Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Barocke Klänge in neuem Gewand

Ganz ohne akademisch zu klingen, verbindet die Basler Hochschule für Alte Musik wissenschaftlichen Anspruch und musikalisches Klangerlebnis. In Zusammenarbeit mit dem spanischen Label "Glossa" widmet sie sich mit zwei Produktionen der höfischen Musik der Medici und den Orchesterwerken des italienischen Komponisten Giuseppe Antonio Brescianello.

Von Christiane Lehnigk | 06.02.2011
    Wir stellen Ihnen heute zwei neue Produktionen der Schola Cantorum Basiliensis vor: Musik am Hofe der Medici auf Cristoforis frühem Pianoforte, unter anderem mit Edoardo Torbianelli, sowie Concerti, Sinfonie und Ouvertüre von Giuseppe Antonio Brescianello mit dem La Cetra Barockorchester Basel unter der Leitung des Geigers David Plantier und des Cembalisten Václav Luks. Im Studio begrüßt Sie dazu Christiane Lehnigk.

    Lodovico Giustini di Pistoia
    Gigue, Minuet, aus: Suonata 1 g-Moll für "cimbalo di piano e forte”


    Rund 75 Einspielungen bei verschiedenen Labeln sind seit 1980 von der renommierten Schola Cantorum Basiliensis veröffentlicht worden, um die Arbeitsprojekte einer der bedeutendsten Ausbildungs- und Forschungsstätten für alte Musik vorzustellen und akustisch erlebbar zu machen. Seit vorigem Jahr nun entstand eine feste Kooperation mit dem spanischen Label Glossa, das eine hohe Professionalität garantiert und nun der Aufmachung auch optisch einen einheitlichen Stil gab: Cremefarbener Karton mit schwarz-roten grafischen Mustern, das ist modern und klassisch zugleich. Es gibt jeweils ein viersprachiges Booklet mit erläuternden wissenschaftlichen, aber leicht verständlichen Texten. Wie gewohnt wurde auch bei diesen Einspielungen großer Wert auf einen guten, den Instrumenten angepassten Klang gelegt. Zwei der jüngst erschienenen, ganz unterschiedlichen Programme möchte ich Ihnen hier vorstellen.

    Zu Beginn konnten Sie schon, gespielt von Edoardo Torbianelli, zwei kurze Sätze aus der ersten g-Moll Sonate hören, die Lodovico Giustini di Pistoia für "cimbalo di piano e forte" schrieb. Die zwölf Werke aus Opus eins waren die ersten Stücke, die ausdrücklich für das Instrument geschrieben wurden, das Bartolomeo Cristofori in der Toskana entwickelt hatte. Das Cembalo, traditionelles Continuo und auch Solo-Instrument, hatte Konkurrenz bekommen: Cristofori war ein innovativer Cembalobauer, der viel experimentierte und nach Verbesserungen bei der Anschlagtechnik suchte.

    Wohl bereits Ende des 17. Jahrhunderts muss er dann den ersten Prototyp eines Klavieres mit Hammermechanik fertig gestellt haben, das er "cimbalo piano e forte" nannte. Ein Instrument, mit dem man laut und leise spielen konnte, und das letztlich in einer mehr oder weniger modifizierten Form für 300 Jahre die europäische Kammermusik entscheidend prägen sollte. Diese Hammerklaviere erfreuten sich schon bald großer Beliebtheit und verdrängten das Cembalo immer mehr aus dem Musikleben. Vom Hof der Medicis in Florenz gelangte das Fortepiano dann in der nächsten Generation weiter nach Deutschland, England und auf die iberische Halbinsel.

    Am Hofe des Medici-Fürsten Ferdinando blühte ein reichhaltiges Musikleben, zu dem neben der Kammermusik ebenso die Oper gehörte, das aber auch Unsummen an Kosten verschlang, was schon damals nicht unumstritten war. Es gab einige berühmte Musiker, die seinem Hof direkt verbunden waren. Dazu gehörten, neben seinem Hof- und Kapellmeister und Cembalolehrer Giovanni Maria Pagliardi und dem Hofgeiger Martino Bitti, zum Beispiel auch Giacomo Antonio Perti und Alessandro Scarlatti.
    Die Sopranistin Maria Cristina Kiehr singt hier zwei kleine Ariette von Scarlatti "Datti pace” und "Con la forza”. Sie wird begleitet von dem Flötisten Marc Hantaï und Edoardo Torbianelli am Pianoforte.

    Alessandro Scarlatti
    Arietta "Datti pace" und "Con la forza"


    Neben der Sopranistin Maria Cristina Kiehr, dem Flötisten Marc Hantaï und dem Pianisten Edoardo Torbianelli spielen auf dieser Aufnahme mit Musik um das Fortepiano am Hof des Medici-Fürsten Ferdinando noch die Gambistin Rebeka Rusò, der Lautenist Daniele Caminiti und die Geigerin Chiara Banchini, die Sie hier noch mit einem Ausschnitt aus der vierten, c-Moll Sonate von Francesco Maria Veracini hören können. Es begleitet Edoardo Torbianelli, der wieder auf dem Nachbau eines Cristofori-Hammerflügels von Denzil Wright spielt. Die Sonaten des gebürtigen Florentiner Veracini für Violine oder Flöte sind ein fester Bestandteil des Repertoires in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und vermitteln hier, im Zusammenspiel mit dem Pianoforte ganz neue Klangzusammenstellungen.

