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Band Deep Purple
Die Letzten ihrer Art

Nur eine Band ist noch übrig aus der britischen Gründertrias des Heavy Metal: Deep Purple. Nun aber deutet sich ein Abschied an. Die Tour trägt den Titel "The long good-bye", das aktuelle und überraschend starke 20. Studioalbum den Namen "Infinite". Unendlich scheint die Geschichte dieser Rock-Titanen dann doch nicht.

Von Fabian Elsäßer | 11.06.2017
    Fünf Männer mit Musikinstrumenten stehen auf einer bunt beleuchteten Bühne.
    Die britische Hardrock-Band Deep Purple spielte am 1.6.17 ein Konzert in Lille. (dpa/Max Rosereau)
    Diese Sendung können Sie nach Ausstrahlunge sieben Tage online nachhören.
    Musik "Smoke on the water"
    Roger Glover: "People are fascinated by our past because it’s such an illustrious one."
    Neue Riffs und neue Tricks
    Dieses ebenso wunder- wie inzwischen unheilvolle Riff. Die Hälfte davon genügt jedenfalls schon, und jeder weiß, um welche Band es in dieser Stunde gehen wird. Und wer hat diesen Song nicht alles verhunzt. Auch Deep Purple selber. Oder die Bandreste, die 1976 noch unter diesem Namen firmierten. Und haben wir es uns nicht ohnehin allesamt satt gehört? Belassen wir es also dabei und hören uns lieber neue Riffs und neue Tricks dieser nicht tot zu kriegenden Band an.
    Musik "Standing on the top of the world"
    Roger Glover: "Purple is a much a band of jazz as of rock musicians.”
    Musik "All I got is you"
    Nur wie lange wird das noch gehen?
    "Es ist beunruhigend, wenn man öfter zu Beerdigungen als zu Hochzeiten gehen muss. Aber solange wir noch da sind, tun wir es so gut wir können."
    Musik Intro "Time for bedlam"
    Freunde wurden überrascht
    Wenn man nicht mehr viel erwartet, lässt man sich leichter überraschen. Und überrascht durften Deep Purple-Freunde auch sein, als im Dezember 2016 die erste Vorabsingle zum nächsten Studioalbum "Infinite" erschien. "Time for bedlam" beginnt mit einem seltsamen Vorspiel, in dem der einzig wahre Deep Purple-Frontmann Ian Gillan in sakraler Manier über das Böse in der Welt schwadroniert. Danach steigert sich der Song zu einem Orkan, wie ihn die Band schon länger nicht mehr entfesselt hat. Instrumentaler Irrwitz inklusive.
    "Time for bedlam". Zeit fürs Irrenhaus - ein Kommentar aufs Zeitgeschehen? Da macht sich Weltuntergangsstimmung breit. Es wäre nicht das erste Mal, dass Deep Purple-Texte den engen Hardrock-Klischee-Kosmos aus schnellen Frauen und schönen Autos – oder war es umgekehrt? - verlassen. Immerhin haben sie schon 1973 über eine heuchlerische britische Konservative gespottet oder 2003 über den Regulierungswahn der EU. Bassist Roger Glover schränkt das Sendungsbewusstsein allerdings ein.
    Keine Band, die predigt
    "Die Welt ist verrückt im Moment. Und ich glaube schon, dass viele Texte, die Ian und ich schreiben, einen Bezug zu dem haben, was gerade in der Welt passiert. Aber wir waren nie eine Band, die predigt oder einen festen politischen Standpunkt vertritt. Weil wir fünf auch sehr unterschiedliche politische Ansichten haben. Wir sehen uns eher als Beobachter, und überlassen es den Leuten, ihre eigenen Schlüsse zu ziehen."
    "Time for bedlam" ist auch der Eröffnungssong des je nach Sichtweise schon oder doch erst zwanzigsten Albums der Hardrock-Instanz. Die Visitenkarte. Das sei ein "Instant Classic", auf Anhieb ein Klassiker, jubelten manche Exegeten.
    "Naja, man weiß nicht, wie die Leute darauf reagieren werden. Aber "Instant Classic" - das gefällt mir. Es ist wahrscheinlich die Essenz von Deep Purple, oder? Ein treibender, aufregender Beat. Wir analysieren das nicht so sehr."
