Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Bahn-Tarifkonflikt
Initiative fordert Weselsky-Rücktritt

In der Lokführergewerkschaft GDL wächst offenbar der Widerstand gegen den Vorsitzenden, Claus Weselsky. Die Führung habe es in der Vergangenheit versäumt, den Organisationsgrad unter den Zugbegleitern zu erhöhen, sagte der Sprecher der Initiative für mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der GDL, Volker Siewke, im DLF.

Volker Siewke im Gespräch mit Christine Heuer | 25.10.2014
    Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Claus Weselsky, geht am 17.10.2014 in Dresden (Sachsen) auf dem Hauptbahnhof zu einem Pressestatement
    In der Lokführergewerkschaft GDL gibt es Kritik an ihrem Vorsitzenden Claus Weselsky. (picture alliance / dpa / Matthias Hiekel)
    Gewerkschaftsmitglied Siewke sagte im Deutschlandfunk, die GDL habe zwar grundsätzlich vereinbart, nicht nur für die Lokführer, sondern für das gesamte Zugpersonal verhandeln zu wollen. Allerdings habe es die Führung in der Vergangenheit versäumt, den Organisationsgrad unter den Zugbegleitern zu erhöhen. Siewke, der in der GDL Sprecher der Initiative für mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ist, forderte den Rücktritt Weselskys. Die Gefahr einer Spaltung seiner Gewerkschaft sehe er nicht, betonte er.
    Die GDL hatte gestern mitgeteilt, dass sie ihre Streikpause bis zum 2. November verlängern will.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Die Deutschen sind traditionell ziemlich geduldig mit Streikenden in ihrem Land: Auch wenn so mancher Arbeitsaufstand den Bürgern Unbequemlichkeiten beschert, haben sie immer noch Verständnis dafür, dass Arbeitnehmer für ihre Interessen auf die Straße gehen oder auch streiken. Beim Lokführerstreik hört der Spaß jetzt aber für die meisten Deutschen auf: Dass eine Spartengewerkschaft buchstäblich den Verkehr in Deutschland zum Erliegen bringt, ist für viele schon schlimm genug. Dass der Chef der Lokführergewerkschaft Klaus Weselsky die Streiks womöglich aber auch instrumentalisiert, um die Vormacht der GDL gegenüber der konkurrierenden Eisenbahnergewerkschaft EVG durchzusetzen, das lässt vielen den Geduldsfaden endgültig reißen, so zum Beispiel bei DGB-Chef Reiner Hoffmann.
    Reiner Hoffmann: Mein Aufruf: Zurück an den Verhandlungstisch! Gemeinsam sind wir stark. Wenn wir uns gegeneinander aufspalten, nutzt es am Ende nur den Arbeitgebern.
    Heuer: Reiner Hoffmann vom DBG. Kritisch gegenüber Klaus Weselsky ist auch die Initiative für mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der GDL, was man leicht schon daran erkennt, dass es eine solche Initiative überhaupt gibt. Einen ihrer drei Sprecher begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen, Volker Siewke!
    Volker Siewke: Guten Morgen nach Köln!
    "Streik muss immer Ultima Ratio sein"
    Heuer: 57 Prozent der Deutschen haben kein Verständnis für die Lokführerstreiks. Gehören Sie zu dieser Mehrheit, obwohl Sie selbst ja ein Lokführer sind?
    Siewke: Ich gehöre sicherlich im Augenblick zu dieser Mehrheit. Ich habe wenig Verständnis für die Streiks im Augenblick, schon aus den Gründen, die Sie eben genannt haben in der Anmoderation. Ich denke mal, die meisten Menschen, die sich im Augenblick ärgern über diese Streiks, vermissen auch überhaupt erst mal Verhandlungen. Streik muss immer Ultima Ratio sein. Einem Streik müssen immer Verhandlungen vorausgehen, die dann sicherlich auch mal scheitern können, auch nach eventuell der Vermittlung oder Schlichtung. Das alles ist im Augenblick nicht geschehen. Die Streiks sind überlagert durch eine ultimative Forderung des GDL-Bundesvorsitzenden Weselsky nach tariflicher Zuständigkeit für Berufsgruppen, in denen die GDL nachweislich keine Mehrheit besitzt.
    Heuer: Herr Siewke, wie sehen das denn Ihre anderen Kollegen in der GDL? Streiken da die meisten auch nicht?
