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Barocke Opernrarität
Händels "Ottone - Re di Germania"

Max Emanuel Cencic hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein barockes Opernrepertoire neu zu entdecken und zu produzieren, bei dem nicht nur Countertenöre brillieren können, sondern das ganze Ensemble miteinander harmoniert und Spitzenmusiker vereint. "Ottone" ist eine weitere Erfolgsgeschichte.

13.08.2017
    Musik: G. F. Händel, aus: Ottone: Ouvertüre (Gavotte)
    Mit einer für ihn typischen Ouvertüre beginnt Händel sein "Dramma per musica" in drei Akten "Ottone", das sich mit einem Ausschnitt aus dem Leben des deutschen Königs Otto beschäftigt. Eigentlich wird hier schon deutlich, dass man weniger offensichtliches Drama geboten bekommt als ausgiebige Seelenschilderungen, eher melodische, innige elegante Arien als publikumswirksames musikalisches Feuerwerk. Dabei bietet das Thema genug an den üblichen Verwicklungen um Liebe und Macht. Im Zentrum steht der spätere Kaiser Otto II., der 972 die byzantinische Prinzessin Theophanu heiratete, um das Westreich und Byzanz zusammen zu führen. Doch der gesamte Tenor der Oper ist eher zurückgenommen, dass das dann aber nicht langweilig wird, dafür sorgen die überragenden Sängerinnen und Sänger, die diese Produktion von Parnassus Arts Productions und dem Ensemble Il Pomo d'Oro wieder einmal auszeichnet.
    Kapriziöse Sänger verlangten nach Bravour-Arien
    Nach dem Erfolg des "Arminio" hat sich der Countertenor Max Emanual Cencic hier einer von Händels beliebtesten Opern gewidmet, deren eingängliche Melodien damals wohl auch auf den Straßen von London nach geträllert wurden. Die Uraufführung fand im Rahmen der Royal Academy of Music am 12. Januar 1723 im King's Theatre am Haymarket statt. Dem Werk nach einem Libretto von Nicola Francesco Haym war ein komplizierter Entstehungsprozess vorausgegangen, der vor allem den unterschiedlichen Ansprüchen der italienischen Star-Sängerinnen und -Sängern geschuldet war, die Händel für seine Opernakademie verpflichtet hatte. Berühmtheiten wie der Kastrat "Senesino" alias, Francesco Bernardi, der Bassist Giuseppe Maria Boschi, sowie die Sopranistinnen Margherita Durastanti und Francesca Cuzzoni, galten als Publikumsmagneten, verlangten allerdings auch astronomische Gagen.
    Langsame Debüt-Arie der Primadonna nur nach Gewaltandrohung gesungen
    Die Cuzzoni hatte sich zunächst geweigert, die Debüt-Arie der Teofane in der 3. Szene des 1. Aktes zu singen. Es ist eine langsame und sanfte Arie, in der Teofane ihre Enttäuschung über die Begegnung mit ihrem vermeintlichen zukünftigen Mann ausdrückt, der allerdings in Wahrheit Adelberto ist. Ein schillerndes Bravourstück, auf dem die Cuzzoni bestand, würde hier kaum passen.
    Und so kam es zu der berühmten Anekdote mit dem genervten Komponisten: "Oh Madame, ich weiß sehr gut, dass Sie eine wahre Teufelin sind," so Händel, "aber Sie werden noch sehen, dass ich der Beelzebub, der größte Teufel von allen bin." Und mit diesen Worten soll er sie hochgehoben haben und schwor, er werde sie aus dem Fenster werfen, sollte sie auch nur noch ein weiteres Wort sagen. Es hat offensichtlich geholfen, diese Arie blieb, wie sie war.-
    In dieser neuen Einspielung wird die Teofane von der amerikanischen Mezzo-Sopranistin Lauren Snouffer eindringlich und betörend gesungen, wobei kleine Irritationen entschuldbar sind: "O du falsches Bild / Süße Täuschung, bist vergangen, ich find' Schrecken, finde Bangen, wo im Herzen Freude war.//"
    Musik: G. F. Händel, aus: Ottone. 1. Akt: Aria Teofane "Falsa imagine, m'ingannasti"
    Fiktive Handlung nach historischer Begebenheit
    Georg Friedrich Händels Musikalisches Drama war von Antonio Lottis Oper "Teofane" inspiriert worden, die der inzwischen in England ansässige Komponist in Dresden gesehen hatte. Die fiktive Handlung, die in Rom und Umgebung spielt, beruht auf einer historischen Begebenheit. Der deutsche König und spätere deutsch-römische Kaiser Otto II. möchte seine Macht bis nach Rom und darüber hinaus ausdehnen und bedient sich, ein probates Mittel der damaligen Zeit, der Heiratspolitik. Er hat sich vorgenommen, Teophane zu heiraten, die Tochter des oströmischen Kaisers, die ihren Zukünftigen allerdings bis dahin nur von einem Bild her kennt. Doch Gismonda, die Witwe des vertriebenen italienischen Königs, möchte mit einem Trick ihrem Sohn Adelberto die Herrschaft sichern und lässt ihn als den vermeintlichen Deutschen auftreten. Nun entstehen aus verschiedenen Intrigen, falschen Identitäten und der Machtgier entsprungenen Taten überaus komplizierte Verwicklungen, mit einem Verrat von Matilda, Ottos Kusine die wiederum mit Adelberto verlobt ist, mit dem Auftauchen von Teophanes verschollenem Bruder Emireno und einem Selbstmordversuch von Gismonda. Eine ganz "normale " Soap Opera des 18. Jahrhunderts also, die Händel meisterhaft und psychologisch konzipiert in Musik umsetzte.
