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Baerbock (Grüne) zum Kohleausstieg
"Da sind viele kleine Fallstricke in diesem Gesetz"

Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock hält einen Kohleausstieg im Jahr 2038 klimapolitisch für zu spät. Das Kohleausstiegsgesetz erschwere aber einen früheren Ausstieg - auch für kommende Regierungen, kritisierte sie im Dlf. Es sei de facto ein Kohleabsicherungsgesetz.

Annalena Baerbock im Gespräch mit Christiane Kaess | 03.07.2020
Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock
Annalena Baerbock ist gemeinsam mit Robert Habeck Bundesvorsitzende der Grünen (Imago/ Reiner Zensen)
Bis zum Kohleausstiegsgesetz war es ein langer Prozess. Vertreter aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen haben in der sogenannten Kohlekommission ein Konzept ausgearbeitet. Bund und Länder mussten sich einigen, die Regierung zustimmen, heute haben der Bundestag und im Bundesrat darüber abgestimmt. Vorgesehen ist, dass das letzte Braunkohlekraftwerk 2038 vom Netz geht. Grünen-Chefin Annalena Baerbock kritisierte im Dlf das Gesetz als Kohleabsicherungsgesetz, weil es keine Möglichkeit lasse, vor 2038 aus der Kohleverstromung auszusteigen.
Ein Stoppschild zeichnet sich in der Abenddämmerung vor dem Kohlekraftwerk Boxberg ab.
Das steht im Kohleausstiegsgesetz
Bis spätestens 2038 soll in Deutschland auch das letzte Kohlekraftwerk stillgelegt sein – Bundestag und Bundesrat haben ein entsprechendes Gesetz beschlossen. Mehr als 50 Milliarden Euro wird das Ende der Kohleverstromung voraussichtlich kosten. Ein Überblick.
Christiane Kaess: Wie bitter ist es für die Grünen, dass nach dem Atomausstieg jetzt auch noch der Kohleausstieg unter einer Regierung beschlossen wird, der Sie nicht angehören?
Annalena Baerbock: Wir haben für diesen Kohleausstieg jahrelang gekämpft, haben uns persönlich, ich auch persönlich im Parlament beschimpfen lassen, und es hätte heute ein historischer Tag werden können – für unsere Gesellschaft, für den Klimaschutz. Aber leider hat die Bundesregierung nicht den Mut, diesen Tag wirklich zu dem historischen Ereignis zu machen, der er sein könnte und vor allen Dingen sein müsste. Und deswegen ist es bitter, weil dieses Klimaschutzgesetz nicht den Klimaschutz umfasst, den es eigentlich in diesen Zeiten bräuchte.
"Klimaschutz und soziale Verantwortung gehen Hand in Hand"
Kaess: Lassen Sie uns gleich noch genauer auf Ihre Kritik schauen. Aber noch mal meine Frage: Machen Sie sich langsam Sorgen um den grünen Markenkern?
Baerbock: Nein, überhaupt gar nicht. Ich bin in der Politik, um zu verändern. Ich bin vor allen Dingen ins Parlament gekommen – ich komme ja aus Brandenburg -, um genau diesen Kohleausstieg sozialverantwortlich einzuleiten. Das ist das, was ich in der Politik erreichen will. Und wenn das kommt, dann ist das ein Erfolg, aber leider kommt es nicht so, wie es sein müsste.
Kaess: Das war jetzt ein langer Prozess. Da mussten sehr viele verschiedene gesellschaftliche Gruppen mitgenommen werden. Es ist bekannt, dass Sie sagen, wir hätten das schneller durchgezogen. Aber das hätten Sie dann auch ohne Rücksicht auf Verluste getan?
Baerbock: Nein, überhaupt gar nicht. Klimaschutz und soziale Verantwortung gehen Hand in Hand und deswegen haben wir vor Jahren schon genau dafür geworben, ein Bündnis zu schaffen zwischen Gewerkschaften, zwischen Beschäftigten in den Regionen, die in der Kohle tätig sind, das gemeinsam anzupacken, einen verlässlichen Fahrplan aufzulegen. Es hätte wirklich die Versöhnung eines gesellschaftlichen Konfliktes sein können, wenn man mit Unterstützung der Regionen, mit Unterstützung der Beschäftigten und damit einem klaren Kohleausstiegsgesetz diesen Prozess angeht. Aber jetzt hat das Ganze entsprechend Schlagseite, weil die Strukturgelder kommen. Das finden wir absolut richtig. Auch die Unterstützung für diejenigen, die in der Kohle beschäftigt sind. Aber beim Klimaschutz hat die Große Koalition jetzt am Ende immer wieder Dinge verändert, die dazu führen, dass dieses Gesetz de facto ein 18 Jahre langes finanzielles Kohleabsicherungsgesetz ist.
