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Bahr: " Wir dürfen nicht weiter den Weg in eine Staatsmedizin gehen"

Nur noch Frau Schmidt und Frau Merkel verteidigten den umstrittenen Gesundheitsfonds, moniert der gesundheitspolitische Sprecher der FDP, Daniel Bahr. Er sei ein enormes Haushaltsrisiko, verhindere den Wettbewerb und erzeuge mit dem Risikostrukturausgleich ein "ungeheuer aufwendiges" Verfahren.

Daniel Bahr im Gespräch mit Gerd Breker | 29.12.2008
    Gerd Breker: Kurz vor der Einführung des Gesundheitsfonds reißt die Kritik der Krankenkassen an diesem Fonds einfach nicht ab. Er löse keine Probleme in der Gesundheitsversorgung, sagte etwa der künftige Vorsitzende des AOK-Bundesverbandes Herbert Reichelt heute Morgen im Deutschlandfunk. Mit dem Start des Gesundheitsfonds zum 01. Januar gilt für alle gesetzlichen Kassen ein einheitlicher Beitragssatz von 15,5 Prozent. Die Beiträge werden künftig im Gesundheitsfonds gesammelt und zusammen mit einem Bundeszuschuss anschließend an die Kassen verteilt.
    Am Telefon bin ich nun verbunden mit Daniel Bahr. Er ist der gesundheitspolitische Sprecher der FDP. Guten Tag, Herr Bahr.

    Daniel Bahr: Guten Tag, Herr Breker. Ich grüße Sie.

    Breker: Herr Bahr, ein klares Wort. Ist der Gesundheitsfonds unterfinanziert, ja oder nein?

    Bahr: Keiner kann seriös im Moment abschätzen, wie sich nächstes Jahr wirtschafts- und finanzpolitisch auswirkt, aber es ist so, dass der Gesundheitsfonds ein enormes Haushaltsrisiko ist. Für den Bundeshaushalt bedeutet das, wenn der Beitragssatz mit 15,5 Prozent kalkuliert eben nicht ausreicht, dass der Bundesfinanzminister aus Steuergeldern Zuschüsse leisten muss. Frau Schmidt hat wochenlang dieses Haushaltsrisiko geleugnet. Sie hat gesagt, der Fonds stellt kein Risiko dar. Jetzt musste sie ja schon klein beigeben und sagen, dass es 440 Millionen Euro bei einer guten Rechnung sind. Das kann auch noch schlimmer kommen. Also insofern kann keiner im Moment sagen, wie die Finanzsituation auch des Gesundheitsfonds im nächsten Jahr wirklich aussieht. Das kann ein großes Problem damit auch für das Gesundheitswesen werden.

    Breker: Und die Situation könnte dramatischer werden, wenn man denn den Sonderbeitrag auch noch streichen würde.

    Bahr: Das auf jeden Fall. 0,9 Prozent streichen, das würde bedeuten, dass etwa neun Milliarden Euro fehlen. Die müssen entweder dann aus Steuergeldern zukommen, oder es müsste der Beitragssatz noch weiter steigen. Mein Eindruck, Herr Breker, ist, dass die Koalition mit der Diskussion über diesen Sonderbeitrag von ihrem eigentlichen Fehler ablenken will, nämlich dem deutlichen Anstieg der Lohnzusatzkosten durch die Krankenkassenbeiträge. Wir haben ja in dieser Legislatur einen Anstieg von 14,2 Prozent (das war der Durchschnittsbeitragssatz Anfang der Legislaturperiode) auf jetzt 15,5 Prozent erlebt. Das heißt 1,3 Prozent Lohnzusatzkostenanstieg. Wenn jetzt der Sonderbeitrag gestrichen werden soll, ist das meiner Meinung nach eine Ablenkung von diesem verfehlten Anstieg auf einen Rekordbeitragssatz. Zu zahlen haben das die Versicherten und die Bürgerinnen und Bürger, und das jetzt in einer Zeit, in der es wirtschaftlich wieder kritischer wird. Das ist natürlich kein Konjunkturprogramm, sondern eine Belastung des Arbeitsmarktes. Deswegen sage ich, falls diese Streichung des Sonderbeitrages wirklich diskutiert wird, darf das nicht zu einem Insgesamtanstieg der Lohnzusatzkosten führen. Die sind schon auf Rekordniveau; die dürfen nicht weiter steigen. Das würde die schwächelnde Konjunktur nur noch mehr schwächen und könnte zu weiter steigender Arbeitslosigkeit führen.

    Breker: Herr Bahr, Sie waren und sind ein Gegner dieses Gesundheitsfonds. Die FDP würde ihn am liebsten so schnell wie möglich wieder abschaffen. So können wir Ihren Kollegen Stefan Romberg zitieren. Ist das richtig, auch Ihre Meinung?

