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Bassam Tibi über den Islamunterricht
Muslimbrüder im Klassenzimmer?

An immer mehr deutschen Schulen wird Islamunterricht angeboten, um die Integration von Muslimen voranzubringen. Doch es ist gar nicht so leicht, ausreichend Lehrer dafür zu finden. Der Politikwissenschaftler Bassam Tibi warnt: Die Politik müsse aufpassen, dass nicht Islamisten den Weg ins Klassenzimmer finden.

Von Christian Röther | 02.08.2016
    Der deutsche Politikwissenschaftler Bassam Tiri.
    Für den deutschen Politikwissenschaftler Bassam Tiri ist nur ein säkularer und freiheitlicher Islam akzeptabel (Deutschlandradio / Christian Röther)
    "Ich vertrete die Auffassung, dass es den Islam nicht gibt."
    Bassam Tibi hat als Forscher die halbe Welt gesehen. Darunter seien auch 22 islamische Länder gewesen.
    "Den Islam, den ich in Dakar im Senegal erlebt habe, ist anders als der Islam, den ich in Jakarta in Indonesien erlebt habe."
    Es gibt auf der Welt also diverse Strömungen und Formen des Islams. Deshalb lauteten die entscheidenden Fragen beim Islamunterricht in Deutschland:
    "Welcher Islam wird unterrichtet? Wer unterrichtet?"
    Kritik an Ditib
    Für Bassam Tibi ist nur ein säkularer und freiheitlicher Islam akzeptabel. Deshalb ist er sich ganz sicher, wer den Unterricht nicht erteilen sollte: der türkisch-islamische Verband Ditib.
    "Ditib hat Imame, die einen solchen Islamunterricht erteilen würden. Die werden von der Türkei bezahlt. Die Türkei ist heute für mich kein demokratisches Land. Und einen AKP-Islam als Islamunterricht zu verkaufen, das ist strikt abzulehnen."
    Nicht nur den Einfluss der türkischen Regierungspartei AKP fürchtet der Politikwissenschaftler. Auch die Muslimbrüder lehnt er als Lehrer ab, eine gemäßigt-islamistische Bewegung, die vor allem im Nahen Osten aktiv ist.
    "Die Muslimbrüder haben auch in Deutschland ihre Organisationen. Ich kann nicht spezifisch werden, weil diese Leute gleich juristische Maßnahmen ergreifen. Aber die Muslimbrüder ist eine diffuse Organisation, aber sie hat sehr viel Macht in Deutschland, das weiß ich. Und diese Macht ist zu befürchten und diese Leute sind bereit, einzuspringen als Islamlehrer."
    Was dann passieren könnte, dafür nennt Bassam Tibi Algerien als Beispiel. Das Land habe lange Zeit keine Probleme mit islamistischen Bewegungen gehabt, bis in die 1990er-Jahre.
    "Man hatte Arabischlehrer aus Ägypten geholt, und da war das Kind, wie sagt man auf Deutsch? Das Kind war in den Brunnen gefallen. Man hat rausgekriegt, nachdem diese Leute ihren Mist gebaut haben, ein Großteil der Arabischlehrer, die aus Ägypten kamen, waren Muslimbrüder. Sie haben nicht nur Arabisch unterrichtet, sondern islamistische Ideologie. Und dasselbe kann hier in Deutschland passieren."
    Qualifiziertes Personal fehlt
    Algerien sollte Deutschland eine Warnung sein, sagt Bassam Tibi. Aber wer dann könnte den schulischen Islamunterricht erteilen? Tibi sagt, nur ein islamischer Theologe in Deutschland sei in der Lage, Lehrerinnen und Lehrer adäquat auszubilden: Mouhanad Khorchide von der Uni Münster. Doch der ist unter den Islamverbänden sehr umstritten, wegen seiner liberalen Ausrichtung.
    "Herr Khorchide wird blockiert von allen Ecken. Und selbst, wenn er nicht blockiert wird: Was kann ein Professor mit einem kleinen Institut für ein Land mit 80 Millionen und mit einer islamischen Minderheit von Millionen? Herr Khorchide, ein toller Kerl, aber er kann nicht so viele Lehrer ausbilden, die Kinder von 6,5 Millionen Muslimen hier in einem aufgeklärten Islam unterrichten."
    Und wenn es am qualifizierten Personal mangelt, meint Tibi, sollte man auf den Islamunterricht besser erst einmal verzichten.
    "Unter den jetzigen Bedingungen halte ich einen Islamunterricht für kontraproduktiv im Hinblick auf Integration. Ein Islamunterricht, der unter die Hände der Muslimbrüder und der AKP kommt, wird genau das verhindern, was wir wollen: Integration. Wollen wir das?"
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.