Brandenburg, Welzow: Ein Schaufelradbagger trägt Braunkohle im Braunkohletagebau Welzow-Süd der Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG) ab.
Wie Bund und Länder den Kohleausstieg finanzieren wollen
Die Vorschläge der Kohlekommission sind ein Meilenstein in der deutschen Energie-, Wirtschafts- und Sozialpolitik. Sie sehen den Ausstieg aus der Kohle bis 2038 und Milliardenhilfen für die betroffenen Regionen vor.
"Konsensbericht mit Kompromissen auf allen Seiten"
Kaess: Sie hätten das Ganze schneller erreichen wollen. Jetzt haben Sie ja gesehen, wie mühsam dieser Prozess war. Wie hätten Sie es denn machen wollen?
Baerbock: Wir hätten – und dafür haben wir eine Vorlage geschaffen; nach der letzten Bundestagswahl haben wir ein Kohleausstiegsgesetz formuliert, was im Ordnungsrecht rechtlich verankert ist, wo wir entsprechend der Klimaziele den Kohleausstieg formuliert hätten – schon in den letzten zweieinhalb Jahren Blöcke vom Netz genommen. Das muss man sich auch noch mal in Erinnerung rufen, dass die Bundesregierung zweieinhalb Jahre gebraucht hat, das jetzt auf den Weg zu bringen. Zwischendurch gab es den Bericht der Kohlekommission.
Kaess: Es gab ja auch viel Widerstand dagegen.
Baerbock: Na ja. Das war ein Konsensbericht mit Kompromissen auf allen Seiten. Aber was jetzt passiert, um das vielleicht auch mal deutlich zu machen: Das Allererste, was mit diesem Ausstiegsgesetz kommt, ist jetzt, dass mit Datteln IV ein neues Kohlekraftwerk ans Netz geht. Das ist schon ein bisschen irrsinnig.
Dann war eigentlich dieser Kompromiss, dem sich dann auch die Umweltverbände angeschlossen hatten, dass immer wieder alle paar Jahre geprüft wird, ob weitere Kohleblöcke vom Netz gehen, und genau diese Überprüfung, die erste im Jahr 2023, streicht die Bundesregierung. Zudem macht sie einen Geheimvertrag mit den Konzernen, wo jetzt Gelder gezahlt werden für Kraftwerke, die ohnehin abgeschaltet werden sollten. Damit kündigt sie den eigentlich schwierig gefundenen Konsens von vor anderthalb Jahren auf. Das halte ich wirklich für den falschen Weg.
Kritik an Datteln IV
Kaess: Das waren jetzt einige Kritikpunkte. Schauen wir mal auf Datteln IV. Da hat die Bundesregierung ja ein ganz stichhaltiges Argument. Da heißt es, die Genehmigung für Datteln IV lag bereits vor, bevor ein Kohleausstieg vorgesehen war. Das wären jetzt sehr hohe Entschädigungszahlungen, die nötig wären, und eigentlich ist ja das übergeordnete Ziel die Verringerung der CO2-Emissionen nicht von einzelnen Kraftwerken, sondern aller Kohlekraftwerke in Deutschland. Dann ist es doch sinnvoll, erst ältere ineffizientere Steinkohlekraftwerke außer Betrieb zu nehmen, als das hochmoderne Kraftwerk Datteln IV nicht in Betrieb zu nehmen und dafür auch noch hohe Entschädigungen zu zahlen.
Baerbock: Na ja, aber das ist kein Widerspruch. Man hätte ältere Kraftwerke vom Netz nehmen können und hätte nicht zeitgleich Datteln IV ans Netz nehmen müssen. Der Strom, der jetzt bei Datteln IV produziert wird, den brauchen wir gar nicht. RWE zum Beispiel – das zeigt die ganze Absurdität – zahlt jetzt Geld für diesen Strom, nimmt ihn aber gar nicht ab, weil sie sagen, wir wollen keinen Kohlestrom mehr. Die Deutsche Bahn, die sich auch vertraglich verpflichtet hatte, muss diesen Strom jetzt kaufen, der viel, viel teurer ist als der Strom an der Strombörse.
