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Bäume als Co-Architekten

Technik. – Baubotanik beschäftigt sich nicht mit der Grünpflanzenausstattung von Gebäuden, sondern mit dem Einsatz von Pflanzen als Bauelemente. Seit 2004 wird dieses Fach an der Universität Stuttgart gelehrt. Jetzt fand am Internationalen Zentrum für Kultur und Technikforschung der Universität eine Tagung zum Thema statt.

Von Cajo Kutzbach | 26.01.2007
    Im März 2005 wurde zwischen Stockach und Pfullendorf beim Bodensee ein Steg gebaut, auf dessen drei Meter hoher Plattform man einen hübschen Blick hat. Die Träger der Plattform sind fast zehn Meter lange Bündel aus lebenden Weidenstäben. Treibende Kraft hinter diesem naturnahen Bauwerk ist der Stuttgarter Diplom-Ingenieur Ferdinand Ludwig:

    "Wir sagen: wir haben mit Bäumen einen Steg konstruiert. Die Wipfel, die entstehen grade noch, die treiben aus. Und da haben wir in der Tat versucht Pflanzen als Tragstruktur zu nehmen, die allein, ohne andere technische Hilfsmittel, eine Plattform aus Stahlgitterrosten tragen; eine begehbare Struktur, die demonstriert, was Pflanzen verwendet als technische Tragstruktur leisten können."

    Bündel aus Weidenstäben wurden mit Humus in tiefe Löcher gesetzt und oben so verbunden, dass Plattform und Geländer Halt fanden. Dabei nutzt man die natürlichen Eigenschaft des Holzes eine stabile Struktur ohne Schwachstellen zu schaffen. Zudem verwächst Holz an Druckstellen mit anderem Holz, oder schafft bei Metall durch Drumherumwachsen eine feste Verbindung. Der Steg konnte sofort benutzt werden, obwohl die Weiden erst im Laufe der Zeit festwuchsen. Ludwig:

    "Wir nennen das Wurzelgründung und haben grade an diesem Standort - das ist ein ehemaliges Moorgebiet - dadurch auch die Möglichkeit in so einer feuchten Situation, wo man sonst sehr aufwändig gründet, relativ bodenschonend eine Architektur zu verwurzeln."

    Das erspart Umwelt und Bauherren grade in so schwierigem Gelände erhebliche Eingriffe für ein tiefreichendes Betonfundament. Allerdings muss man die frischen Weidenschösslinge beim Aufbau genauso sorgfältig behandeln, wie frisches Gemüse, damit sie auch gut anwachsen. Jetzt nach fast zwei Jahren sind die Plattform und das Geländer schon fast so eingewachsen, wie man es manchmal an Maschendrahtzaun oder Schildern im Wald sieht. Ludwig:

    "Durch die Wachstumsprozesse werden unsere Bauten - im Gegensatz zu konventionellen Bauten, die ja tendenziell nur Verfallsprozessen ausgesetzt sind - über die Zeit im Laufe der Jahre immer stabiler. Dabei ist es so, dass sozusagen die Intelligenz des Baumes, der immer dort am stärksten wächst, wo er am stärksten belastet wird, von uns in die Architektur getragen wird, und der Baum sozusagen bei uns mitdenkt. Also wenn sie jetzt beispielsweise - überspitzt formuliert - eine Brücke häufiger benutzen, dann wird sie auch mehr tragen können."

    Deshalb sprechen die Baubotaniker auch von "Trainierbaren Tragwerken" und vom Baum als "Co-Architekt". Die Idee Gebäude oder Pavillons wachsen zu lassen, gab es schon in der Romantik, aber Pflanzen auch als Konstruktionen zu sehen, das begann erst 1984. Deshalb kann Ferdinand Ludwig die Grenzen des Machbaren schon skizzieren:

    "Was geht: größere, sehr große komplexe Tragstrukturen; Bauten, die ihren eigenen Charakter entwickeln und über die Jahre sich verändern. - Was nicht geht sind komplett wachsende Häuser, sozusagen ein Samen, den ich mir im Gewächshaus kaufe, den ich in den Boden stecke und es wächst ein Haus mit Rindenstrukturen, mit Dächern und Wänden aus Bäumen."

    Aber ein Pavillon aus lauter Weiden mit einem eingehängten Foliendach steht seit Oktober 2005 im Überlinger Strandbad. 2006 folgte eine noch kompliziertere Struktur. Ludwig:

    "Wir haben im November fertig gestellt eine Vogelbeobachtungsstation im Bayerischen Wald in der Landesgartenschau Waldkirchen. Im Moment in Planung ist eine lebende Brücke, die frei einen Fluss überspannen soll, wobei wieder die Pflanzen das primär Tragende darstellen. Im Moment beschäftige ich mich sehr stark mit der Weiterentwicklung im Bereich Biomechanik und Biologie, um Pflanzen zu züchten, die extrem lang und dünn sind, aus denen dann sich dann sehr große, frei formbare Strukturen bilden lassen."

    Die bisher verwendeten Weiden liefern rasch verwertbare Ergebnisse, aber längerfristig werden wohl haltbarerer Holzarten - etwa Platanen - eingesetzt.