    Francesco Maria Veracini
    Allegro, aus: Sonate quarta, Allegro


    Dies war ein Ausschnitt aus der CD "Piano e forte" mit Chiara Banchini und Edoardo Torbianelli.

    Eine weitere gerade bei Glossa erschienene CD der Schola Cantorum Basiliensis widmet sich erstmals in einer Veröffentlichung ganz dem Komponisten Giuseppe Antonio Brescianello. Das "La Cetra Barockorchester Basel" besteht schon seit 1999 und gründete sich aus Absolventen und Musikern im Umkreis der Schola Cantorum. Auch dieses Projekt entstand in intensiver Zusammenarbeit mit der Forschungsabteilung der Schola und demonstriert einmal mehr, welch ideale Verbindung Wissenschaft und praktizierte Musik eingehen können, und dass es dabei so gar nicht akademisch klingen muss.

    Giuseppe Antonio Brescianello
    Ouverture g-Moll, Rigaudon


    Die Leitung bei dieser Einspielung von Concerti, Sinfonie und einer Ouverture von Giuseppe Antonio Brescianello teilen sich der Geiger und Konzertmeister David Plantier und der Cembalist Václav Luks. Des Repertoire des La Cetra Barockorchester Basel reicht vom frühen 17. Jahrhundert bis zu den großen sinfonischen Werken des 19. Jahrhunderts. Seit 2009 zeichnet Andrea Marcon als künstlerischer Leiter verantwortlich. Diese Aufnahme mit Werken von Brescianello ist allerdings schon ein wenig älter, sie entstand 2002. Seitdem hat sich das Spiel des sich immer wieder verjüngenden Ensembles noch weiter perfektioniert.

    Brescianello, ein jüngerer Zeitgenosse von Telemann, Bach, Händel und Rameau, war lange Zeit als württembergischer Hofkapellmeister tätig und gehörte mit zu den tonangebenden italienischen Musikern, die die Musiksprache zu Beginn des 18. Jahrhunderts prägten. Viel hat sich von ihm nicht erhalten können, gerade mal eine Opera pastorale, "Tisbe", und ansonsten vor allem Kammermusik und Orchesterwerke und eine einzige Veröffentlichung von 1738 mit dem Titel "Concerti e Sinphonie op.1". Brescianellos Stil ist eine interessante Mischung aus älteren und neueren Elementen, aus italienischer und französischer Tradition, vital und melodisch zugleich, mit einem guten Gespür für einen ausgewogenen Orchesterklang.

    Giuseppe Antonio Brescianello kam aus Venedig und verdingte sich zunächst als Geiger am Hof des bayerischen Kurfürsten Max Emanuel in München und ging dann 1716 an den württembergischen Hof von Herzog Eberhard Ludwig nach Stuttgart. Dort wurde er als Nachfolger von Johann Christoph Pez "musique directeur" und "maitre des concerts de la chambre". Sein Konkurrent Reinhard Keiser versuchte den "verfluchten Welschen" aus dem Amt zu drängen, hatte aber keinen Erfolg damit. Erst im Jahre 1731 erhielt Brescianello den Titel des "Rath und Oberkapellmeister".

    Die Stuttgarter Hofkapelle war mit zeitweise über 60 Musikern sehr üppig besetzt, musste aber dann nach dem Tod des Regenten Karl Alexander 1737 aufgrund der inzwischen leeren Kassen drastisch reduziert werden, und auch Brescianello verlor im Zuge dessen seine Position. 1744 mit der Regentschaft von Karl Eugen konnte er wieder sein früheres Amt übernehmen und wurde schließlich sieben Jahre später pensioniert.

    Das, was seine Musik so interessant macht, sind die verschiedenen Stilformen, die er ausgehend von der venezianischen Tradition vermischt. Es gibt viele Anklänge an Vivaldi, virtuose Partien für verschiedenartige Solo-Instrumente ebenso Deutsches und Französisches. Es ist ein geradezu europäischer Stil, der nicht in Schemata verhaftet ist. Und seine Sinfonien sind frühe Zeugnisse für die spätere Form der "klassischen Sinfonie".

    Das La Cetra Barockorchester Basel spielt diese Musik beschwingt, leicht und mit einer großen Bandbreite an barockem Ausdrucksvermögen. Die Orchestermusik von Giuseppe Antonio Brescianello ist eine wahre Entdeckung!

    Giuseppe Antonio Brescianello
    Concerto e-moll, Allegro


    Die Neue Platte im Deutschlandfunk, heute stellten wir Ihnen zwei Veröffentlichungen der Schola Cantorum Basiliensis mit dem Label Glossa vor, die jetzt im Vertrieb von "note1" erschienen sind: Musik am Hofe der Medici auf Cristoforis frühem Pianoforte um 1730 sowie Orchesterwerke von Giuseppe Antonio Brescianello mit dem La Cetra Barockorchester Basel unter der Leitung von David Plantier und Václav Luks. Im Studio verabschiedet sich mit Dank fürs Zuhören Christiane Lehnigk.

    Vorgestellte CDs:

    Piano e forte - Music at the Medici Court on Cristofori’s early pianoforte
    Label: Glossa/Schola Cantorum

    Giuseppe Antonio Brescianello, La Cetra Barockorchester Basel
    Label: Glossa/Schola Cantorum