Und ja, es hätte Geld gekostet, mit dem entsprechenden Konzern – der sitzt ja in Schweden – zu verhandeln, dass man aus dem Vertrag rauskommt. Aber man nimmt jetzt ohnehin Geld in die Hand, über vier Milliarden, für einen Ausstieg mit RWE und der LEAG in der Lausitz – Geld, was aus meiner Sicht viel zu viel ist, weil diese Kohlekraftwerke hätten eh abgeschaltet werden müssen.
Man hat sich bei Datteln IV nicht die Mühe gemacht von Seiten der Bundesregierung, wirklich aus diesem Vertrag herauszukommen, sondern hat dieses Kraftwerk jetzt ans Netz genommen, obwohl explizit im Bericht der Kohlekommission steht, keine neuen Kohlekraftwerke mehr ans Netz.
"Wir zahlen ohnehin wahnsinnig viele Entschädigungen"
Kaess: Sie hätten mal lieber locker die hohen Entschädigungen gezahlt?
Baerbock: Wie gesagt: Wir zahlen ohnehin wahnsinnig viele Entschädigungen in einem Geheimvertrag, der leider auch jetzt den Bundestagsabgeordneten, die jetzt gleich wieder gemeinsam in anderthalb Stunden darüber abstimmen. Da stehen 4,23 Milliarden drin für die anderen beiden Kohlekonzerne. Aus meiner Sicht sind das zwei Milliarden zu viel. Genau wissen wir das aber nicht, weil das wie gesagt ein Geheimvertrag ist. Da hätte man Teile dieses Geldes dafür nehmen können, dass Datteln IV nicht ans Netz geht.
Kaess: Sie kritisieren auch, dass die Klimaziele des Pariser Klimaabkommens so nicht zu erreichen sind. Woher wissen Sie das jetzt schon?
Baerbock: Durch das Pariser Klimaabkommen kann man runterrechnen, wie viele Tonnen CO2 jedes Land noch verbrauchen darf. Damit hat man ein sogenanntes Budget. Das kann man aufteilen auf die verschiedenen Sektoren: Industrie, Verkehr, Wärme, aber auch Strom. In Deutschland verbrauchen wir dieses Budget vor allen Dingen durch die Verstromung von Kohle, weil das so CO2-intensiv ist. Wenn man das runterrechnet, ist klar, dass man eigentlich 2030 aussteigen müsste. Das Gute ist, …
Kaess: Aber der Fahrplan, wenn ich da mal einhaken darf, sieht ja auch vor, dass zwischendurch überprüft wird und dass ein Ausstieg früher durchaus möglich ist.
Baerbock: Das sah der Fahrplan vor. Und jetzt – das war das, was ich vorhin mit der Revisionsklausel meinte – hat man genau den ersten Überprüfungsschritt im Jahr 2023 aus diesem Gesetzentwurf rausgestrichen.
Kaess: Den ersten Schritt, aber nicht die anderen.
Baerbock: Den ersten Schritt! Aber man kann ja nicht ein Kohlekraftwerk einfach so – heute entscheide ich mich, ich schalte mal ein Kohlekraftwerk ab.
"Da sind viele kleine Fallstricke in diesem Gesetz"
Kaess: Aber bis 2038 ist ja dennoch viel Zeit.
Baerbock: Ja! Aber nichts desto trotz braucht das Vorlauf, und sie haben noch eine zusätzliche Klausel. Das klingt jetzt alles sehr technisch, aber genau das kritisiere ich auch an dem Vertrag, dass da versteckt sehr, sehr viele Maßnahmen eingebaut sind, dass spätere Regierungen nicht so einfach vorzeitig aussteigen können. Da steht nämlich noch zusätzlich drin, dass das dann eine Vorlaufzeit haben muss von acht Jahren.
Und wenn Sie dann die 23er-Überprüfung wegnehmen und die nächste ist erst 2026, dann haben Sie keine acht Jahre mehr bis zum Jahr 2030. Da sind viele kleine Fallstricke in diesem Gesetz, was erst mal richtig gut klingt, was aber in der Sache leider am Ende dazu genutzt wird, dass man den Kohleausstieg in den nächsten Jahren erschwert. Ja, es steht ein Enddatum drin, 2038. Das ist aber klimapolitisch zu spät. Und alles, was man zuvor machen will, das wird jetzt massiv erschwert, und das halte ich wirklich für fatal – angesichts dessen, dass wir gerade sehen, wie heftig die Klimakrise zuschlägt. So wie man mit Verve und Leidenschaft die Corona-Krise bekämpft, hätte man das meiner Meinung nach auch mit der Klimakrise jetzt mit diesem Gesetz machen müssen.