    Ab sofort sind Deep Purple allein auf weiter Flur. Die letzten der Hardrock-Gründergeneration. Led Zeppelin hatte sich ja schon 1980 aufgelöst, nach dem einmaligen Reunions-Konzert 2007 sind sie endgültig Geschichte. Und Black Sabbath haben, nachdem sie sich noch mal mit Ozzy Osbourne zusammengerauft haben, nun auch den Deckel draufgenagelt. Vielleicht ist das der Grund, warum es für Deep Purple trotz Dinosaurier-Status so gut läuft. Als Live-Band spielen sie seit zehn Jahren sowieso in großen bis sehr großen Hallen. Inzwischen steigen aber auch die Album-Absätze wieder, die nach dem Ausstieg von Gitarrist Ritchie Blackmore 1993 im freien Fall waren.
    Musik "A simple Song"
    Exzellente Klänge
    "A simple Song" eröffnete das Album "Now what" aus dem Jahr 2013. Das landete europaweit hoch in den Charts, in Deutschland sogar auf Platz eins. Das war Deep Purple seit Jahrzehnten nicht mehr gelungen. Dabei war "Now what" gar nicht mal so viel besser als die vier Alben davor, die mit Gitarrist Steve Morse entstanden waren: Aber die lange Pause nach "Rapture of the deep" aus dem Jahr 2005 hatte die Fans offenbar wachgerüttelt. Der exzellente Klang von "Now What" tat es möglicherweise auch. Dafür verantwortlich war ein Mann, der fast so lange im Geschäft ist wie seine britischen Kunden: Bob Ezrin.
    Der Kanadier, Jahrgang 1949, hat legendäre Alben produziert oder co-produziert: "The Wall" von Pink Floyd, "Destroyer" von Kiss und das meiste, was Alice Cooper so aufgenommen hat. Und er war nach dem Überraschungserfolg des Vorgängers auch beim 20. Deep Purple-Album "Infinite" federführend.
    Musik "Roadhouse Blues"
    Dabei entstand - etwas überraschend ein Cover des altbekannten Roadhouse Blues von den Doors. Davor sind aber neun neue Songs zu hören, die sich geschmeidig in das Spätwerk der Post-Blackmore - Ära einfügen. Da gibt es hüpfende Riffs, pulsierende Shuffle-Rhythmen, pumpende Bässe, fingerfertige Solo-Ausflüge – und witzige Geschichten. Im Titel "One night in Vegas" schildert Ian Gillan einen Totalabsturz in der Stadt der Glücksritter, der spät in der Nacht in einer Blitz-Hochzeit endet - die dann allerdings, wie schön, 30 Jahre hält.
    Musik "One Night in Vegas"
    "Ich finde, das Schöne an Deep Purple ist unser Sinn für Humor. Die meisten Hardrock-Bands sind sehr ernst – es geht um das jüngste Gericht um Tätowierungen, Leder und Light-Shows. Gar nicht mal so sehr um die Musik, sondern ums Spektakel. Wir haben uns davon manchmal etwas verführen lassen, gebe ich zu. In den 80ern haben wir mit Lasern rumgespielt. Aber wir kamen zum Schluss, dass es bei Deep Purple um die Musik geht."
    Sagt Bassist Roger Glover.
    "Wenn wir schreiben, beginnen wir immer mit der Musik. Wir jammen erstmal herum, und erst, wenn wir die Arrangements zusammen haben, denken wir über den Gesang nach. Wir legen immer ein paar Schreib-Sessions ein, bevor wir ins Studio gehen. Aber meistens ohne Texte oder Melodien. Um die auszutüfteln, treffen Gillan und ich uns dann oft nur zu zweit."
    Hinter den Kulissen einer Rockband
    Deep Purple pflegen eine ziemlich ungewöhnliche Art, Alben aufzunehmen. Das zeigt der Dokumentarfilm "From here to infinite", der zeitgleich zum Album als DVD erschienen ist. Ein Muss für jeden, der gerne mal hinter die Kulissen einer Rockband blicken möchte. Deep Purple ließen den kompletten Produktionsprozess dieses Albums im Studio filmen. Und man sieht: vier Musiker, die jammen und nach Ideen suchen, sie wieder verwerfen. Einen Produzenten, der sie dabei antreibt. Und einen freundlichen Herrn mit Lesebrille, der einfach nur dasitzt und sich Notizen macht. Berge von Notizen. Ian Gillan beobachtet und dokumentiert das Entstehen der Songs für sich, überlegt sich erste Textfragmente. Seine Gesangsaufnahmen macht er erst Wochen später, wenn alle Instrumentalspuren im Kasten sind.
