregierung aufgefordert wurde, solche Pilotversuche im Land zu machen auf den genannten Abschnitten."
    Einstimmig – das heißt: Auch die CDU hat damals zugestimmt, die jetzt, ein Jahr später, das Tempolimit vehement ablehnt. Allerdings, so CDU-Abgeordneter Wolfgang Reuther:
    "Da würden sicherlich so drei bis vier Kilometer ausreichen, aber nicht vom Kreuz Hegau bis dann hoch nach Bad Dürrheim – eine völlig überdimensionierte Maßnahme, völlig unverhältnismäßig."
    Manche Kritiker sehen dann auch in den Versuchsstrecken den Einstieg in ein generelles Tempolimit. Edgar Neumann von Verkehrsministerium stellt dazu allerdings fest:
    "Also wir sind weit davon entfernt, ein generelles Tempolimit einzuführen. Das ist ein räumlich und zeitlich begrenzter Versuch, auf zwei Autobahnabschnitten."
    ... ein Versuch allerdings, der das Thema "Tempolimit" wieder auf die Tagesordnung bringen könnte, und zwar weit über die Grenzen Baden-Württembergs hinaus. Das jedenfalls erhofft sich Brigitte Dahlbender, Landesvorsitzende im Naturschutzverband BUND:
    "Die letztendliche Botschaft ist, dass wir dringend auf Bundesebene ein Tempolimit einführen müssen. Und wir hoffen, dies ist dazu ein Beitrag."