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Baden-Württembergischer Finanzminister mahnt Haushaltskonsolidierung an

Der baden-württembergische Finanzminister Gerhard Stratthaus will einer Haushaltskonsolidierung Vorrang vor Steuersenkungen geben. Es sei unsinnig, laufende Ausgaben mit Schulden zu finanzieren, sagte der CDU-Politiker. Allein mit der Zinslast seines Bundeslandes könnten 20.000 Lehrer bezahlt werden.

Moderation: Bettina Klein | 16.05.2008
    Bettina Klein: In ihren Wahlkreisen würden sie immer öfter mit der Realität vieler Menschen konfrontiert, die es immer schwerer haben, ihr Auskommen zu finden. Darauf muss man reagieren. So befanden Teile der Unionsbundestagsfraktion und fordern nun Steuererleichterungen noch vor der nächsten Bundestagswahl, was nicht der offiziellen CDU-Linie entspricht und was von der Kanzlerin sogar im fernen Lateinamerika zurückgewiesen wurde. Am Telefon begrüße ich den Finanzminister des Landes Baden-Württemberg Gerhard Stratthaus. Guten Morgen!

    Stratthaus: Guten Morgen Frau Klein.

    Klein: Herr Stratthaus, wie es aussieht begehrt eine Mehrheit der Fraktion auf gegen die Führung und gegen die Kanzlerin, auch wenn man jetzt ein bisschen versucht, den Dissens tiefzuhängen. Muss die Revolte mit allen Mitteln niedergeschlagen werden?

    Stratthaus: Niedergeschlagen muss sie nicht werden, aber die Revoltierenden müssen überzeugt werden, dass das eine und das andere beides wichtige Ziele sind.

    Klein: Das heißt Haushaltskonsolidierung und Steuersenkungen?

    Stratthaus: Haushaltskonsolidierung und Steuersenkungen. So wie jede private Familie im Grunde genommen mit ihren Einnahmen auskommen muss, ohne laufende Schulden zu machen, so muss das der Staat auch schaffen.

    Klein: Das heißt Sie sagen auf gar keinen Fall führt ein Weg dahin, schon zum 01. Januar 2009 Steuererleichterungen vorzunehmen, wie die Mehrheit der Fraktion das jetzt wünscht?

    Stratthaus: Ich befürchte, das wird nicht möglich sein. Wir müssen unbedingt im Zusammenhang mit der Föderalismusdiskussion dafür sorgen, dass wir aktive Schuldenbremsen einbauen. Und wenn dann einmal klar ist, wir dürfen im Prinzip keine Schulden mehr machen, dann kann darüber gesprochen werden, ob die Steuern gesenkt werden. Ich bin auch dafür, dass die Steuern gesenkt werden; das ist keine Frage. Aber der Hauptgrund unserer Verschuldung heute ist die Verschuldung, die hohen Zinsen, die zu bezahlen sind. Und wer immer zusätzliche Schulden macht, lebt auf Kosten der Zukunft.

    Klein: Muss man dann sagen, Sie haben aus der Perspektive des vergleichsweise reichen Südwestens der Republik kein Verständnis für die Klagen der Menschen über ihre finanzielle Situation, oder müssen sich Abgeordnete aus Baden-Württemberg tatsächlich diese Klagen nicht anhören?

    Stratthaus: Nein. Ich habe selbstverständlich ein großes Verständnis für die Klagen der Menschen. Nur ist doch auch eines klar: Es ist doch unverantwortlich zu sagen, damit wir heute nichts mehr zu klagen haben, leben wir auf Kosten der Kinder und der Enkel. Wir zahlen heute schon im "reichen Baden-Württemberg" - in Anführungszeichen - jedes Jahr zwei Milliarden Zinsen. Was glauben Sie, was wir damit machen könnten? Wir könnten zum Beispiel 20.000 Lehrer damit beschäftigen. Ich will nur mal solche Dinge bringen, an denen klar wird, wie unsinnig es im Grunde genommen ist, laufende Ausgaben mit Schulden zu finanzieren.