    Vor allem aber sieht man in diesem Film, wie sehr sich Produzent Bob Ezrin auf die Band einlässt – und dass er vor diesen alten Alpha-Bullen des Hardrock überhaupt keine Angst hat. Da sagt er zum Beispiel Keyboarder Don Airey in Gesicht, dass ihm dessen Solo in einem bestimmten Song zu banal ist. Der kratzt sich nur kurz am Kopf und versucht was anderes. Später fällt Ezrin der Oldie "Louie Louie" ein, und er schlägt vor, den einfach leicht zu variieren, als Zitat. Und das Solo dann darauf aufzubauen. Der fertige Song heißt schließlich "Johnny’s Band” und ist dem Vernehmen nach Ian Gillans Lieblingstitel auf diesem Album.
    Musik "Johnny’s Band "
    "Man weiß manchmal gar nicht, wo diese Ideen herkommen. Man fängt einfach an zu schreiben. Dieser Song spielt in den 60ern. Es ist die universal gültige Geschichte einer Band. Vor Jahren, als ich in den Staaten gelebt habe, habe ich regelmäßig VH-One geschaut. Und die hatten diese Serie "Behind the music" über die Geschichten von Bands. Und das war immer dieselbe Geschichte: sie kamen aus dem Nichts, hatten riesigen Erfolg, der stieg ihnen zu Kopf, sie verklagten sich, trennten sich, später dann: Wiedervereinigung - Bäng!"
    Das gilt ja auch für Deep Purple. Es dauerte drei bis vier Alben und diverse Personalumstellungen, bis sie ihren Stil und die perfekte Besetzung gefunden hatten – mit "In Rock" 1970. Danach ging alles ganz schnell -"Smoke on the watet" und so weiter - und 1973 war schon wieder Schluss. Lag es daran, dass das Edwards - Coletta-Management den jungen Musikern einen grässlich dichten Terminplan aufzwang?
    Endlose Monate auf der Straße
    Ritchie Blackmore "Ja, das denken viele. Wir haben damals sehr hart gearbeitet. Es waren endlosen Monate auf der Straße, vor allem in den USA. 1972 haben wir sechs USA – Tourneen gemacht, dann noch eine Japan und dann noch ein Album oder sogar zwei? Es war einfach nur Wahnsinn. Wir waren mental ziemlich ausgelaugt. Ich weiß nicht, vielleicht wäre es sowieso zu Ende gewesen. Ritchie wollte immer mehr die Kontrolle übernehmen und wir waren bis dahin immer eine sehr demokratische Band gewesen."
    Da war er wieder. Ritchie Blackmore. Ein Stinkstiefel vor dem Herrn, wenn man all den Geschichten glauben darf. Aber eben auch einer der ganz Großen seiner Zunft. Ohne ihn wären Deep Purple nie geworden, was sie waren.
    Musik "Bloodsucker"
    "Die Leute sind von unserer Vergangenheit fasziniert, weil sie so schillernd ist und wir so eine seltsame Reise hinter uns haben. Da haben die Leute natürlich einen Haufen Fragen, auf die sie gerne Antworten hätten, manche vielleicht schon seit 20, 30 Jahren. Aber ganz im Ernst: in den 70ern lebten wir nur von einem Tag zum nächsten. Man war immer nur so gut wie die letzte Platte, man machte jedes Jahr eine neue und ging damit auf Tour. Irgendwann sind wir dann auf Tour gegangen, auch wenn wir gerade kein neues Album hatten. Wir sind jetzt eine Live-Band"
    Sagt Bassist Roger Glover. Aber diese Live-Band spielt eben jeden Abend gut zur Hälfte des Konzerts Stücke, an denen Blackmore als Komponist oder Mitspieler beteiligt war.
    In den 70ern sahen viele in ihm den Gegenspieler zu Jimi Page. Wer dabei an "schneller, höher, weiter" dachte, lag falsch, denn das war stets und wird bis in alle Ewigkeit Ritchie Blackmore bleiben. Das Image des bösen Buben hatten sie beide. Und beide zu Recht. Beide waren dem Vernehmen nach wahllose Frauenhelden, beide hatten einen Hang zum Okkulten und zu schwarzen Klamotten – Blackmore zu letzterem noch mehr als Page, passend zum Namen.
