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Bartholomäus Grill: Ach, Afrika. Bericht aus dem Innern eines Kontinents

Afrika. Staaten zerfallen, Bürgerkriege und Aids drohen ganze Regionen zu entvölkern. Plündernde Potentaten bereichern sich auf Kosten der eigenen Bevölkerung, bar jeder Verantwortung für ein wie auch immer geartetes Gemeinwohl. Bartholomäus Grill, Afrika-Korrespondent der ZEIT, sieht den Kontinent in einem Umbruch wie Europa zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges. In seinem Buch zeigt er die Folgen von Sklavenhandel und Kolonialherrschaft auf, widerlegt aber zugleich die Behauptung, allein die sogenannte Erste Welt trage die Schuld an der Misere. Ach, Afrika lautet der dahingeseufzte Titel - eine scharfe und schonungslose Bestandsaufnahme:

Von Helmut Heinzlmeier | 16.02.2004
    Bartholomäus Grill ist um ein differenziertes Bild Afrikas bemüht. Er stellt sich gegen billige Kritik an Afrika. Aber - dies die Quintessenz seines Buches - über die Politik auf dem Kontinent ist er in hohem Maße desillusioniert.

    Die Afrikaner selber, namentlich die politischen Eliten, tragen die Hauptverantwortung für den maroden Zustand ihres Kontinents.

    Bei aller berechtigten Kritik an Sklavenhandel, Kolonialismus und ungerechten Welthandelsstrukturen, hauptverantwortlich für die Misere Afrikas sind die derzeitigen Eliten auf dem Kontinent. Die weit verbreitete Haltung, die Schuld an dieser Misere stets zuerst der kolonialen Vergangenheit oder der Politik der Industrieländer anzulasten, lässt Bartholomäus Grill nur bedingt gelten. So zum Beispiel, wenn er die Details des transatlantischen Sklavenhandels darlegt. Deutlich ist seine Kritik an den damaligen afrikanischen Herrschern: Fang und Verkauf der Unglücklichen blieben stets unter ihrer politischen Kontrolle. Sie verkauften die Menschen um des schlichten Profits willen. Europäische Händler gingen kaum je selbst auf Sklavenjagd. Grill zitiert dazu einen der radikalsten Befreiungstheoretiker des Kontinents, Walter Rodney:

    Dieser wirft der herrschenden Klasse Afrikas vor, bei der Ausbeutung ihrer Völker mit den Europäern Hand in Hand gearbeitet zu haben. Die weißen Händler waren an der Küste stationiert; sie verfügten damals noch nicht über das Kriegspersonal und die militärischen Mittel, um die Treibjagd nach "Eingeborenen" selber zu veranstalten.

    Als es zu Anfang des 19. Jahrhunderts zu einem Ende des transatlantischen Sklavenhandels kam, nahm die Sklaverei in Afrika selbst zu. Erst die Kolonialzeit setzte der millionenfachen Sklaverei auf dem Kontinent ein Ende. Afrika war nur vergleichsweise kurze Zeit Kolonie. Vereinfacht gesagt: vom Ende des 19. Jahrhunderts bis etwa um das Jahr 1960. Die Folgen dieser kolonialen Periode waren für den Kontinent dennoch außerordentlich. Eine industrielle Zivilisation des 20. Jahrhunderts traf in der Mehrzahl auf Gesellschaften - schriftlos, vielfach in Unkenntnis von Rad, Pflug und Geldwirtschaft -, die darauf mitnichten vorbereitet waren. Daran, dass es den Kolonialmächten um Eigennutz ging, sind keine Zweifel möglich. Aber sie brachten auch, über den Tag hinaus, nutzbare Neuerungen - Schulen, Krankenhäuser, Straßen und vieles ähnliche mehr. Im Rückblick war Afrika für die Kolonialmächte ein Verlustgeschäft - was freilich nicht ausschloss, dass Privatleute ihren Reibach zu machen suchten. Ein besonders abschreckendes Beispiel gibt der belgische König Leopold II. ab. Er ließ Belgisch-Kongo derart barbarisch ausbeuten, dass sich darüber selbst zu Zeiten des Hoch-Imperialismus in Europa allgemeines Entsetzen breit machte. Grill zitiert dazu eine jüngst erschienene Veröffentlichung:

    Die Bevölkerung des Kongos wurde nach Schätzungen des amerikanischen Historikers Adam Hochschild zur Hälfte ausgerottet, rund zehn Millionen Kongolesen, umgekommen an den Folgen von Gewalt, Hunger, Zwangsarbeit, Verschleppung. Die Belgier haben den Massenmord im Kongo erst im Jahre 2000 öffentlich diskutiert.

    Heute ist Afrika kaum noch in den Welthandel miteinbezogen. Sein Anteil daran beträgt nur wenig mehr als ein Prozent.

    Der "schwarze" Erdteil ist das Schlusslicht der Weltwirtschaft. Die Mehrzahl der subsaharischen Länder steht heute schlechter da als zum Ende der Kolonialära.

    Es ist eine offene Frage, ob die derzeit propagierte Marktöffnung der Industrieländer den wenig konkurrenzfähigen afrikanischen Staaten helfen wird. Asien und Lateinamerika sind weit leistungsfähiger. Nicht von ungefähr erhält Afrika auch heute noch erkleckliche Entwicklungshilfe. Ob sie viel nutzt, darüber wachsen bei Fachleuten die Zweifel. Auch bei Bartholomäus Grill klingen sie an. Zu viel bleibt bei den jeweiligen Potentaten hängen. Entwicklungshilfe läuft vielerorts Gefahr, ungerechte politische Strukturen aufrecht zu erhalten. Sträflich vernachlässigt wird insbesondere die Landwirtschaft. Afrika aber ist noch weithin ein agrarisch geprägter Kontinent. Dass bislang zumindest die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln ausreicht, ist in hohem Maße der Arbeit der Frauen auf dem Lande zu danken:

    Millionen von Frauen, die bei extremer Hitze die Felder beackern, jäten und abernten, die jeden Tag kilometerweit gehen, um Brennholz zu sammeln oder Wasser zu holen und dabei meistens auch noch ein Kind auf dem Rücken und zwei am Rocksaum mitschleppen. Sie tragen mehr als die Hälfte des afrikanischen Himmels.

    Bartholomäus Grill hat ein nachdenkliches Buch geschrieben, jenseits üblicher Schwarz-Weiß-Malerei. Es lohnt, gelesen zu werden.