Donnerstag, 18. April 2024

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#baseballschlaegerjahre"
"In Ostdeutschland herrscht ganz viel Schweigen"

In den 90er-Jahren seien Neonazis im Stadtbild von Stralsund normal gewesen, sagte der Rapper Hendrik Bolz alias Testo im Dlf. Nach dem Zusammenbruch der DDR sei eine neue ordnende Kraft nicht ernst genommen worden. So hätten sich rechte Hegemonien etablieren können, die bis heute nachhallen würden.

Hendrik Bolz im Gespräch mit Philipp May | 09.11.2019
Rapper Testo (Hendrik Bolz) vom Berliner Hip-Hop-Duo "Zugezogen Maskulin" während eines Konzertes auf der "Space Stage" im Rahmen des "Frequency 2018" am Sonntag, 19. August 2018 in St. Pölten
Es sei gut, dass derzeit soviel über den Osten gesprochen werde, sagte Rapper Testo vom Duo "Zugezogen Maskulin" im Dlf (dpa / www.picturedesk.com / Herbert P. Oczeret)
"In den 90er-Jahren war es sehr prägend, dass Neonazi-Gruppen, ganz klischeehaft mit Glatze, Springerstiefeln und bewaffnet, im öffentlichen Raum rumlungerten", sagte Hendrik Bolz alias Testo vom Rap-Duo "Zugezogen Maskulin" im Dlf über seine Jugend im ostdeutschen Stralsund.
In einem Gastbeitrag im Freitag hat Testo über diese #baseballschlaegerjahre geschrieben und wie ihn seine Jugend in Ostdeutschland geprägt hat. Sein Umzug nach Berlin war aber keine Flucht: "Es hat sich in den 2000er-Jahren beruhigt. Ich bin nicht vor Neonazis nach Westberlin geflohen."
Daniel Schulz habe in der TAZ geschrieben, dass in Ostdeutschland bis heute über rechte Strukturen gesprochen werde wie über die Mafia in Italien: "Das ist normal bei uns, das ist unsere Lebensart oder Sprich da nicht so offen drüber, das könnte Ärger geben."
"40 Jahre totalitärer Staat lassen sich nicht einfach wegwischen"
Bolz setzt große Hoffnungen in die gegenwärtige Berichterstattung zum Mauerfall und zum Osten. Denn in Ostdeutschland herrsche "ganz viel Schweigen". Das beginne mit dem Terror der DDR und auch der Staat an sich war schon auf Verdrängung gebaut: Verdrängung des Nationalsozialismus bzw. Verdrängung des eigenen Eingesponnen-Seins. Es sei gut, dass jetzt soviel drüber gesprochen werde und dass Westdeutsche mehr bereit seien, zuzuhören, so dass jetzt endlich etwas aufgearbeitet werden könne.
Die Nachwendejahre beinhalteten viel Schmerzhaftes, zum Beispiel Biografieabbrüche oder die Trauer über das verlorene System, an das man geglaubt habe. Vielen Bürgerrechtlern sei es zunächst auch nicht um die Wiedervereinigung gegangen, sondern um eine "bessere DDR". Da sei ganz viel weggewischt worden und nicht besprochen worden.
Die Prägungen, die 40 Jahre totalitärer Staat in den Menschen hinterlassen hatten, ließen sich nicht einfach wegwischen. Auch er fühle sich als Ostdeutscher, obwohl er in Gesamtdeutschland aufgewachsen sei. Das war mit dem Mauerfall nicht weg. "Meine Lehrer, Erzieher, Familie hatten alle DDR-Erfahrung", sagte Bolz. Das hätten sie weitergegeben, auch unbewusst. "Die da oben machen, was sie wollen und wir hier unten werden nichts daran ändern können." Was letztendlich antidemokratische Prägung wäre, so Bolz.