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Barcelona
Aufstand gegen den Sauftourismus

Von Julia Macher | 08.09.2014
    Sonntag Nachmittag auf dem Marktplatz von Barceloneta. Nur wenige Meter entfernt blitzt blau das Meer, ein paar Touristen in Badehose schlappen in Flip-Flops vorbei. Sehr zum Ärger von Esperanza Solà. Sie sitzt auf einer Bank, deutet mit dem Kinn auf vier blonde Mittzwanzigerinnen, die ihre Rollkoffer über den Asphalt ziehen.
    "Guck mal, die haben sich auch irgendwo eingemietet und werden heute Abend einen drauf machen. Früher wohnten die Leute ins Hotel, aber jetzt kommen halt die jungen Leute mit den Billigfliegern, mieten sich Wohnungen, krakeelen rum und saufen sich ins Koma."
    Die resolute Endsechzigerin ist nicht gut zu sprechen auf die vielen Nord- und Mittteleuropäer, auf die US-Amerikaner und Australier, die seit ein paar Jahren den Charme des ehemaligen Fischerviertels für sich entdecken:
    "Sicher: Seit die Polizei hier Streife fahre, sei es nicht mehr ganz so laut. Gestern Nacht wurde sie nur einmal aus dem Schlaf gerissen, als sich zwei angeheiterte Urlauberinnen in der Haustür irrten. Vielleicht seien aber auch einfach die Ferien zu Ende?"
    Fragt sich Esperanza Solà.
    Klage über illegalen Ferienappartments
    Ein Nachbar kommt vorbei, grüßt mit einem Kopfnicken und gemeinsam beobachten die beiden, wie zwei Motorräder der Stadtpolizei Guardia Urbana langsam den Platz umrunden.
    "Das ist eine Maßnahme für ein paar Tage: Jetzt hält die Polizei sogar Leute an, die ohne T-Shirt rumlaufen. Das ist früher nie passiert. Aber so viel Polizei haben wir gar nicht, als das es von Dauer sein könnte."
    Glaubt Carlos Arena. Das Hauptproblem sei nicht der Lärm, der Dreck oder die Nackten, sondern die illegalen Ferienappartments. Der Sprecher des Nachbarschaftsverein Barceloneta hat ausgerechnet, dass im Viertel zwischen 600 und 1.000 Wohnungen als Appartments vermietet werden. Offiziell gemeldet sind nur 73 Wohnungen.
    "Meistens haben die Agenturen nur ein paar Appartements offiziell registriert, alle anderen Wohnungen sind Piratenappartements. Wer bucht, weiß nicht, welche Wohnung er genau bekommt: Da hier alle Häuser sehr ähnlich geschnitten sind, fällt das auch nicht ins Gewicht. Und dann gibt es Mieter, die ihre eigene Wohnung tageweise untervermieten. Und wer seine Wohnung einmal für vier Tage an Touristen vermietet hat und dafür 200 Euro bekommt, der vermietet sie eben nicht mehr an Einheimische - und die Leute verlassen das Viertel."
    Künftig will die Stadt alle legalen Appartements in einem Gebäude bündeln. Sie hat sechs Beamte abbestellt, die derzeit Wohnung um Wohnung überprüfen. Wer illegal vermietet, bekommt einen Verweis an die Tür geklebt.
    Ein paar Straßen weiter steht ein Mann irritiert vor einem der klassischen schmalen Häuser. Er habe sich hier mit einer jungen Amerikanerin verabredet, aber die sei nicht da - ob es Probleme mit der Polizei gegeben hätte? Die Stadt die Wohnungen versiegelt habe? Anwohner Davíd García schüttelt den Kopf.
    Der Informatiker sitzt auf gepackten Koffern.
    Nachdem er wochenlang vergeblich auf die Reparatur von Klimaanlage und Boiler gedrängt hat, hat der Vermieter ihm jetzt fristlos gekündigt. Vorgeblich wegen Eigenbedarf, vermutlich aber, um das 30 Quadratmeter-Appartement auch an Touristen zu vermieten. Davíd García hat den Fall dem Nachbarschaftsverein gemeldet. Dort stapeln sich die Beschwerden über illegale Vermietungen und Wohnungsmobbing. Denn trotz der stärkeren Kontrollen: Sanktionen hat die Stadt noch keine verhängt.
    Demo: "Barceloneeee-ta! Barceloneee-ta!"
    Tagsdarauf versammeln sich mehrere Tausend Nachbarn auf dem Marktplatz, zur fünften Demo innerhalb von nur zwei Wochen. Esperanza Solà hat ein Pappschild mit der Aufschrift "Ich will schlafen" an einen Besenstiel genagelt, Carlos Arena schiebt ganz vorne, an der Spitze des Zugs, eine Kanone, aus der immer wieder mal ein Böller donnert. Am Straßenrand stehen ein paar Touristen und schießen Erinnerungsfotos.
    Demo: "A por ellos, oéé!"