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Bauboom an der "Russischen Riviera“

Knapp 100 Tage vor den Olympischen Winterspielen im russischen Sotschi gleicht die Stadt einer einzigen Baustelle. Nicht bloß Umweltschützer sind wenig erfreut über Betonmischmaschinen und Baukräne. Viele Anwohner wurden umgesiedelt und ihre Häuser zerstört.

Von Pauline Tillmann | 03.11.2013
    Sotschi ist eine einzige große Baustelle. Überall stehen Beton-Mischmaschinen und Baustellen-Kräne. Und überall wuseln Arbeiter umher. Man spricht von 50.000. Meistens sind es "Gastarbeiter", aus Usbekistan, Kasachstan und Tadschikistan, weil sie weniger kosten als Russen. Wladimir Kimajew ist kein Usbeke, sondern Russe, mehr noch, er ist gebürtiger Einwohner von Sotschi.

    Wladimir Kimajew ist Umweltschützer, er engagiert sich in einer Nichtregierungsorganisation zum Schutz des kaukasischen Gebirges. Die Olympischen Winterspiele, die 2014 in Sotschi abgehalten werden, hält er für eine einzige Tragödie.

    "Es ist ein Verbrechen: ein Verbrechen gegen die Umwelt und ein Verbrechen gegen die Menschen. Denn die Menschen werden einfach nur entwürdigend behandelt, wenn wir zum Beispiel an die vielen Umsiedler denken. Sie werden nicht als Menschen angesehen, sondern wie Schweine behandelt."

    Die Wortwahl des 54-Jährigen ist wohl deshalb so drastisch, weil er mit angesehen hat, als die Häuser dieser Menschen von Bulldozern zerstört wurden. Er hat das Ganze gefilmt und fotografiert. Wenn Wladimir Kimajew an die vermeintlich fehlende Stadtplanung denkt, wird er traurig und wütend zugleich. Das was ihn am meisten stört, ist, dass Sotschi "sein Gesicht verloren" habe. Was er damit meint, zeigt er mir, als wir zusammen durch die Stadt laufen.

    "Wir befinden uns jetzt im Zentrum der Stadt - das hier ist eine der wenigen grünen Zonen, die noch übrig geblieben sind. Auf der anderen Seite sehen wir die Fassade des maritimen Bahnhofs, einem Wahrzeichen der Stadt. Man kann hier sehr gut sehen, wie der Umbau vonstattengeht: Vor uns steht das Hotel Moskau, das gerade restauriert wird. In der ganzen Stadt war das immer das höchste Gebäude. Und sehen Sie, was jetzt passiert? Überall sieht man einen Wolkenkratzer neben dem nächsten. Diese Wolkenkratzer verderben das Bild unserer schönen Stadt."

    Früher gab es in Sotschi keine Gebäude, die mehr als fünf Stockwerke hatten. Jetzt ragen Hochhausrümpfe in die Höhe, weil das Internationale Olympia-Komitee, das IOC, exakte Vorgaben macht: 42.000 Betten müssen während der Winterspiele zur Verfügung stehen, und da Sotschi ursprünglich nur halb so viele Betten hatte, müssen jetzt mehr als 20 neue Hotels gebaut werden.

    "Von hier aus führt eine 1,5 Kilometer lange Einkaufsmeile zum Hauptbahnhof. Das ist natürlich ein furchtbarer Anblick! Früher gab es hier eine lange, breite Allee mit subtropischen Palmen. Jetzt hat man unzählige Boutiquen da hingestellt ... und für wen? Wer soll hier einkaufen? Das verstehe ich nicht. Ich finde, das Herzstück einer Stadt muss grün sein, mit einem Park oder einer Allee, wo Kinder spielen können."

    Sotschi ist mit 145 Kilometern die längste Stadt Europas. Das meiste spielt sich auf dem "Kurortny Prospekt" ab, einer mehrspurigen Schnellstraße, die in beide Richtungen führt. Zwischen Zentrum und den Bergen befindet sich der Vorort "Adler" und damit Flughafen und der Olympia-Park, in dem - unter anderem - die große und kleine Eishockey-Arena stehen.

    Die Idee hinter all der Bauwut ist: aus Sotschi eine ganzjährige internationale Touristenhochburg zu machen. Bislang hat man an der Stadt am Schwarzen Meer nur im Sommer Urlaub gemacht – Stichwort Kur- und Badeort – aber durch die Winter-Olympiade soll sich das ändern. Denn Sotschi hat eben nicht nur Meer, sondern auch Berge. Und in diesen Bergen, 70 Kilometer vom Zentrum entfernt, werden zum Beispiel Biatholon- und die Rodelwettbewerbe ausgetragen.

    Zum Abschied sagt Umweltschützer Wladimir Kimajew: "Ich würde keinem empfehlen, hierher zu fahren. Nicht den Deutschen, nicht den Italienern, Engländern, Franzosen, Japanern ... einfach keinem. Touristen haben in Sotschi derzeit einfach nichts zu suchen." Und eine Passantin, die wir auf unserer Tour durch die Stadt treffen, fügt hinzu:

    "Natürlich ist das eine grandiose Veranstaltung für das ganze Land und einerseits sind wir stolz. Anderseits wird uns auch viel abverlangt - damit meine ich die vielen Staus und die vielen Baustellen. Für uns ist die Vorbereitung auf die Winter-Olympiade eine schwere Zeit. "