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Ballbach: Unwahrscheinlich, dass Kim Jong Un Nordkorea umkrempelt

Auch nach dem Tod von Kim Jong Il erwarte er keine großen politischen Veränderungen in Nordkorea, sagt der Politikwissenschaftler Eric Ballbach von der FU Berlin. Die generelle Machtstruktur im Land sei die gleiche geblieben, daran werde auch sein Sohn Kim Jong Il vorerst nichts ändern.

Eric Ballbach im Gespräch mit Nadine Lindner | 20.12.2011
    Friedbert Meurer: Kim Jong Un, so heißt der neue Führer, dem die Massen in Nordkorea huldigen sollen. Er ist der drittälteste Sohn des verstorbenen Kim Jong Il und keine 30 Jahre alt. Manche zweifeln deswegen, ob er über genügend Autorität verfügt, zum Beispiel gegenüber den nordkoreanischen Militärs. Das Staatsfernsehen hat ihn gestern als Anführer der koreanischen Revolution gepriesen und im ganzen Land wurde Staatstrauer verordnet. Auch in den USA wird die neue Lage analysiert.

    Wie könnte es also weitergehen nach dem Tod Kim Jong Ils? Korea ist geteilt - der Süden wird von den USA unterstützt, der Norden von China. Nadine Lindner fragte gestern Abend den Politikwissenschaftler Eric Ballbach von der FU Berlin nach den Perspektiven für Nordkorea.

    Eric Ballbach: Die grundlegenden Entwicklungen, die wir heute in Nordkorea beobachtet haben, sind derzeit natürlich noch nicht vollständig abzuschätzen. Aber es lassen sich doch einige Grundlinien hier erkennen, und dazu gehört meines Erachtens, dass sich die grundlegenden politischen Realitäten auf der koreanischen Halbinsel durch den Tot von Kim Jong Il sicherlich nicht verändert haben.

    Nadine Lindner: Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

    Ballbach: Das nordkoreanische Regime, das 1948 ja offiziell ins Leben gerufen wurde, unter Kim Jong-Uns Großvater Kim Il Sung damals, hat seit der Gründung in den späten 40er-Jahren im Grunde genommen sich immer durch eine streng autoritäre Herrschaftsstruktur ausgezeichnet, und daran wird sich eben auch nach dem Tod von Kim Jong Il nur relativ wenig ändern, weil die generelle Machtstruktur in Nordkorea die gleiche geblieben ist. Das System hat nach wie vor keinerlei Erfahrungen im Bereich der Demokratie oder ähnlichem gesammelt, sondern ist nach wie vor eben direkt beeinflusst von dieser historisch gewachsenen autoritären Herrschaftsform, die auch nach wie vor Bestand haben wird.

    Lindner: Das eine sind ja die außenpolitischen Reaktionen beziehungsweise die außenpolitische Dimension, das andere ist ja das, was sich innenpolitisch in Nordkorea eventuell verändern könnte nach dem Tod. Auch wenn über das Land nur sehr, sehr wenig nach außen dringt – was ist Ihnen denn bekannt über die Machtverteilung zwischen der Herrscherfamilie einerseits und zum Beispiel dem Militärapparat auf der anderen Seite?

    Ballbach: Was wir bisher wissen – Sie haben sicherlich recht: Es ist sehr schwierig, in diesen inneren Machtzirkel in Nordkorea tatsächlich hineinzuschauen und sich anzusehen, wie die politische Realität in Nordkorea tatsächlich aussieht. Deshalb sind wir hier auf ziemlich viele Spekulationen auch angewiesen. Nur die ersten Informationen, die wir jetzt bekommen, und auch die Tatsache, dass Nordkorea diese Entwicklung erst zwei Tage später bekanntgegeben hat, sprechen eigentlich erst mal dafür, dass zumindest der Informationsfluss und damit eben auch die generelle Struktur im Regime nach wie vor die Kontrolle über diesen Informationsfluss haben. Wir haben ja gehört, dass nicht mal ausländische Geheimdienste von dieser Entwicklung erfahren haben.

    Lindner: Das gilt ja gerade für die Südkoreaner, die davon ja sehr, sehr überrascht waren, von dieser Entwicklung.

