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Baden-Württembergs Verkehrsminister will Stuttgart-21-Kosten strikt kontrollieren

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Bündnis90/Grüne) akzeptiert, dass nach dem Volksentscheid Stuttgart 21 gebaut werden muss. Er werde aber auf ein striktes Kosten-Controlling achten - das Projekt dürfe nicht teurer werden als 4,5 Milliarden Euro.

Winfried Hermann im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 28.11.2011
    Tobias Armbrüster: Knapp 60 Prozent für Stuttgart 21, das war gestern Abend das deutliche Ergebnis bei der Volksabstimmung in Baden-Württemberg. Die Gegner des Projekts sind damit auf ganzer Linie gescheitert. Jetzt muss sich in Stuttgart und im Rest des Landes zeigen, ob die Demonstrationen gegen Stuttgart 21 enden.
    Am Telefon begrüße ich jetzt einen Grünen, nämlich Winfried Hermann. Er ist der Verkehrsminister von Baden-Württemberg und er war bislang einer der heftigsten Gegner von Stuttgart 21. Schönen guten Morgen, Herr Hermann.

    Winfried Hermann: Guten Morgen.

    Armbrüster: Herr Hermann, sind Sie immer noch ein Gegner?

    Hermann: Also es ist doch klar, dass nach diesem Ergebnis der Volksabstimmung jemand in der Regierung keine Legitimation hat, jetzt weiter gegen dieses Projekt anzuarbeiten, sondern mit diesem Entscheid ist klar geworden, es gibt kein Kündigungsgesetz und es gibt keinen Ausstieg. Und deswegen lautet die Aufgabe in der Regierung, man muss das umsetzen.

    Armbrüster: Um das mal ganz klarzustellen, Herr Hermann. Das heißt, Sie als ehemaliger entschiedener Gegner von Stuttgart 21 werden dieses Projekt jetzt mit Kraft Ihres Ministeriums durchsetzen?

    Hermann: Jetzt müssen wir doch mal deutlich unterscheiden. Bauherr dieses Projektes ist die Deutsche Bahn und wir, das Land Baden-Württemberg ist einer der Projektpartner, wir geben dazu ziemlich viel Geld, aber wir sind nicht die Bauherren. Und meine Aufgabe als Minister war es schon in den letzten Monaten, dieses Projekt kritisch zu begleiten, auf Transparenz zu achten, auf Kostenwahrheit zu achten, und insofern unterscheidet sich die Aufgabe jetzt nicht so komplett davon. Bisher war es so, wir arbeiten auf den Volksentscheid hin, und dann hat das Volk das Wort. Jetzt hat das Volk gesprochen, jetzt wird meine Aufgabe sein, im Sinne eines Landtagsbeschlusses, der übrigens in der letzten Periode einstimmig verabschiedet wurde, dass man ein striktes Kosten-Controlling macht, dass man darauf achtet – darauf haben sich ja alle Partner verständigt -, dass dieses Projekt nicht teurer wird als 4,5 Milliarden. Da müssen wir sicherlich am Ball bleiben und auch mit der Bahn weiter sehr eng verhandeln. Und natürlich gebe ich auch gerne zu, dass sich nicht jedes meiner Argumente jetzt durch die Mehrheitsentscheidung in Luft aufgelöst hat, aber ich muss das eindeutig wenden, konstruktiv wenden, und vielleicht ist es für dieses Projekt auch gut, dass ein Kritiker des Projektes es kritisch begleiten muss, denn es gibt doch noch eine Menge kritische Punkte und auch viele Elemente, die ja noch gar nicht planfestgestellt sind, und auch viele ungelöste Fragen, und da bedarf es einer kritischen konstruktiven Begleitung. Dazu bin ich gerne bereit.

    Armbrüster: Ja, Herr Hermann. Aber kann man denn als Politiker erst so leidenschaftlich, wie Sie es waren, gegen so ein Projekt sein und es dann auf einmal mitverantwortlich gemeinsam mit dem ehemaligen Gegner, mit der Bahn leiten?

    Hermann: Also ich finde, diese Frage missachtet ein bisschen, wie eigentlich Demokratie funktioniert. Wissen Sie, wir haben eine hoch umstrittene Streitfrage Stuttgart 21 in Baden-Württemberg, in Stuttgart seit Monaten, seit Jahren, kann man sagen, gehabt. Wir haben eine lange Debatte und eine Auseinandersetzung. Jetzt haben immerhin 41 Prozent etwa dieses Projekt immer noch abgelehnt. Das ist ja deutlich mehr, als die Grünen in der letzten Landtagswahl Stimmen hatten.