    Siewke: Die Mitgliedschaft in der GDL ist im Augenblick vielleicht auch ein Stück weit überfordert. Sicherlich: Rein satzungsmäßig ist jedes Mitglied verpflichtet, am Streik teilzunehmen. Der Ausruf eines Streiks ist ein Organbeschluss und die Satzungen weisen aus, dass jedes Mitglied an Organbeschlüsse seiner Organisation gebunden ist. Einige Mitglieder streiken aus Loyalität. Das soll man auch nicht geringschätzen, dass es so etwas gibt, Loyalität zur eigenen Organisation, der man mitunter viele, viele Jahre treu war und auch treu bleiben möchte. Aber es gibt auch eben zahlreiche Kolleginnen und Kollegen, die sich von diesen Streiks distanzieren.
    Heuer: Wer ist da in der Mehrheit, Herr Siewke?
    Siewke: Das ist schwer zu sagen, das ist ganz schwierig auszumachen. Ich denke mal, es gibt auch keine Erhebung, da muss man sich schon auf Stimmungslagen beziehen. Ich denke mal, es ist so ein bisschen paritätisch im Augenblick.
    Heuer: Sie sind sauer, das hört man auch schon, auf Ihren Vorsitzenden, auf Klaus Weselsky. Was werfen Sie ihm denn im Kern vor, was macht er grundsätzlich falsch?
    Siewke: Es gibt einen Beschluss der letzten ordentlichen Generalversammlung. Danach sollte die GDL alles unternehmen, um die Organisationsgrade in den besagten Berufsgruppen - Zugbegleitdienst, Bordgastronomie, Lokrangierführer - so zu beeinflussen, dass eine Tarifmacht nachgewiesen werden kann, das heißt, die Organisationgrade auf den magischen Wert von über 50 Prozent zu erhöhen.
    "Gemeinsames Tarifwerk für das gesamte Fahrpersonal"
    Heuer: Darf ich das mal eben übersetzen? Das bedeutet, dass die GDL eben nicht mehr nur die Lokführer, sondern auch Zugbegleiter und anderes Zugpersonal vertreten möchte.
    Siewke: Das würde ja auch Sinn machen. Wir reden ja hier von Berufsgruppen, die eins gemeinsam haben: Sie verdienen ihr Geld nicht im stationären Dienst, sondern quasi auf dem rollenden Rad. Sie sind also anderen Arbeitsbedingungen unterworfen, und auch, wenn es sehr unterschiedliche Qualifikationen innerhalb dieser einzelnen Berufsgruppen gibt, würde es schon Sinn machen, ein gemeinsames Tarifwerk für das gesamte Fahrpersonal zu konstruieren, keine Frage.
    Heuer: Was stört sie dann?
    Siewke: Das geht aber nur über den Weg, dass man in den einzelnen Berufsgruppen die Mehrheit, die Organisationsmehrheit herstellt - und genau das ist unterblieben. Das hat der GDL-Bundesvorsitzende und sein ihm unterstellter GDL-Hauptvorstand ... Das wurde unterlassen. Und dieses jetzt quasi mit einem Erzwingungsstreik zu fordern, das kritisieren viele Mitglieder vor Ort an ihrem GDL-Bundesvorsitzenden.
    Auslöser zur Gründung der Initiative
    Heuer: Hat Klaus Weselsky also weniger die Interessen der Belegschaft im Sinn als seine eigenen politischen Machtstrategien?
    Siewke: Das würde ich so sehen, jawohl, das würde ich so sehen.
    Heuer: Ist er dann ein guter Gewerkschaftschef?
    Siewke: Ich denke, ein gewisses Maß an Autorität gehört immer dazu, ein exponiertes Amt zu bekleiden, gar keine Frage. Aber wichtig ist genauso, dass man sich an Grundwerten orientiert, in diesem konkreten Fall an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die in der GDL, die eine sehr, sehr lange Tradition gerade auf der Basis dieser genannten Werte hat, im Augenblick in Verlust geraten sind. Und das war auch der Auslöser zur Gründung unserer Initiative.
    Heuer: Herr Siewke, das formulieren Sie sehr diplomatisch. Ich versuche, das noch mal zuzuspitzen: Finden Sie, Klaus Weselsky müsse zurücktreten?
    Siewke: Unbedingt. Es gibt auch Forderungen schon seit Monaten, die auch öffentlich erhoben worden sind, nicht nur von unserer Initiative, es gibt auch zahlreiche Zuschriften, die wir bekommen von Mitgliedern aus allen Regionen, die eben auch diese Forderung erheben.
    Heuer: Das heißt, die GDL hat einen Vorsitzenden, den sie gar nicht will?