    Klein: Nun kommt, Herr Stratthaus, der Appell ja nicht von irgendwo her, sondern von der Mehrheitsfraktion im Deutschen Bundestag. Und dass die Mehrheit dieser Fraktion sich jetzt in einem Brief zu Wort meldet, wofür spricht das aus Ihrer Sicht? Für einen Realitätsverlust bei der Mehrheit der Unionsabgeordneten?

    Stratthaus: Das spricht nicht für einen Realitätsverlust. Das spricht einfach davon, dass weitergegeben wird, was man täglich im Wahlkreis hört. Aber ich meine halt, ein Politiker darf nicht nur an die nächste Pressekonferenz denken, sondern muss auch an die nächste Generation denken. Ich meine, das eine und das andere muss einfach möglich sein. Und es ist halt oft so, dass das Allgemeine von wenigen verteidigt wird und die besonderen Interessen von vielen gefordert werden.

    Klein: Aber die Politiker, die Abgeordneten sehen sich offenbar in der Situation, sich auch dazu zu verhalten. Sie nehmen die Klagen entgegen in den Wahlkreisen. Das steht so auch drin in ihrem Brief. Und die Frage ist ja: Wie dann darauf reagieren, wenn der falsche Weg jetzt von ihnen vorgeschlagen wird? Menschen im unteren oder mittleren Einkommensbereich stellen ein wichtiges Wählerpotenzial dar für die Union. Das haben diese Abgeordneten auch festgestellt. Und für die nimmt die Attraktivität der Linkspartei zum Beispiel immer stärker zu. Also was muss dann die Konsequenz sein?

    Stratthaus: Was die Konsequenz sein muss: Man muss die Menschen überzeugen. Man muss vor allen Dingen eben nicht immer wieder neue Ausgaben auf den Haushalt aufladen, sondern man kann das durchaus parallel machen. Wenn die Politik wirklich seriös arbeitet, dann sagt sie: So und so viele Steuern werden gesenkt, und dann müssen wir im gleichen Atemzug auf der anderen Seite auch Ausgaben senken oder zumindest nicht steigen lassen. Wir haben ja in den letzten Jahren eine gut wachsende Wirtschaft. Es wäre ja schon vieles gewonnen, wenn wir die Ausgaben festhielten. Dann könnten wir allein das schon erreichen, dass wir nicht immer wieder neue Schulden machen. Denn sehen Sie, wir haben die letzten 50 Jahre immer mehr Geld ausgegeben, als wir eingenommen haben, und deswegen sind wir in diese Situation gekommen.

    Klein: Nun wurde gerade gestern gemeldet - die Zeitungen sind heute voll davon -, wir stehen vor einer Art überraschendem Aufschwung, denn die deutsche Wirtschaft hat viel, viel bessere Zahlen zu präsentieren als die Statistiker das bisher vorhergesehen haben. Wie soll man gerade vor dem Hintergrund erklären, dass das Ansinnen der Unionsbundestagsabgeordneten nicht machbar ist?

    Stratthaus: Wenn das tatsächlich so ist, dass die Wirtschaft noch besser läuft und die Steuereinnahmen noch besser sein werden, dann muss man halt einfach dafür sorgen, dass die Ausgaben nicht steigen. Um es noch mal ganz klar zu sagen: Ich bin auch daran interessiert, dass die Menschen entlastet werden. Im Übrigen ist das auch für die Wirtschaft gut. Der Konsum würde anspringen. Das wissen wir alles. Wir müssen auf der anderen Seite aber einfach sagen: Es werden keine Schulden mehr gemacht. Sonst werden wir uns in 20 Jahren vor der nächsten Generation schämen müssen.

    Klein: Zum Thema Steuerpolitik hat sich heute Morgen auch der SPD-Generalsekretär noch einmal geäußert. Hubertus Heil plädiert für eine stärkere Steuerfinanzierung der Sozialkassen, um im Gegenzug die Beiträge zu senken - etwas, das politisch und auch gesellschaftspolitisch ja seit vielen Jahren immer wieder gefordert wird. Grundsätzlich sei er für eine stärkere Steuerfinanzierung der sozialen Sicherungssysteme. Aus Ihrer Sicht auch dies kein praktikabler Vorschlag?