    Armbrüster: Aber zeigt sich denn hier nicht, dass die Grünen die Befürworter völlig unterschätzt haben?

    Hermann: Das ist wahr. Ich hatte ein sehr gutes anderes Gefühl. Wir haben unglaublich viele Veranstaltungen gemacht, die bestens besucht waren und wo eine Grundstimmung da war. Von daher hatte ich bis zuletzt die Hoffnung, dass es eine Mehrheit für den Ausstieg gibt. Da täuscht man sich eben manchmal, weil man eben eine eigene subjektive Erfahrung hat und man viel Zustimmung für seine Position findet. Aber trotzdem war doch jedem von uns klar, wenn man sich auf eine Volksabstimmung in dieser Situation einlässt, dass es auch sein kann, dass etwas anderes herauskommt, als man selber sich wünscht, und das ist doch in einer Demokratie eine Selbstverständlichkeit. Viele haben mich gefragt, wie kannst du das verkraften, aber dann muss ich doch sagen, Entschuldigung, ich bin seit Langem demokratisch und politisch aktiv, und es ist in der Demokratie häufig so, dass die anderen die Mehrheit haben, und man muss trotzdem weitermachen, es sei denn, man hat nur Lust, Politik zu machen, wenn alle auf der eigenen Seite stehen. Und gerade die Einzelentscheidung Volksentscheid ist ja die Möglichkeit, dass man zwischen einer Wahlentscheidung dem Volk die Möglichkeit gibt, in einer Einzelfrage abzustimmen, und das kann dann anders ausgehen, als die Regierung oder die Mehrheit in der Regierung das gewollt hat. Und genau das ist passiert, und deswegen kann ich das auch gut respektieren. Wissen Sie, in der Schweiz finden häufig Volksabstimmungen statt; da käme keiner auf die Idee zu sagen, jetzt muss die Regierung anschließend zurücktreten, weil die Mehrheit im Volk anders gestimmt war als etwa die Mehrheit in de Regierung. Also das ist vielleicht auch was, was man in Deutschland erst noch lernen muss, dass das sein kann und dass man eben auch so was verantwortungsvoll umsetzen muss. Ich habe übrigens als Grüner eigentlich reichlich Erfahrung mit so einer Situation. Ich war Kriegsgegner und war gegen den Afghanistan-Einsatz, und wir waren damals in der Koalition und ich musste das aushalten.

    Armbrüster: Das heißt, Sie haben mit solchen Wendemanövern einige Erfahrung?

    Hermann: Nein, das ist ja kein Wendemanöver. Ich meine, wenn man das Akzeptieren eines eindeutigen Volksvotums, wenn man das als Wendemanöver bezeichnet, finde ich, dann ist das wirklich nicht der nötige Respekt, den man so einer Entscheidung des Volkes entgegenbringen muss.

    Armbrüster: Herr Hermann, was sagen Sie den Demonstranten am Stuttgarter Hauptbahnhof jetzt, hört auf zu demonstrieren?

    Hermann: Nein, das werde ich natürlich nicht sagen. Das ist doch auch eine Selbstverständlichkeit, dass in der Demokratie es möglich ist, dass jeder und jede jederzeit demonstrieren kann, wenn er auf Recht und Gesetz achtet, und natürlich wird es Menschen geben, die sagen trotzdem, dieser Bahnhofsbau, dieser unterirdische, ist viel zu teuer, ist viel zu riskant, unökologisch und was da alles als Gründe angeführt werden kann, und man hat selbst nach so einer Volksabstimmung selbstverständlich das Recht zu demonstrieren. Deswegen werde ich auch nicht sagen, hört auf, aber es wird natürlich auch so sein, dass viele, die bisher immer mitdemonstriert haben und die gehofft haben, durch diese Demonstrationen und durch die Öffentlichkeitsarbeit und die vielen Veranstaltungen, die man gemacht hat, dass man dann die Mehrheit gewinnt, die haben auch feststellen müssen, man hat sie nicht gewonnen. Da werden viele auch sagen, das ist halt nun mal so in der Demokratie, dass du auch nicht gewinnen kannst oder mal verlierst, und da musst du dich dann halt entsprechend einrichten.

