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"Banken machen die Parlamente lächerlich"

Der Fraktionsvorsitzende der Linken im Saarland, Oskar Lafontaine, hält das griechische Sparprogramm für grundfalsch. Man dürfe in ökonomischen Krisen nicht bei Rentnern sparen. Stattdessen empfiehlt er, "die Banken an die Leine" zu legen. Diese wälzten ihre Verluste auf den Steuerzahler ab und machten so die Politik lächerlich.

Oskar Lafontaine im Gespräch mit Anne Raith | 22.06.2011
    Anne Raith: Eine gute Nachricht für Griechenland und die ganze EU, so lautet die Reaktion aus Brüssel. Die griechische Regierung kann vorerst weiter regieren, nach der Vertrauensabstimmung in der Nacht. Ob sie weiter sparen kann, das wird sich kommende Woche zeigen, und ob sie weiter sparen soll, darüber wollen wir sprechen mit dem Vorsitzenden der Partei Die Linke im saarländischen Landtag, mit dem ehemaligen Finanzminister Oskar Lafontaine. Einen schönen guten Morgen!

    Oskar Lafontaine: Guten Morgen.

    Raith: Herr Lafontaine, wären Sie ein griechischer Abgeordneter, hätten Sie in der vergangenen Nacht mit Ja oder mit Nein gestimmt?

    Lafontaine: Ich hätte mit Ja gestimmt, denn es wäre nicht verantwortbar, wenn jetzt die Griechen auch noch ihre Regierung destabilisieren und, wenn man so will, dann die ganzen Schwierigkeiten noch erhöhen. Etwas anderes ist die Abstimmung, die in einer Woche kommen soll, über das Sparprogramm. Hier hätte ich mit Nein gestimmt, denn das ist ökonomische Dummheit, die sich seit Langem in allen europäischen Staaten ausgebreitet hat, dass man meint, dann, wenn es ökonomische Schwierigkeiten gibt, muss man Renten kürzen, oder Steuern erhöhen, oder was weiß ich auch immer. Man würgt damit nur die Wirtschaft des betreffenden Landes ab und erhöht die Schulden. Das heißt also, die Programme, die Frau Merkel und andere den Griechen verordnen, erhöhen dort die Schulden. Sie bewirken also das Gegenteil von dem, was eigentlich gewollt ist.

    Raith: Aber sehen Sie denn jetzt in diesem Moment eine Alternative, einen Monat vor einem möglichen Staatsbankrott?

    Lafontaine: Die Alternative kurzfristig ist schwierig. Man muss längerfristig die Ursachen beseitigen, die zu dieser ganzen Krise geführt haben. Das erste, was nicht angegangen wird, ist, dass man die Banken an die Leine legt. Die Banken sind wie das Loch im mexikanischen Golf, als dort eben die Ölkatastrophe war. Solange man dieses Loch nicht stopft, solange man also die Banken nicht stark reguliert, solange wird es immer wieder neue Pakete geben und neue Pakete geben. Sie müssen sich nur einmal vor Augen halten, dass die Banken es geschafft haben, die deutsche Staatsverschuldung in drei Jahren um 300 Milliarden zu erhöhen, das geht immer weiter, und niemand greift ihnen in die Speichen, das heißt niemand stoppt sie. Das ist das Erstaunliche, dass die Politiker in aller Welt, aber auch die Politiker in Deutschland, unfähig sind, die Banken zu kontrollieren. Die Banken machen die Parlamente lächerlich!

    Raith: Aber das ist keine Handlungsanweisung für den Moment, Herr Lafontaine. Was kann jetzt kurzfristig passieren?