    Bahr: Das ist unser aller Meinung in der FDP. Wir haben seit zweieinhalb Jahren immer vor diesem Gesundheitsfonds gewarnt. Wir haben mehrfach versucht, im letzten Jahr noch diesen Fonds zu verhindern. Es ist ja auch nicht so, dass viele in der Koalition wirklich glücklich mit dem Fonds sind. Man hält es hinter vorgehaltener Hand. Es gibt genügend öffentliche Stimmen, wo sich eigentlich alle von diesem Gesundheitsfonds distanzieren. Es ist wirklich nur noch Frau Schmidt und Frau Merkel, die ihn verteidigen. In den Koalitionsfraktionen ist die Ablehnung genauso groß.
    Unsere Hauptkritik war immer, das ist ein Weg in ein staatliches und zentralistisches Gesundheitswesen, weil die Politik, die Regierung jetzt immer entscheidet, wie viel Geld steht dem Gesundheitswesen zur Verfügung. Die Regierung entscheidet jedes Jahr, wie hoch soll ein solcher Einheitsbeitragssatz für alle Krankenkassen gleich sein, und damit entscheiden sie letztlich, wie viel Geld dem Gesundheitswesen zur Verfügung steht. Das nennen wir Gesundheit nach Zuteilung und Kassenlage, und genau diese Diskussion erleben wir ja jetzt im Zuge des Konjunkturpaketes wieder: Darf es ein bisschen mehr, soll es ein bisschen weniger sein. Zusätzlich wird nun über den Fonds noch ein enormer Bürokratie- und Verwaltungsaufwand aufgebaut, der eigentlich nicht nötig gewesen wäre und der in der Tat auch nicht die Probleme löst, vor denen wir im Gesundheitswesen stehen.

    Breker: Wenn ich Ihren Kollegen Stefan Romberg weiter zitieren darf, Herr Bahr. Er sagt, bei einem Bundestagswahlerfolg werde der Gesundheitsfonds beziehungsweise dessen Abschaffung ein ganz zentraler Punkt der Koalitionsverhandlungen mit der Union werden. Findet das Ihre Unterstützung?

    Bahr: Das auf jeden Fall. Ich kann auch schon auf ein Beispiel verweisen. Wir hatten ja im September die bayerischen Landtagswahlen und da hat auch die bayerische FDP gesagt, mit dem Ziel, den Gesundheitsfonds noch zu verhindern beziehungsweise abzuschaffen, gehen wir in die Koalitionsverhandlungen hinein. Immerhin ist es uns gelungen, weil es war ja wenig Zeit, nur noch bis zum 31. 12., dass die bayerische Staatsregierung im nächsten Jahr voraussichtlich eine Bundesratsinitiative einbringen wird, diesen Gesundheitsfonds wieder rückgängig zu machen oder mindestens zu korrigieren, weil sich die Folgewirkungen dann deutlich werden lassen. Das bedeutet auch für uns für die Bundestagswahl ganz klar: Wir gehen mit dem Ziel herein, dass Gesundheitsfonds und die anderen Punkte der Gesundheitsreform möglichst wieder rückgängig gemacht werden sollen. Wir dürfen nicht weiter den Weg in eine Staatsmedizin, in ein staatliches Gesundheitswesen gehen, sondern wir müssen auf Eigenverantwortung, auf wirklichen Wettbewerb setzen, und der Wettbewerb wird im Moment zwischen den Krankenkassen kaputt gemacht. Wenn es einen Einheitsbeitrag für alle Krankenkassen gleich gibt, kann der Bürger eben nicht mehr unterscheiden, in welche Krankenkasse geht er, und vergleicht dabei den Preis und die Leistung, die er bei der Krankenkasse bekommt. Das muss aber das Ziel sein. Wir brauchen einen wirklichen fairen Wettbewerb zwischen Krankenkassen um bessere Versorgung, innovative Tarife, und wir müssen an die Eigenverantwortung der Versicherten appellieren. All das verhindert der Gesundheitsfonds. Deswegen muss er wieder rückgängig gemacht werden.

    Breker: Wird das denn, Herr Bahr, um es zu konkretisieren, ein Wunsch, möglichst ihn wieder abzuschaffen, oder wird das eine conditio sine qua non?

    Bahr: Das ist das Ziel. Genauso wie Guido Westerwelle gesagt hat, dass er keinen Koalitionsvertrag unterschreibt, wenn dort nicht ein einfacheres und niedrigeres Steuersystem drin ist, ist auch für uns die Gesundheitspolitik eines der Spitzenthemen im Wahlkampf. Auch wir werden sagen, der Gesundheitsfonds wird so nicht bleiben können und muss, so ist unser Ziel, wieder rückgängig gemacht werden. Wichtig ist ja: Was sind die Punkte beim Gesundheitsfonds. Der Einheitskrankenkassenbeitrag ist ein großer Fehler, weil die Politik damit zu viel Einfluss bekommt, der Wettbewerb kaputt gemacht wird. Das Risikostrukturausgleichsverfahren, was in ihrem Beitrag eben ja beschrieben wurde, ist ein ungeheuer aufwendiges, was keiner im Moment abschätzen kann, wie sich das auswirkt. Und die immer weiter zentralistischen Strukturen, die von Frau Schmidt geschaffen worden sind, mit einem "Spitzenverband Bund" und anderen Dingen, all das sind so die drei wichtigen Punkte, die wir wieder rückgängig machen wollen, um als Ziel ein wettbewerbssicheres Gesundheitswesen zu haben, was auf Eigenverantwortung setzt, was den Versicherten die Wahlmöglichkeiten lässt, ihre Krankenkasse nach dem Leistungsangebot und eben auch nach unterschiedlicher Beitragshöhe auswählen zu können. Mit solch einem Ziel gehen wir in die Koalitionsvereinbarungen hinein und da wird sich die Union, das ist meine Einschätzung, auch noch wundern, denn sie hat sich in der Gesundheitspolitik von der SPD viel zu häufig über den Tisch ziehen lassen und das muss dringend korrigiert werden, wenn wir die Probleme, vor denen wir im Gesundheitswesen stehen, wirklich anpacken wollen.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der gesundheitspolitische Sprecher der FDP, Daniel Bahr. Herr Bahr, danke für dieses Gespräch.

    Bahr: Vielen Dank, Herr Breker.