    Stratthaus: Das will ich nicht sagen, aber man darf nicht vergessen, dass heute bereits ein großer Teil der Sozialkassen steuerfinanziert wird. Es ist in der Tat so, dass die Sozialkassen zum Beispiel im Zusammenhang mit der Finanzierung der deutschen Einheit stärker herangezogen worden sind, als es richtig gewesen wäre. Deswegen kann man darüber im Einzelfall reden, aber das ist eine Fachfrage, die ganz vernünftig diskutiert werden muss. Es gibt Länder, die eine ganz hervorragende Wirtschaft haben, die sehr viel stärker steuerfinanzieren. Das ist ein Faktum - ja!

    Klein: Ich würde gerne noch auf ein anderes, gewissermaßen finanzpolitisches Thema zu sprechen kommen. Die Finanzmärkte seien Monster, die in ihre Schranken gewiesen werden müssten. Mit diesem Satz sorgt der Bundespräsident seit einigen Tagen für viele Schlagzeilen. Nun sind Monster nicht Heuschrecken, aber die Wortwahl kann man ja vielleicht als ähnlich plakativ bezeichnen. Als Franz Müntefering bestimmte Finanzinvestoren als Insekten verunglimpfte, da schlug ihm zunächst nicht nur heftige Sprachkritik entgegen. Jetzt bei den Finanzmärkten als Monster bekommt der Urheber viel Beifall für diese Analyse - auch aus seiner und auch aus Ihrer Partei, der CDU. Hat sich der Wind so gedreht? Liegt drastische Finanzmarktkritik jetzt richtig im Trend?

    Stratthaus: Ja nun, der Finanzmarkt ist zunächst ein Abstraktum und ein solches darf man immer eher beschimpfen als einzelne Personen. Aber eine Tatsache ist wirklich die, dass die Finanzmärkte mit der realen Wirtschaft oft nichts mehr zu tun haben. Wir haben doch eigentlich immer gemeint, auf der einen Seite ist natürlich viel wichtiger die Güterproduktion, die Dienstleistungsproduktion und das Geld ist gewissermaßen der Fluss, der dafür sorgt, dass alles an die richtige Stelle kommt. In der Zwischenzeit haben wir tatsächlich den Eindruck, dass viel, viel mehr Finanztransaktionen stattfinden als realwirtschaftliche Gütertransaktionen. Das heißt da hat sich tatsächlich etwas von der Realität abgelöst und das nennt der Bundespräsident ein Monster. Da hat er sicher Recht.

    Klein: Aber das ist vielleicht auch nicht eine Entwicklung der letzten Monate. Nur weshalb hat das früher keiner so deutlich ausgesprochen, wenn es doch wahr gewesen ist?

    Stratthaus: Das ist immer mal wieder gesagt worden, aber es hat halt in der Vergangenheit funktioniert. Wissen Sie, das ist so wie bei unserem anderen Thema mit der Verschuldung. Das geht eine lange Zeit gut. Das ist ein süßes Gift. Und irgendwann ist es so ähnlich wie Alkohol. Zunächst wird man high, dann wird man immer fröhlicher und zum Schluss kommt der Zusammenbruch, und ich habe den Eindruck so war es auch, wenn man diese Finanzmärkte zu viel von der Realwirtschaft loslöst.

    Klein: Kann man es auch als einen Versuch werten, sich, ich sage mal, kapitalismuskritische oder skeptische Wähler gewogen zu machen und sie nicht an die Linkspartei zu verlieren, oder auch sich Grüne und SPD mit Blick auf bevorstehende Wahlen gewogen zu machen?

    Stratthaus: Das glaube ich nicht. Ich kenne den Herrn Bundespräsidenten etwas und ich muss sagen, ich kann jedes Wort dieses Interviews, das ich mir beschafft habe, weil ich im Ausland bin, unterstreichen. Ich glaube, es ist wirklich seine Meinung, und er wird natürlich auch indirekt damit die politische Diskussion beeinflussen wollen. Wenn er das schafft, dann sollten wir uns alle darüber freuen, denn dass das, was an den Finanzmärkten geschehen ist, nicht gut für die Wirtschaft ist, ich glaube, da sind wir uns alle einig.