    Lafontaine: Ja! Nur man kann eben die Ursachen einer Krankheit nicht beseitigen, wenn man, sage ich, aber die Hauptursache nicht angeht. Kurzfristig ist alles zu tun, dass es zu keinem Finanzcrash kommt, zu einem ungeordneten Finanzcrash, denn dies würde dazu führen, dass überall erhebliche Schwierigkeiten entstehen, nicht nur in Griechenland, sondern auch dann in den anderen schwächeren Ländern "Portugal und Irland", es ginge aber dann weiter mit Spanien. Das könnte dann am Schluss niemand mehr richtig beherrschen. Man muss also an die Ursachen herangehen. Das Erste ist der nicht regulierte Bankensektor, das Zweite ist das deutsche Lohndumping. Das ist ja, was bei uns viel zu wenig bekannt ist, dass wir eben Mitverursacher sind – das heißt diejenigen, die das falsche Lohndumping durchsetzen – an der europäischen Krise. Ich will das erklären. Es gibt zwei Arten von Ländern. Die einen Länder produzieren mehr Waren, als sie selbst verbrauchen. An der Spitze steht Deutschland. Sie häufen daher Überschüsse an, sie häufen daher Geld an. Die anderen Länder wie Griechenland verbrauchen mehr Waren, als sie selbst herstellen, sie häufen daher Schulden an. Das ist der Mechanismus. Wenn man den nicht versteht, wie Frau Merkel, dann macht man immer wieder das Falsche. Diejenigen Länder, die mehr Waren herstellen, als sie selbst verbrauchen, müssen die Löhne stärker erhöhen, und diejenigen Länder, die mehr Waren verbrauchen, als sie selbst herstellen, müssen also mit den Lohnerhöhungen zurückhaltend sein. Das wäre der Ausweg. Früher waren das die Wechselkurse. Was ich jetzt beschrieben habe, konnten früher die Wechselkurse leisten. Griechenland konnte abwerten, die D-Mark hat immer aufgewertet. Das geht jetzt nicht mehr, also muss man den anderen Mechanismus einsetzen. Das nannte Jacques Delors schon vor 20 Jahren eine europäische Wirtschaftsregierung, bis zum heutigen Tag hat man diesen Mechanismus nicht wirklich verstanden.

    Raith: Kurzfristig, Herr Lafontaine, darauf möchte ich noch einmal zurückkommen, hilft das Frau Merkel aber auch nicht. Das heißt, um eine Kettenreaktion, von der Sie zu Beginn gesprochen haben, eine Kettenreaktion, die Portugal, Spanien trifft, zu vermeiden, muss Griechenland jetzt sparen?

    Lafontaine: Nein! Das ist eben grundfalsch. Das ist einer der Irrtümer, die immer wieder vorkommen, wenn es Krisen gibt, dass man sagt, jetzt müssen wir uns aus der Krise heraussparen. Das geht einfach nicht! Das ist eben ein Vorschlag, der gegen die ökonomischen Gesetze gerichtet ist und wer gegen die ökonomischen Gesetze handelt, springt mit dem Kopf gegen die Wand. Das ist zwar eine Zeit lang vielleicht eine flotte Übung, sie führt aber nicht weiter. Wir müssen zusehen, dass Griechenland, Griechenlands Wirtschaft wieder in Gang kommt, dass sie nicht weiter abstürzt, und deshalb ist das Sparprogramm falsch. Was man machen müsste in Griechenland und auch europaweit ist, dass man nicht eben die Rentner zur Kasse bittet oder die Arbeitnehmer mit geringen Löhnen, sondern die Vermögenden. In Griechenland haben 2000 Familien 80 Prozent des Vermögens. Die muss man über eine Vermögensabgabe heranziehen, um die Krise zu bewältigen. Das müsste man europaweit machen. Das ist ja ein Vorschlag, den wir seit Langem machen, der aber leider nicht aufgegriffen wird, weil in den Parlamenten sich merkwürdigerweise, in der sogenannten Volksvertretung, die Meinung festgesetzt hat, man müsse den Rentnern und den Arbeitnehmern das Geld wegnehmen, um die Banken zu retten.

    Raith: Aber ohne Sparpaket gibt es auch keine neue Tranche, und wenn Griechenland nicht sparen muss, wie Sie meinen, braucht es aber doch Geld, um Renten und Gehälter zu zahlen, um zu überleben im Moment.