    Aber: Page erzählte in seinen Soli im schlechtesten Falle Witze, die ohne Pointe waren, im besten Falle Kurzgeschichten oder ganze Novellen. Immer aber erzählte er. Blackmore hingegen drückte auf seiner Gitarre von Mal zu Mal hastiger, sich selbst überschlagend, nahezu irregeworden, dabei im Ton sehr konstant quasi lautmalerisch ein Gefühl aus: Angst, Unsicherheit, Trauer, Sehnsucht, meistens aber: Wut. Pure Wut.
    Vielleicht haben vor allem deutsche Fans ihn deswegen gottgleich verehrt. Wie nun aber passt sein Nach-Nachfolger Steve Morse in diese Vergleichsanordnung? Gar nicht. Morse ist, so scheint es, ein lieber Kerl, teamfähig und uneitel bis zur Selbstaufgabe, mit grenzenlosen technischen Möglichkeiten. Ein auch in der Praxis in höchstem Maße fähiger Theoretiker. In den 80ern hat er Fusion mit den Dixie Dregs gespielt, Bombast-Rock mit Mainstreameinschlag mit den damals schon waidwunden Kansas, Hochgeschwindigkeits-Instrumentals als Solokünstler. Virtuose ja, aber kein bedingungsloser Rocker. Auch seine Soli sind wahnwitzig, seine Songideen originell, aber das alles ist viel verspielter, heiterer als bei Blackmore. Der Titelsong vom Album "Bananas" aus dem Jahr 2003 ist ein gutes Beispiel.
    Musik "Bananas‘‘
    Mit den Jahren hat Steve Morse sein Spiel auf einen annähernd violinenhaften Gitarrenton verfestigt, der mit einem Übergewicht an Obertönen sich auf längere Distanz schon mal wiederholt und den Hörer ermüden kann. Vor allem aber: Jahrhundert-Riffs wie Blackmore gelingen ihm einfach nicht.
    Dennoch hat er - da sind sich Band und Biographen einig - Deep Purple wieder zu einer glücklichen Gruppe gemacht, was ihm gar nicht hoch genug angerechnet werden kann.
    Eine magische Zeit
    "Wir sind wieder eine demokratische Band geworden. Wir teilen uns alle Urheberrechte, egal, wer eine Idee einbringt. Denn nach unserer Frühzeit haben wir vergessen, dass die Art, wie Ian Paice Schlagzeug spielt, genauso wichtiger Bestandteil des Songschreibens ist wie etwa ein Riff, eine Textzeile oder eine Akkordfolge. Ich glaube, es ist sehr gesund, das so zu tun. Vielleicht ist das nicht für jedes Ego in einer Band gut, aber für die Band an sich. Das machen wir wieder, seit Steve dabei ist. Vielleicht ist das der Grund, warum wir immer noch da sind. Oder zumindest einer der Gründe."
    Ein Schlagzeuger sitzt an seinem Instrument und hält Trommelstöcke in der Hand.
    Schlagzeuger Ian Paice von der britischen Band Deep Purple sitzt am 19.05.2017 in der Olympiahalle in München auf der Bühne. (picture alliance / Sven Hoppe/dpa)
    Anfang 1996 erschien das erste Album mit Steve Morse -"Purpendicular". So schnell gehen zwanzig Jahre ins Land.
    "Als wir mit Purpendicular angefangen haben, begann die ganze Band wieder aufzublühen. Paicey spielte wieder wie früher, sehr natürlich. Jon Lord war ausdrucksstärker, Ian Gillans Schreibe war großartig, und ich wurde über Nacht zu einem anderen Bassisten. Es war eine magische Zeit damals."
    Musik "Losen my strings"
    Den anderen Bassisten, zum der sich Glover damals entwickelt haben will, entdeckt man auf vielen Songs des 1996er - Albums "Purpendicular". Zum Beispiel im eben gehörten Titel "Losen my strings", in dem der Bassmann am Ende jedes Takts so einen kleinen, charmanten flatternden Pralltriller einbaut. Dabei war er schon zu Zeiten der Referenzalben von In Rock bis "Who do we think we are" einer der Großen seiner Instrumentengattung.