    Kaum Ensemblestücke aber eingängige Melodien
    Anders als in seinen späteren Oratorien gibt es in den Opere Serie fast keine Ensemblestücke und auch keine großen Chöre, die Arien müssen das alles alleine auffangen.
    Im "Ottone" gibt es, bevor die Handlung im 3.Akt so richtig an Fahr zunimmt, allein zum Abschluss des 2. Aktes ein Duett zwischen Gismonda und Matilda. Nachdem Adelbertos Doppelspiel aufgeflogen ist, wird er im Zweikampf von Otto besiegt und eingekerkert. Als ihm die Flucht gelingt, triumphieren die beiden Frauen: "Notte cara", "Nächtliches Dunkel, nur dir gebührt es, wahrhaft dankbar uns zu sein". Es singen Ann Hallenberg und Anna Starushkevych, zwei subtil aufeinander abgestimmte Mezzo-Sopranistinnen in wahrer Terzenseligkeit.
    Es ist ein besonderes Verdienst der Opern-Produktionen von Cencic, dass es ihm immer gelingt, ein fulminantes Ensemble zusammen zu stellen, das auch junge Kolleginnen und Kollegen mit einbezieht, die am Anfang ihrer Karriere stehen und auch gut zu den Countertenor-Stimmen passen.
    Musik: G. F. Händel, aus: Ottone, 2.Akt : Duett Gismonda, Matilda "Notte cara"
    Im Mittelpunkt von Händel Oper steht natürlich der Titelheld Ottone, der einmal mehr von Max Emanuel Cencic bravourös verkörpert wird. Eine seiner berühmten Arien ist "Tanti affanni" aus dem 3. Akt, die zeigt, dass der deutsche König auch zu innigen Gefühlen fähig ist, voll zärtlichen Verlangens nach Teofane und tiefer Verzweiflung nach der Flucht seines Widersachers aus dem Kerker. Außer dem kraftvollen unnachahmlichen Timbre der hohen Alt-Stimme von Cencic sind es immer auch seine geschmackvollen Phrasierungen, seine stilvoll und wohldosierten verzierten Da Capo Teile, die faszinieren.
    Musik: G. F. Händel, aus: Ottone, 3.Akt. Arie Ottone "Tanti affanni ho nel mio core"
    "Heftig bohren tief im Herzen wilde Schmerzen", Max Emanuel Cencic war das mit einem Ausschnitt aus der Arie des Ottone aus dem 3. Akt von Händels gleichnamiger Oper.
    Paraderolle für den Countertenor Max Emanuel Cencic
    Wie breit Händel die Gefühlsskala seines Titelhelden angelegt hat, immerhin ist er ja ein Deutscher in Italien, das zeigt auch die folgende Arie des Ottone aus dem 1.Akt. Für die vorliegende Aufnahme wurde die vollständige Fassung der Uraufführung nachgestellt, aber es sind auch Erweiterungen zu zwei Szenen eingearbeitet, die Händel für die Vorstellung zu Cuzzonis Gunsten umgeschrieben hatte.
    Darüber hinaus gibt es als sozusagen als Zugabe noch drei Arien, die Händel zur Wiederaufführung der Oper im Jahr 1726 für die Partie des Otto geschrieben hatte und die wiederum von dem Starkastraten Senesino gesungen wurde. Eine davon ist "Cervo altier", "Nachdem im Kampf der stolze Hirsch den Rivalen überwand."
    Musik: G. F. Händel, aus: Ottone. 3.Akt: Arie Ottone "Cervo altier"
    Max Emanuel Cencic arbeitet mit den renommiertesten Ensembles zusammen; das erst 2012 gegründete, in Venedig beheimatete Ensemble Il Pomo d’Oro gehört mit zu seinen Favouriten für diese Musik, mit seiner stilsicheren Phrasierung, sensiblen Begleitung, und der federnden Leichtigkeit, die man gerne italienischen Musikern auf historischem Instrumentarium attestiert. Geleitet wird Il Pomo d’Oro in dieser Neuaufnahme von Händels Ottone von dem griechischen Dirigenten George Petrou, der bei anderen Projekten auch mit seinem eigenen Ensemble Armonia Atenea dabei ist.
    Händels drei-aktige Oper mit einem für den Wahl-Briten hier vergleichsweise kleinen Orchester ohne extravagante Klangfarben, beeindruckt kaum durch eine sich stetig steigernde Dramatik als vielmehr durch melodienreiche, kunstvolle Arien und bemerkenswerte Darstellungen von inneren Gefühlen, wie sie später auch bei den englischen Oratorien Händels so charakteristisch sind.
    Wie so typisch für die sogenannte "Ernste italienische Oper" der Zeit gibt es auch beim Ottone ein "Lieto fine", Ottone und Teofane sind glücklich vereint und den Übeltätern Gismonda und Adelberto wird vergeben und Matilda befreit. Und so hoffen alle, dass wieder Frieden einkehren möge.
    Musik: G. F. Händel, aus: Ottone, 3.Akt: Duett Ottone – Teofane
    Georg Friedrich Händel
    Ottone - Re di Germania
    Max Emanuel Cencic, Pavel Kudinov, Lauren Snouffer,
    Ann Hallenberg, Anna Starushkevych, Il Pomo d'Oro, George Petrou
    Decca 3 CDs Best.Nr. 483 1814