    Lafontaine: Nun, die Verantwortlichen haben ja in den letzten Tagen doch sehr schnell eingesehen, dass das Drohen mit keiner neuen Tranche, dass das auch nichts löst, denn die Griechen wissen ja genauso gut wie alle diejenigen, die sich ein bisschen auskennen, dass wenn man jetzt Zahlungsunfähigkeit herstellt, dass das auf alle Länder durchschlägt, und insofern ist das eine ziemlich leere Drohung gewesen. Nein, es führt kein Weg daran vorbei, wir brauchen eine geordnete, eine Wirtschaftspolitik, die einen langen Atem hat, und wir müssen die Struktur, die strukturellen Fehler, die müssen wir beseitigen. Ich habe genannt den Bankensektor, das Lohndumping; es muss natürlich auch zu einer geordneten Entschuldung kommen, daran führt kein Weg vorbei. Das geht aber nur auf europäischer Ebene. Ich will einen weiteren Hinweis geben. Als Die Linke vor einigen Jahren Eurobonds vorgeschlagen hat, um das Hochschießen der Zinsen in den schwachen Ländern zu vermeiden, hat der damalige Finanzminister Steinbrück erklärt, das würde also Deutschlands Steuerzahler mit drei Milliarden mehr belasten, das könnte man nicht machen. Auch Frau Merkel hat sich dagegen gewandt. Nun müssen wir zig Milliarden mehr bezahlen. Sie sehen also: Wenn man die Zusammenhänge nicht durchschaut, wenn man eben nicht sieht, dass unsere Fehler letztendlich sich dann auch niederschlagen in unseren neuen Schulden, dann führt das eben zu Fehlentscheidungen, die letztendlich dann beim deutschen Steuerzahler landen.

    Raith: Sie sprechen Herrn Steinbrück an. Der hat jetzt einen Schuldenschnitt gefordert, einen echten Schuldenerlass, sonst würde Griechenland nicht aus seinen Kalamitäten herauskommen. Sehen Sie das ähnlich?

    Lafontaine: Da hat er recht, ja. Die Erkenntnis kommt relativ spät, aber er hat recht. Es ist so, dass der Schuldenschnitt, aber wie gesagt, europaweit und geordnet, vor sich gehen muss.

    Raith: Dennoch sind die Risiken ja nicht absehbar. Einen Schuldenschnitt in einer Währungsunion gab es so noch nicht.

    Lafontaine: Das ist richtig. Die Risiken kann niemand bis auf Punkt und Komma ausrechnen. Aber die Frage ist ja, was ist die Alternative. Es ist offenkundig, dass die Griechen ihre Schulden nicht bezahlen können.

    Raith: Das heißt, dafür würde man das Risiko in Kauf nehmen?

    Lafontaine: Nein! Das ist ja dann die Frage, wie der Schuldenschnitt vonstattengeht, in welchen Zeiträumen er stattfindet. Ich glaube, dass es sehr wohl möglich ist, diese Aufgabe anzugehen, ohne allzu große Verwerfungen zu riskieren. Dazu braucht man eben die Engagements aller Finanzinstitute in den europäischen Staaten. Die privaten Banken bauen ja bereits ihre Risiken ab, indem sie alles dem Staat zuschaufeln, das gilt auch für die Versicherungen, das läuft in allen Ländern. Je länger die Angelegenheit läuft, umso mehr landet dann letztendlich beim Steuerzahler, und deswegen muss ich noch einmal ganz energisch darauf bestehen zu sagen, solange man den Bankensektor nicht an die Leine legt, solange man die nicht wirklich unter Kuratel stellt, ändert sich überhaupt nichts. Die Parlamente werden zu reinen Witzveranstaltungen.

    Raith: Herr Lafontaine, Sie engagieren sich jetzt sehr in dieser Euro-Krise vom Saarland aus. Hören wir Sie auch bald wieder zu diesem Thema auf bundespolitischer Ebene?

    Lafontaine: Ich habe mich immer wieder, wenn ich gefragt wurde, wie jetzt von Ihnen, zu diesen Themen geäußert. Ich bin dankbar, wenn ich die Gelegenheit habe, wie jetzt bei Ihnen, meine Auffassung dazu vorzutragen. Aber wenn Ihre Frage darauf zielt, ob ich neue bundespolitische Ämter anstrebe, dann ist diese Frage überflüssig.

    Raith: Sagt der jetzige Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke im saarländischen Landtag, Oskar Lafontaine. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Lafontaine: Auf Wiederhören!