    Armbrüster: Würden Sie denn zu weiteren Demonstrationen aufrufen?

    Hermann: Also noch mal: Ich rufe nicht zu weiteren Demonstrationen auf. Ich habe mit diesem Votum einen anderen Auftrag bekommen als Regierungsmitglied.

    Armbrüster: ... , nämlich den Auftrag, das durchzuziehen. – Ihre Regierung ...

    Armbrüster: Also wir ziehen das nicht durch, sondern wir begleiten das kritisch und konstruktiv. Da gibt es Gremien und da gibt es auch Interessen zu wahren. Das Land Baden-Württemberg gibt viel Geld und möchte dafür auch eine gute Leistung erbringen. Ich werde natürlich die Perspektive des Landes gegenüber der Bahn wahrnehmen, aber ich werde natürlich auch die Perspektive der Kundinnen und Kunden wahrnehmen. Auch da fühle ich mich durchaus als Anwalt. Und ich glaube, dem Projekt kann wirklich nichts besseres passieren, als jemand, der sich einigermaßen gut auskennt in diesem Projekt und dies dann auch gegenüber der Bahn darstellen kann, was die Anliegen sind, die aus Sicht des Landes wichtig sind.

    Armbrüster: Ich glaube, bei Ihrem Koalitionspartner, bei der SPD, sieht man das etwas anders. Die SPD war ja immer ein entschiedener Befürworter von Stuttgart 21. Wie wollen Sie das unter einen Hut bringen, jetzt nach dem Volksentscheid? Sie sagen, kritisch konstruktiv, die SPD sagt, hier ein deutliches Votum dafür.

    Hermann: Ja. Ich habe ja auch das gleiche gesagt. Und im Übrigen möchte ich mal darauf hinweisen, dass natürlich auch in der SPD immer auch kritische Stimmen da waren. Aber wir haben uns ja auch gestern Abend schon getroffen und besprochen und es ist irgendwie klar, dass wir nach diesem Volksentscheid eng zusammenarbeiten, und dass das auch bedeutet, dass wir bezogen auf die Bahn und für die Interessen des Landes Baden-Württemberg ganz eng zusammen bleiben und auch das sehr eng absprechen, dass wir zukünftig auch zwischen dem Verkehrsministerium und dem Finanzministerium sicherlich einen Arbeitskontakt, einen regelmäßigen, bilden, der noch besser sein wird als der bisherige, weil es jetzt natürlich auch sehr ernsthaft um die Begleitung des Projektes geht.

    Armbrüster: Herr Hermann, ich würde gerne zum Schluss noch ganz kurz auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen. Ihre Regierung verlangt jetzt von der Bahn, dass sie alle eventuellen Mehrkosten bei diesem Projekt übernimmt, also alle Kosten, die noch zusätzlich auftauchen könnten. Die Bahn lehnt eine solche Regelung ab. Was machen Sie, wenn es dabei bleibt?

    Hermann: Zunächst muss man sagen, es gibt einen Regierungsbeschluss, also einen Kabinettsbeschluss, das ist im Koalitionsvertrag so vereinbart, und die Stadt Stuttgart, die Region und übrigens auch der Bund hat ja gesagt, es gibt nicht mehr Geld als 4,5 Milliarden. Die Bahnführung scheint, das anders zu sehen. Jedenfalls in der Kampagne haben sie das schon rausgelassen. Darüber wird man sicherlich diskutieren müssen. Aber die Ansicht der Landesregierung ist sehr eindeutig. Wir zahlen nicht mehr als das, was bisher zugesagt worden ist. Dazu gehört für uns ein insgesamt funktionierender Bahnhof, dazu gehören auch die Ergebnisse aus dem Schlichtungsverfahren, die eigentlich die Bahn immer als im Konsens angesehen hat. Und was nicht geht ist, dass jetzt allerhand Mehrkosten auf das Land abgewälzt werden. Da werden wir sicherlich sehr deutlich sagen, das geht nicht, und das ist ja auch übrigens ein eindeutiger Konsens innerhalb der Regierung zwischen Grünen und SPD.

    Armbrüster: Heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk war das Winfried Hermann von den Grünen, der Verkehrsminister von Baden-Württemberg. Vielen Dank, Herr Hermann, dass Sie sich heute Morgen die Zeit genommen haben.

    Hermann: Ja! Danke schön.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.