    Ballbach: Genau, da haben Sie sicherlich ganz recht. Und die Tatsache, dass hier zwei Tage verstrichen sind nach einer solch dramatischen Entwicklung, ohne dass man im Ausland davon erfahren hat, zeigt, dass der Informationsfluss eben sehr stark noch kontrolliert wird, nach wie vor. Heute wurde ja auch die über 230 Mann umfassende Liste bekanntgegeben von nordkoreanischer Seite, die an der Trauerfeier teilnehmen werden. Auch hier stand Kim Jong-Un auf Platz eins. Das ist sicherlich jetzt noch kein Indiz für eine tatsächliche politische Macht, aber in den vergangenen zwei Tagen scheint es, keine Unruhen in Nordkorea gegeben zu haben, soweit wir das von außen beobachten konnten und in Erfahrung bringen konnten, und das spricht dafür, dass zumindest kurzfristig erst mal die Stabilität des Regimes erhalten bleibt, weil ja auch potenzielle Machtrivalen Kim Jong Ils an der Stabilität des Regimes letztlich gelegen ist.

    Lindner: Sie hatten ja eben schon mal Kim Jong Un angesprochen. Das ist ja der jüngste Sohn von Kim Jong Il. Und im Gegensatz zu ihm hat der ja durchaus auch Auslandserfahrung. Das heißt, mit Studienaufenthalten in der Schweiz ist er ja schon mal in Berührung gekommen mit einem demokratischen pluralistischen System. Können Sie sich vorstellen, dass diese Erfahrungen sich irgendwie auf die Herrschaftsausübung in seiner Heimat Nordkorea dann auswirken werden?

    Ballbach: Da bin ich eher skeptisch und muss sagen, dass ich da tatsächlich eher skeptisch bin. Was ich gerade schon gesagt hatte: Kim Jong Un mag diese Erfahrungen gemacht haben, aber er ist letzten Endes in ein System in Nordkorea zurückgekehrt, was diese Erfahrungen im Großen nicht gemacht hat. Das heißt, dass es einem Ende 20-Jährigen gelingen wird, dieses politische System umzukrempeln, ist doch eher unwahrscheinlich, zumal man davon ausgehen muss, dass in Nordkorea gerade jetzt nach dem Tod von Kim Jong Il wie gesagt schon noch andere Stimmen und Einflussgruppen mitsprechen werden, die sich aber innerhalb dieses gleichen Systems bewegen und innerhalb dieses Systems muss sich auch Kim Jong Un bewegen, da letzten Endes nur die derzeitigen Strukturen den derzeitigen Machtgruppen auch eine gewisse Art von Sicherheit und Überlebensfähigkeit geben. Und so bin ich da eher skeptisch, dass es zu einer tatsächlich politischen Reform im Land kommen wird.

    Lindner: Innerhalb von Asien hat ja diese Nachricht des Todes sehr große Nervosität ausgelöst. Vor allem zu nennen sind da Südkorea und Japan. Als besonders gefährlich wird ja die mögliche Ausrüstung mit Atomwaffen von Nordkorea angesehen. Welche Auswirkungen oder welche Folgen könnte denn der Tod von Kim Jong Il in diesen Bereichen haben?

    Ballbach: Auch hier sehe ich eher Kontinuitäten als starke Wandlungsprozesse. Die Atomwaffen von Nordkorea sind in erster Linie defensive Maßnahmen. Hier wird auch klar, dass auch wenn Nordkorea diese Technik, die grundsätzliche Technik zur Herstellung von Atomwaffen besitzt, es noch ein weiter Schritt ist, diese so weit zu verkleinern, dass sie entsprechend dann auch auf Trägerraketen passen, und hier sehen wir Nordkorea doch noch ein ganzes Stück von entfernt von dieser Entwicklung. Insofern sind die nordkoreanischen Atomwaffen in der Tat in erster Linie eine Art Versicherung des Regimes zum Systemerhalt, aber in dieser Linie natürlich auch eine Art politisches Mittel, das auch politisch eingesetzt wird. Aber auch hier sehe ich, dass sich die grundlegenden Bedingungen weder in Nordkorea, noch bei den Anrainerstaaten wesentlich verändert haben durch den Tod von Kim Jong Il. Auch weiterhin wird in Nordkorea das Militär eine Rolle spielen, auch weiterhin werden sie aber sehr wahrscheinlich nicht die einzige Einflusskraft bleiben. Wir haben in den vergangenen Jahren schon wieder beobachten können, dass diese Macht des Militärs letzten Endes auch mit der Macht der Partei, der nordkoreanischen Arbeiterpartei, unmittelbar verbunden ist.

    Meurer: Eric Ballbach vom Institut für Koreastudien an der Freien Universität Berlin im Gespräch mit meiner Kollegin Nadine Lindner.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.