    "Man hat es in den Fingern. Vor vielen Jahren sagte ein Gitarrist zu mir: schau mal, ich habe eine Gibson Les Paul und einen Marshall Verstärker, warum klinge ich einfach nicht wie Eric Clapton? Na, weil es an den Fingern liegt, nicht an der Ausrüstung. Aber mein Bass-Sound hat sich über die Jahre schon verändert. In den 70ern, als ich den Rickenbacker benutzt habe, war er etwas schroffer, und ich dachte immer, er sei zu verzerrt.
    Musik "No one came"
    "Ich mochte diese amerikanischen Alben, auf denen man den Bass viel besser als auf den britischen hören konnte. Immer rund und kraftvoll. So wollte ich immer klingen, aber ich tat es nicht. Jahre später habe ich mal Toningenieur gesagt, dass ich meinen Bass-Sound nie leiden konnte, und er sagte: heutzutage würden manche Leute dafür töten! Weil er natürlich klingt und nicht nach Effekten." Im Moment benutze ich auf der Bühne einen Vigier und TCL – Elektronik. Ich habe nicht gerne zu viele Geräte dazwischengeschaltet, weil das Signal dadurch verfälscht wird. Wenn man lauten Hardrock spielt und ein Effektgerät mit Overdrive oder Verzerrung einsetzt, nimmt es sogar etwas weg. Man merkt das nicht, wenn alle zusammenspielen. Aber man ist umso besser hörbar, je direkter und reiner der Klang ist. Ich bin da sehr unkompliziert."
    Dauerhafte und friedliche Besetzung
    20 Jahre währt die Ära Morse jetzt schon. 2002 stieg Gründungsvater John Lord aus, der inzwischen gestorben ist. 2003 kam für ihn Sessions-Profi Don Airey, der die Hammond auf der Bühne nicht minder spektakulär pfeifen und jaulen lässt als sein mythengleicher Vorgänger. Es ist die dauerhafteste und wohl friedlichste Besetzung, die Deep Purple je hatten. Das Werk der Morse-Ära verdient es durchaus, wiederentdeckt zu werden. Sträflich übersehen ist zum Beispiel das Album "Abandon" aus dem Jahr 1998, das zweite mit Steve Morse. Der Opener "Any fule kno that" erfüllt alle Ansprüche an einen Purple-Klassiker.
    Musik "Any fule kno that"
    Trotzdem findet "Any fule kno that", findet das ganze Abandon-Album, ach eigentlich die meisten der Alben der Morse-Ära in den jüngsten Live-Programmen statt.
    "Es ist ziemlich anspruchsvolle Musik, vor allem in unserem Alter. Und besonders für Ian Gillan. Der Sänger ist immer der Typ, der am härtesten arbeitet, mit Ausnahme vielleicht noch vom Schlagzeuger, also Ian Paice. Ich würde ihnen ja den Gefallen tun, mal wieder so was wie "Any fule kno that" zu spielen, das ist ein Song, den ich auch sehr mag. Obwohl er für Ian Gillan eine sehr hohe Stimmlage hat. Und wenn man aus so vielen Songs auswählen kann, dann sucht man sich die raus, die sich entweder auszahlen oder sich am leichtesten ins Programm einfügen. Und so ein Programm hat ja auch eine bestimmte Form. Man kann nicht einfach nur zwölf Lieder spielen. Die müssen auch in der richtigen Reihenfolge stehen, um den maximalen Effekt und am Ende einen Höhepunkt zu erreichen. Es geht letzten Endes nur um Sex!"
    Dabei würde man gerne mal etwas anderes hören als diese Handvoll wohlbekannter Klassiker, die seit Jahren die Live-Auftritte von Deep Purple dominieren. Man würde gerne mal was von Bananas oder Abandon hören, vielleicht auch endlich mal "Money talks" von 2005, einen Song, den sie schon damals nicht ins Programm genommen haben.
    Musik "Money talks"
    "In den USA gelten wir als Classic Rock Band. Und die hat gefälligst keine neue Musik zu machen. Diese Alben waren nicht schlecht, ich mag viele Songs davon. Aber es dauerte eine ganze Weile, bis Steve Morse akzeptiert wurde, eigentlich die ganze Band – also ohne Ritchie. Abandon verkaufte sich nicht gut, Bananas, Purpendicular, Rapture – sie waren jedenfalls keine Riesenerfolge. Erst als "Now what" herauskam, haben wir zum ersten Mal seit fast 30 Jahren ansatzweise so etwas wie die Spitze der Charts gesehen. Das gilt jetzt nicht für die Hardcore-Fans, die kennen alles. Aber der Durchschnittsfan kennt "Abandon" oder "Rapture" eben nicht."
