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Bahnstreik-Wochenende
Unfreiwillige Entschleunigung

Der Bahnstreik am Wochenende hat viele Reisende aufgehalten. In Nordrhein-Westfalen waren vor allem Fußballfans betroffen. Besser voran kam man mit Privatbahnen oder dem Auto. Es gab aber auch Bahnreisende, die den Streik gar nicht bemerkten.

Von Thielko Grieß | 20.10.2014
    Ein Mann sitzt am 18.10.2014 in München (Bayern) am Hauptbahnhof an einen Bahnsteig auf seinem Koffer.
    Stillstand: Viele Reisende blieben am Bahnhof sitzen. (picture-alliance / dpa / Tobias Hase)
    "Darf's für Sie ein Wasser oder ein Kaffee sein?" fragt die Bahn-Mitarbeiterin umsorgend von der Seite, ihre Frage stellt sie jedem in der Warteschlange vor dem Informationsschalter im Hauptbahnhof Köln. Mittendrin stehen zwei Frauen, die gerade wichtigere Fragen im Kopf haben als Kaffee mit Zucker oder Milch.
    "Wir wollen nach Solingen. Einfach nur nach Solingen.
    Köln-Solingen - was sonst in 20 Minuten erledigt ist, liegt an diesem Wochenende in weiter Ferne.
    "Wir haben hier verschiedene Möglichkeiten, aber sehen immer: Zug fällt aus."
    In Solingen wartet die Studienfreundin von früher.
    "Und das ist ewig lange ausgemacht..."
    Die beiden schieben sich und ihre Rollköfferchen Schritt um Schritt vor, bis sie dran sind. Es dauert drei Minuten, dann haben sie einen Zettel bekommen:
    "Wir können jetzt innerhalb einer Stunde und 40 Minuten nach Remscheid fahren."
    Bis der fährt, gönnen sie sich doch noch den Gratis-Kaffee von der Bahn...
    Bahnpassagiere drängen auf die Autobahn
    Eigentlich müssten um diese Zeit von den Gleisen tausende schwarz-gelbe Trikots in die Stadt strömen. Dortmunder Fans, die ihren BVB zum Auswärtsspiel gegen den 1. FC Köln begleiten. Aber heute ist nur ab und zu ein Dortmunder Tupfer zu sehen. Detlev Keil zum Beispiel.
    "Ich bin mit dem Auto angereist, weil ich wollte eigentlich mit dem Zug fahren - weil die GDL streikt und damit müssen wir leben."
    Sein Wagen steht jetzt auf einem Park-and-Ride-Parkplatz.
    "Bin gut durchgekommen. Ungefähr eine Stunde Anfahrt."
    Ziemlich gut für nordrhein-westfälische Verhältnisse - zumal an diesem Wochenende, an dem zusätzlich Bahnpassagiere auf die Autobahn drängen und die Herbstferien enden.
    Mit nur wenigen anderen, aber dafür eingesungenen schwarz-gelben Fans steigt Detlev Keil in die U-Bahn ein. Sie schaffen es, wie alle, pünktlich zum Anpfiff ins Stadion.
    "Wir gewinnen natürlich. 3 zu 1."
    Nicht ganz. Schwarz-Gelb verliert, die Punkte bleiben in Köln. Das ist aber das Einzige, was für den Borussen heute schief läuft.
    Einen so stillen Sonntag erlebt Boppard am Mittelrhein sonst nie. Der Strom windet sich hier in hübschen Schleifen, aber das Tal ist eng. Die Häuser der Stadt stehen dicht gedrängt zwischen den steilen Hängen und dem Ufer, mittendurch führen Bahngleise, sowohl links- als auch rechtsrheinisch, sie zählen zu den meistbefahrenen Trassen im Güterverkehr mit viel Lärm - jedenfalls sonst.
    "Also wir bemerken die Güterzüge gar nicht mehr," sagt Jürgen Ehses, alteingesessen in Boppard und trainiert im Weghören.
    "Es fällt schon auf, dass etwas fehlt, aber dass jetzt speziell weniger Krach ist, ist mir gar nicht aufgefallen. Also, wenn ich nicht gelesen hätte, dass Streik wäre und kein Zug fährt, ich hätte es nicht mitbekommen."
    "Streik? Nicht, dass ich wüsste"
    Der Bahnhof liegt in der warmen Oktobersonne wie eine Filmkulisse während der Drehpause. Nichts rührt sich.
    Bis dann doch ein kleiner Zug einfährt, die Hunsrückbahn aus Emmelshausen. Einige Wanderer und ein paar Fahrradfahrer steigen aus. Und ein älterer Herr mit Schnauzer und grünem Cappy.
    "Absolutely beautiful! Delighted, wonderful sunshine."
    "Wunderschön - vor allem bei diesem Wetter!" ist Roger Hefferer ganz begeistert. Er und seine Frau sind Touristen und kommen aus Plymouth in England.
    "We had a fantastic day..."
    "Wir hatten einen fantastischen Tag, leckeres italienisches Essen – und jetzt sind wir zurück und machen eine Siesta." Streik bei der Deutschen Bahn? Nicht, dass er wüsste!
    "I didn't know there was a strike going on on the trains."
    Die Hunsrückbahn, die Roger Hefferer erst zum guten Italiener und dann zurück zur Siesta gebracht hat, ist eine Privatbahn - sie fährt wie gehabt. Also: Warme Sonne, der Rhein - und dann auch noch der Zug, der fährt. Der Engländer schwärmt:
    "We love it - the Rhine is like a magnet. The heart of Europe!"
    Das Herz Europas, es hat auch an diesem Wochenende geschlagen, nur etwas leiser und seltener.