Kaess: Sie haben auch die Entschädigungen für die Energiekonzerne kritisiert. Jetzt rechnet RWE zum Beispiel vor, dass die tatsächlichen Kosten deutlich höher sind als die Entschädigungen. Die Kosten sind laut RWE 3,5 Milliarden Euro und die Entschädigungen nur 2,6 Milliarden.
Baerbock: Man muss sich immer fragen, was am Ende entschädigt wird. Wir reden hier über Kraftwerke, die zum Teil seit Jahrzehnten laufen. Das sind abgeschriebene Kraftwerke, die auch gesetzlich einfach vom Netz genommen hätten werden können. Es werden jetzt zum Teil Kraftwerke entschädigt, die gar keine Gewinne mehr abwerfen, weil sich der Strom...
Ein Schaufelradbagger von RWE hinter dem Hambacher Forst vor dem Tagebau Etzweiler. Im Hintergrund das RWE Kraftwerk Niederaußem.
Folge des Kohlekompromisses - RWE kündigt Stellenabbau an
Auf den Kraftwerksbetreiber RWE kommen durch die Einigung auf den Kohleausstieg nach Angaben des Konzerns hohe Belastungen zu. Innerhalb der nächsten zehn Jahre sollen 6.000 Stellen wegfallen.
"LEAG und RWE bekommen zu viel"
Kaess: Ja, Frau Baerbock. Das haben Sie schon erklärt. Aber warum trauen Sie eigentlich den Konzernen nicht zu, dass sie diese Berechnungen verlässlich machen können?
Baerbock: Na ja. Es gibt da auch einen großen Unterschied, wenn man sich jetzt die Situation von RWE und der LEAG anschaut. Ich komme ja selber aus Brandenburg und kenne das sehr genau. 2017 wurde da ein Revierkonzept veröffentlicht, wo die LEAG selber schon gesagt hat, welche Kraftwerke sie abschaltet. Jetzt soll sie für die Kraftwerke, wo sie selber schon entschieden hat, dass sie sie abschaltet, noch Entschädigungen bekommen.
Kaess: Die LEAG bekommt zu viel, aber RWE nicht?
Baerbock: Die LEAG bekommt zu viel und meiner Meinung nach auch RWE. Wie gesagt, so genau weiß man das nicht, weil die Kriterien, nach denen dieser Vertrag ausgehandelt wurde, die Kriterien, wonach gesagt wird, so und so viel Geld bekommen die Konzerne, die sind nicht öffentlich. Das halte ich auch parlamentarisch für wirklich eine brisante Aktion, dass wir jetzt über ein Gesetz abstimmen, wo 4,23 Milliarden Euro drinstecken. Wer warum so viel Geld bekommt, wird aber dem Parlament nicht offengelegt.
"Zu Klagewellen soll es nicht kommen"
Kaess: Wenn man das sowieso nicht so genau nachvollziehen kann, warum zählt dann für Sie nicht das Argument, dass diese Entschädigungen zumindest Rechtsfrieden schaffen? Was wäre denn damit gewonnen, wenn es zu Klagewellen käme?
Baerbock: Nee, zu Klagewellen soll es natürlich nicht kommen. Deswegen war auch unser Vorschlag, das per Ordnungsrecht zu machen und nicht durch einen zusätzlichen Vertrag, weil dieser Vertrag – auch das ist meine Sorge, dass der danach angreifbar ist. Die EU-Kommission, die muss ohnehin noch prüfen, ob das beihilferechtlich überhaupt genehmigungswürdig ist. Und die Frage, was danach passiert, wenn man dann Blöcke früher vom Netz nehmen will, was eigentlich die ganze Idee ja immer war bei dieser Überprüfung, auch das ist jetzt totale Rechtsunsicherheit, ob da nicht weitere Klagen drohen.
Deswegen hätte aus meiner Sicht, um das rechtssicher und vor allen Dingen transparent zu machen, ein Gesetz, was ordnungsrechtlich verankert ist, und nicht in einem Vertrag zwischen dem Staat und den Konzernen für mehr Transparenz, Rechtssicherheit und auch vor allen Dingen für bessere finanzielle Absicherung im Sinne aller gesorgt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.