Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Balkan-Kontaktgruppe bringt Kriegsgegner an einen Tisch

Nach dreieinhalb Jahren Krieg schlossen die Präsidenten Bosniens, Serbiens und Kroatiens auf amerikanischen Druck hin. Die Vertreter der so genannnten Balkan-Kontaktgruppe legten durch das Dayton-Abkommen den Grundstein für das friedliche Zusammenleben in der Krisenregion. Unter Federführung der USA waren die Konfliktpartner quasi an den Verhandlungstisch gezerrt worden.

Von Norbert Mappes-Niediek | 21.11.2005
    Ein Dank an die Gastgeber, an alle auch, die die Zusammenkunft möglich gemacht haben, ganz wie bei einem beliebigen diplomatischen Termin – mit solchen dürren Worten feierte der bosnische Präsident Alija Izetbegovic die Unterzeichnung des Friedensabkommens von Dayton.

    "Besondere Anerkennung" sprach Izetbegovic dann immerhin noch den Amerikanern aus, dem Volk, dem Kongress und dem Präsidenten. Und allein in dessen Worten, den Worten von Bill Clinton, ließ sich die Bedeutung des Tages ahnen.

    "Indem Sie jetzt Frieden geschlossen haben, haben Sie den Ruf Ihrer Völker erhört: Beendet den Krieg und das Leiden! Gebt unseren Kindern ein normales Leben! Doch an diesem Tag des Friedens hören wir auch die erschütternden Schreie der Opfer, der Kinder, deren Spielplätze durch Bomben in Schlachtfelder verwandelt wurden, der jungen Frauen, die man brutal vergewaltigt hat, und der Männer, die in Massengräbern exekutiert wurden."

    Es waren wirklich die Amerikaner gewesen, die nach dreieinhalb Jahren eines zähen Krieges die Präsidenten Bosniens und seiner beiden Nachbarländer Serbien und Kroatien an den Verhandlungstisch gezerrt und zum Friedensschluss geradezu genötigt hatten. Die Schreie der Opfer hatten der amerikanischen Öffentlichkeit lauter in den Ohren geklungen als den lokalen Politikern.

    Volle drei Wochen, vom 1. bis zum 21. November 1995, hatten die Delegationen ununterbrochen verhandelt - in Klausur, hieß es, aber die Umstände glichen eher einer Gefangenschaft. Die Präsidenten tagten ohne Pressekonferenzen, ohne Handys und ohne Pause auf dem Gelände der Wright-Patterson Airbase nahe der Kleinstadt Dayton im US-Bundesstaat Ohio. Es war ein wüstes Geschacher. Immer wenn im Streit um Territorium und Verkehrswege eine Gemeinde oder ein Dorf den Besitzer gewechselt hatten, wurden sie mit dem Joystick auf dem großen Bildschirm angeklickt und wechselten die Farbe - Szenen, wie man sie nur aus Jalta kannte, wo Stalin und Churchill mit der Zigarre in der Hand ihre Einflusszonen absteckten. Für die ganze zivilisierte Welt ein Ärgernis.

    Nicht für Franjo Tudjman allerdings, den kroatischen Präsidenten und gelernten Historiker, der das Geschehen auf dem Schlachtfeld Bosnien stets wie durch ein umgedrehtes Fernglas betrachtete. Von seiner erhabenen Perspektive mochte Tudjman auch beim Friedensschluss nicht lassen.

    "Dies war eine Krise, die tief liegende Ursachen hatte, und man kann sagen, dass diese Ursachen zurückgehen bis zur Unterzeichnung des Versailler Vertrages, sogar bis zur Teilung des Römischen Reiches hin und dem Zusammenbruch zwischen dem Weströmischen und dem Oströmischen Reich."

    Und die Frivolität dieses Augenblicks, der die Kriegsherren als Friedensstifter erscheinen ließ, war mit Händen zu greifen, als der Dritte im Bunde sprach – Serbiens Präsident Slobodan Milosevic, der einzige der drei, der noch lebt und der einzige auch, der für seine Rolle im Krieg vor Gericht gestellt wurde.

    "Natürlich löst Frieden allein nicht alle Probleme zwischen den Völkern, die in den letzten Jahren im Krieg miteinander lagen. Der Frieden jedoch schafft Bedingungen, um diese Probleme, die auf andere Art und Weise weiter bestehen, zu lösen, und sie zu lösen in zivilisierter, humaner Art und Weise."

    Während die Amerikaner soeben für das Bosnien der Nachkriegszeit eine detaillierte Verfassung durchgedrückt hatten, kündigte Milosevic an, dass der Krieg nun mit friedlichen Mitteln weitergehen würde. Und so geschah es auch: Eine Phase des hinhaltenden Widerstands begann, vor allem, wenn auch nicht nur, der serbischen Seite. Ein hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft zog in Sarajewo ein und bestand hartnäckig auf der Umsetzung des Friedensabkommens. Er kämpft bis heute einen schweren Kampf. Ob es um die Rückkehr der Flüchtlinge geht oder um die Zusammenführung der Armeen, die gegeneinander gekämpft hatten, um die Schaffung einer gemeinsamen Polizei – noch immer sind es die Ausländer, die den widerstrebenden Parteien jede Gemeinsamkeit mühsam abringen müssen. Die Schützengräben in den Köpfen haben sie nicht zuschütten können.