    Siewke: Ich kann nicht für die GDL sprechen, ich spreche jetzt für die Initiative, und es ist festzustellen, dass die Forderung der Initiative InDemoRe zum Rücktritt des Bundesvorsitzenden Weselsky einen gewissen Widerhall findet in der Mitgliedschaft. Ich vermag, aber nicht zu sagen, dass es die Mehrheit ist, die das fordert.
    Heuer: Sie sind ein Mann der Praxis, da redet man ja auch mal mit den Kollegen Zugbegleitern, mit dem Bordpersonal und anderen, die Klaus Weselsky jetzt unbedingt vertreten möchte. Wie finden die denn diese Idee, dass Klaus Weselsky sich ihrer Sache annimmt?
    Siewke: Es gibt in diesen Berufsgruppen Mitglieder in der GDL, aber eben nicht mehrheitlich.
    Heuer: Steht das fest, Herr Siewke? Auch das ist ja umstritten, wer die meisten Zugbegleiter vertritt: die GDL oder die Eisenbahnergewerkschaft.
    Siewke: Na ja, man darf die dritte Gruppe nicht außer Acht lassen, nämlich die nicht zu unterschätzende Gruppe der Nicht-Organisierten. Letztlich kann man das -, ähnlich wie es ja 2007, 2008 in dem damaligen Tarifkonflikt schon praktiziert wurde, seinerzeit war es ja das Moderationsverfahren mit Geißler und Biedenkopf –, kann man das [Anmerkung der Redaktion: unverständliches Wort] klären. Die GDL hat sich meines Wissens skeptisch bislang dazu geäußert, also das Verfahren zu akzeptieren. Nur eins ist klar: Sollte es tatsächlich eines Tages konkurrierende Tarifverträge geben innerhalb einer Berufsgruppe, dann müssten sich ja die Mitarbeiter zu ihrer jeweiligen Gewerkschaft bekennen, dann müsste es ja dargelegt werden, welcher Beschäftigte in welcher Organisation vertreten ist, um dann auch die Anwendung des jeweiligen Tarifvertrages zuordnen zu können. Das ist also eine schwierige Sache.
    "Belegschaft auch ein Stück weit unkritisch"
    Heuer: Herr Siewke, aber dann schrauben wir auch das noch mal auf die Praxis zurück: Wenn Sie mit Angestellten reden, die in der Eisenbahnergewerkschaft, also in der anderen Gewerkschaft organisiert ist, wie finden die dann, dass Klaus Weselsky den Anspruch erhebt, sie zu vertreten?
    Siewke: Es ist nicht so, dass die das schlecht finden. Diejenigen, die in der EVG organisiert sind, sind weiß Gott auch nicht zufrieden mit ihrer Gewerkschaft. Man hört allenthalben auch, dass gesagt wird in diesen Kreisen: Also das, was die GDL macht, das finden wir gar nicht gut, aber die machen überhaupt was. Die EVG macht gefühlt nichts. Das ist vielfach der Tenor in diesen Berufszweigen. Es gibt gelegentlich auch so was, ich möchte es mal Harmoniebedürfnis nennen, dass sie sagen: Hört doch auf, hört doch auf, gebt uns mehr Geld und weniger Arbeitszeit und alles andere hinter den Kulissen interessiert uns nicht. Da ist mithin die Belegschaft auch ein Stück weit unkritisch. Aber das, was mithin jetzt im Augenblick so zum Ausdruck gebracht wird, dass es zu einer Spaltung kommt durch die aus meiner Sicht unsinnigen Streiks der GDL, das muss ich allerdings sagen: Das stelle ich nicht fest.
    Heuer: Uns rennt ein bisschen die Zeit weg, Herr Siewke, deshalb die Bitte um eine kurze Antwort: Wenn die EVG - die verhandelt ja mit der Bahn - mehr Geld und weniger Arbeitszeit für die Belegschaft aushandelt, sagen Sie dann in der GDL: Okay, Deal, wir machen mit und wir hören dann auf zu streiken, auch wenn die EVG das durchgesetzt hat?
    Siewke: Also noch mal: Ich kann nicht für die GDL sprechen. Ich möchte auch nicht für die GDL sprechen.
    Heuer: Ich frage Sie persönlich.
    Siewke: Ich bin da skeptisch. Ich glaube nicht, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Berufszweigen so denken und so handeln würden.
    Heuer: Volker Siewke, Sprecher der Initiative für mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der GDL. Herr Siewke, vielen Dank für das Interview!
    Siewke: Ich danke Ihnen!
    Heuer: Guten Tag!
    Siewke: Guten Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.