    Ach ja, der US-Markt. Die ersten Alben mit Steve Morse erreichten nicht mal die Top 200. Und auch "Now what" von 2013 und das im Rest der Welt so erfolgreiche "Infinite" verendeten jämmerlich im dreistelligen Charts-Bereich, irgendwo knapp vor der ohnehin nicht besonders hohen 100er-Hürde.
    Also hört man sich halt zum x-ten Mal "Lazy" oder "Space trucking" an und achtet ein bisschen genauer auf die Tagesform und Laune dieser nach wie vor risikofreudigen Band
    "Purple ist eine Band mit genauso vielen Jazzmusikern wie Rockmusikern. Die wollen spielen! Es ist sehr schwierig, Steve oder Don dazu zu bringen, zwei Mal dasselbe zu spielen, weil sie ständig improvisieren. Sogar ich habe bei "Smoke on the water" wahrscheinlich jeden Abend andere Bass-Figuren. Ich denke da nicht drüber nach, das passiert einfach aus dem Moment heraus. Man spielt einfach, wonach einem ist, dadurch bleibt es frisch."
    In der Post-Blackmore-Ära haben Deep Purple inzwischen mehr Konzerte gegeben als mit dem Mann in Schwarz, trotz des irrsinnigen Arbeitspensums in den 70er Jahren. Purple ist eine Live-Attraktion geblieben, auch wenn Ian Gillans Stimme schwächer und schwächer wird. Wie lange kann das noch gehen? Die DVD "From here to infinite” gibt da keinen sehr heiteren Ausblick. Das Problem ist nämlich zurzeit nicht Gillan, sondern Morse.
    Zwei Männer sitzen auf einem Podium und lachen.
    Ian Paice (l) und Roger Glover von der Rockband Deep Purple geben am 21.02.2017 in Berlin ein Interview. (picture alliance / Jens Kalaene)
    Gitarrist mit Handproblemen
    Er habe, erzählt der inzwischen 62-Jährige, fast 50 Jahre lang mit gekrümmtem kleinen Finger gespielt, um besser an die Regler der Gitarre zu kommen. Das führt inzwischen zu chronischen Schmerzen, die Morse mühsam mit einer Manschette zu dämpfen versucht. Es ist schon schmerzhaft zuzusehen, wie er sich etwa beim Song "Birds of prey" hochkonzentriert immer weiter und weiter auf dem Griffbrett nach unten arbeitet.
    Musik "Birds of prey"
    Seinen Humor hat Steve Morse aber nicht verloren, wie die Anspielung auf seine nochmal wesentlich älteren Bandkollegen zeigt. Das wären halt Briten. Unkaputtbar. Wenn der Tourbus frontal gerammt würde, wäre er wohl der einzige Tote.
    "What is it with the British? If our bus got it hit in the front, the only fatality would be me! The others would go like: Did you here something? Oh, where’s the tea?”
    Die 2016 begonnene Tour hat die Band "The long goodbye” genannt. Ist das jetzt wirklich das Ende, folgen die letzten ihrer Art dem Beispiel von Black Sabbath? Roger Glover beschwichtigt in seiner netten Onkel-Art:
    "Ich würde schon noch gerne weitermachen. Es ist ja nicht einfach ein Abschied, sondern ein langer Abschied. Es gibt noch viele Orte, an denen wir gerne spielen würden. Wir wissen nicht, ob es das letzte Mal sein wird, aber wir wissen, dass es eines Tages kommen wird. Wir sind alle um die 70. Unsere Gesundheit ist im Moment noch in Ordnung, aber ich viele Freunde, die jünger als ich waren und tot umgefallen sind. Es ist ein beunruhigendes Zeichen, wenn man öfter zu Beerdigungen als zu Hochzeiten gehen muss. Solange wir noch da sind, tun wir es so gut wir können. Aber die Natur nimmt ihren Lauf. Es könnte also 2019 werden - man weiß es nie!"
    Musik "Birds of prey"